Maigret verliert eine Verehrerin. Georges Simenon
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Dabei herrschte keinerlei Unordnung, alles war peinlich sauber, jede noch so kleine Fläche war blank poliert, und selbst der kleinste Krimskrams stand an seinem vorgesehenen Platz.
Es hätte Maigret nicht gewundert, wenn die Wohnung anstelle von Elektrizität mit Kerzenleuchtern, Petroleum- oder Gaslampen beleuchtet worden wäre, so wenig ließ sie sich einer bestimmten Zeit zuordnen, und tatsächlich waren die Lampen alte Petroleumleuchten, die man modernisiert hatte.
Das Wohnzimmer erinnerte an einen Trödelladen. Die Wände waren mit Familienporträts, Aquarellen und wertlosen Stichen in Schwarz und Gold gestrichenen verschnörkelten Holzrahmen bedeckt. Am Fenster thronte ein stattlicher Mahagonisekretär mit ausklappbarer Tischplatte, wie man sie noch manchmal bei Schlossverwaltern sah.
Maigret wickelte sich ein Taschentuch um die Hand und zog ein Schubfach nach dem anderen heraus. Sie enthielten Schlüssel, Siegellackstücke, Pillendöschen, das Gestell einer Lorgnette, zwanzig Jahre alte Kalender und vergilbte Rechnungen. Der Sekretär war nicht aufgebrochen worden. Vier Schubfächer waren leer.
Mehrere Sessel mit abgenutztem Polster, eine kleine Kommode, ein Nähtischchen, zwei Louis-XIV-Standuhren. Schon im Flur hatte Maigret eine solche Uhr gesehen, im Esszimmer fand er eine weitere und war überrascht, fast amüsiert, als er auch noch zwei im Schlafzimmer der Toten entdeckte.
Eine Marotte offenbar. Das Erstaunlichste aber war, dass alle diese Uhren gingen. Maigret merkte es, als um zwölf Uhr mittags eine nach der anderen zu schlagen begann.
Auch das Esszimmer war so mit Möbeln vollgestopft, dass man sich zwischen ihnen kaum bewegen konnte. Wie in den anderen Zimmern hingen dicke Vorhänge vor den Fenstern, als scheuten die Bewohner das Tageslicht.
Warum hatte die alte Frau mitten in der Nacht, als sie vom Tod überrascht worden war, einen Strumpf angehabt? Er suchte den anderen und fand ihn auf dem Bettvorleger. Es waren Strümpfe aus grober schwarzer Wolle. Die Beine der Toten waren geschwollen und blau angelaufen, woraus Maigret schloss, dass Céciles Tante an Wassersucht gelitten hatte. Ein Krückstock, den er vom Fußboden aufhob, bewies ihm, dass sie nicht vollkommen bettlägerig gewesen war, sondern sich in der Wohnung hatte bewegen können.
Über dem Bett hing eine Kordel, die der im Treppenhaus ähnelte. Er zog an ihr, lauschte, hörte, wie die Wohnungstür aufsprang, und ging hinaus, um sie zu schließen, wobei er mit den Mietern schimpfte, die immer noch auf dem Treppenabsatz versammelt waren.
Warum hatte Cécile den Quai des Orfèvres plötzlich verlassen? Was hatte sie zu dieser Entscheidung bewogen, wenn sie doch dem Kommissar etwas so Ernstes mitzuteilen hatte?
Sie allein wusste es. Sie allein konnte es erklären, und je mehr Zeit verging, desto unruhiger wurde Maigret.
Was taten die beiden Frauen nur den ganzen Tag, fragte er sich beim Anblick der vielen Möbel, überladen mit zerbrechlichen Staubfängern: Figuren aus filigranem Glas und aus dünner Fayence, eine abscheulicher als die andere, Glaskugeln, in denen die Grotte von Lourdes oder die Bucht von Neapel zu sehen waren, verwackelte Fotos in Messingrahmen, eine fast durchsichtige japanische Tasse mit angeleimtem Henkel, künstliche Blumen in nicht zueinander passenden Champagnergläsern.
Noch einmal betrat er das Schlafzimmer der Tante, die dort mit diesem unerklärlichen Strumpf am Bein in ihrem Mahagonibett lag.
Es war etwa ein Uhr, als auf dem Gehweg ein Tumult entstand, der sich erst in das Treppenhaus und dann in Richtung der Wohnungstür bewegte. Der Kommissar saß zu diesem Zeitpunkt im Mantel und mit dem Hut auf dem Kopf im tiefsten Sessel des Wohnzimmers, und er hatte so viel geraucht, dass ein blauer Dunst in der Luft hing. Er fuhr zusammen, als erwachte er aus einem Traum. Stimmen drangen an sein Ohr.
»Nun, mein lieber Kommissar?«
Es war der Vertreter der Staatsanwaltschaft Bideau, der ihm lächelnd die Hand reichte, gefolgt von dem kleinen Untersuchungsrichter Mabille, dem Gerichtsmediziner und dem Schreiber, der schon nach einem Tisch Ausschau hielt, auf dem er seine Papiere ausbreiten konnte.
»Ein interessanter Fall? Das sieht hier ja nicht gerade lustig aus …«
Gleich darauf hielt der Wagen des Erkennungsdienstes am Straßenrand, und die Fotografen fielen mit ihren sperrigen Apparaten in das Haus ein.
Eingeschüchtert und ein wenig betrübt, weil sich niemand um ihn kümmerte, zwängte sich der Polizeikommissar von Bourg-la-Reine zwischen den Herren hindurch.
»Gehen Sie bitte wieder in Ihre Wohnungen, meine Herrschaften«, sagte der vor der Wohnungstür Wache stehende Polizist noch einmal. »Es gibt hier nichts zu sehen. Sie werden gleich alle der Reihe nach vernommen. Aber um Himmels willen gehen Sie jetzt, nun gehen Sie doch …«
Es war fünf Uhr nachmittags. Der Nebel hatte sich in einen Nieselregen verwandelt, und die Straßenlaternen waren früher angegangen als sonst. Den Hut tief in die Stirn gedrückt, hastete Maigret durch den zugigen Torbogen der Kriminalpolizei und ging dann schnell die schlecht beleuchtete Treppe hinauf.
Unwillkürlich warf er einen Blick in das Wartezimmer, das jetzt im künstlichen Licht noch mehr an ein Aquarium erinnerte. Vier oder fünf Personen saßen dort starr wie die Wachsfiguren im Musée Grévin, und der Kommissar fragte sich, warum man den Raum mit dieser grünen Tapete, dieser grünen Sitzgarnitur und auch noch einem grünen Tisch ausgestattet hatte, deren Widerschein den Gesichtern eine leichenblasse Farbe verlieh.
»Ich glaube, Sie werden gesucht, Herr Kommissar«, sagte im Vorbeigehen ein Inspektor mit mehreren Akten unterm Arm.
»Der Chef möchte Sie sprechen«, empfing ihn auch der Bürodiener, der gerade Briefe frankierte.
Ohne vorher in sein Büro zu gehen, klopfte Maigret an die Tür des Direktors. Nur die Schreibtischlampe brannte.
»Nun, Maigret?«
Schweigen.
»Eine unerfreuliche Angelegenheit, nicht wahr, Sie Armer? Haben Sie etwas Neues erfahren?«
Maigret spürte, dass der Chef ihm etwas Unangenehmes mitzuteilen hatte. Mit besorgter Miene wartete er ab.
»Ich habe versucht, Sie zu informieren, aber Sie waren in Bourg-la-Reine schon nicht mehr zu erreichen. Es geht um die junge Frau … Vorhin hat Victor …«
Der stotternde Victor war einer der Pförtner im Palais de Justice. Mit seinem Schnurrbart und seiner rauen Stimme erinnerte er Maigret an einen Seehund.
»Victor hat auf dem Flur den Generalstaatsanwalt getroffen. Er war schlecht gelaunt …
›Nennen Sie das einen gefegten Boden, mein Freund?‹«
Jeder wusste, was es bedeutete, wenn der Generalstaatsanwalt jemanden ›mein Freund‹ nannte.
Maigret versuchte zu erahnen, was der Leiter der Kriminalpolizei ihm sagen würde.
»Victor