Der letzte Mensch. Mary Shelley

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Der letzte Mensch - Mary Shelley

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die unlängst verstrichen waren, und Namen, die jetzt gut bekannt sind. An vielen Stellen der dünnen, dürftigen Seiten standen Ausrufe des Jubels oder des Wehs, des Sieges oder der Niederlage. Dies war gewiss die Höhle der Sibylle; zwar war sie nicht ganz genau, wie Vergil sie beschreibt, aber das ganze Land war durch Erdbeben und Vulkanausbrüche so erschüttert worden, dass die Veränderung nicht verwunderlich war, obschon die Spuren des Zerfalls durch die Zeit ausgelöscht wurden. Wir verdankten die Erhaltung dieser Blätter wahrscheinlich dem Zufall, der die Mündung der Höhle verschlossen hatte, und der schnell wachsenden Vegetation, die ihre einzige Öffnung dem Sturm unzugänglich gemacht hatte. Wir trafen eine hastige Auswahl derjenigen Blätter, deren Schrift wenigstens einer von uns verstehen konnte; und dann, beladen mit unserem Schatz, verabschiedeten wir uns von der düsteren Höhle und gelangten nach vielen Schwierigkeiten wieder zu unseren Führern.

      Während unseres Aufenthalts in Neapel kehrten wir oft, zuweilen allein, in diese Höhle zurück, überflogen die sonnenbeschienene See und fügten jedes Mal unserer Sammlung etwas hinzu. Von dieser Zeit an, wann immer die weltlichen Pflichten mich nicht gebieterisch abberiefen oder meine Gemütsstimmung ein solches Studium verhinderte, befasste ich mich damit, diese heiligen Altertümer zu entziffern. Ihre Bedeutung, wundersam und voller Ausdruck, lohnte mir oft meine Mühe, linderte meine Sorgen und ließ meine Einbildungskraft sich zu waghalsigen Flügen durch die Unermesslichkeit der Natur und des menschlichen Geistes emporschwingen. Für eine Weile war ich während meiner Arbeit nicht einsam; aber diese Zeit ist nun vorüber; und mit der auserkorenen und unnachahmlichen Begleitung in meiner Mühsal ist auch ihr größter Lohn für mich verloren –

       Von meinen zarten Zweigen wollte ich

      Andere Früchte dir noch zeigen; doch welcher böse Stern

      Neidete uns unser Glück, mein teurer Schatz?

      Ich lege der Öffentlichkeit meine jüngsten Entdeckungen aus den dünnen sibyllinischen Seiten vor. Da sie verstreut und zusammenhanglos waren, sah ich mich genötigt, Bindeglieder hinzuzufügen und die Arbeit in eine einheitliche Form zu modellieren. Aber die Hauptsubstanz besteht aus den Wahrheiten, die in diesen poetischen Rhapsodien enthalten sind, und aus der göttlichen Intuition, die die cumäische Jungfrau vom Himmel erhielt.

      Ich habe mich oft über den Gegenstand ihrer Verse und über das englische Gewand des lateinischen Dichters gewundert. Sie sind so unklar und ungeordnet, dass ich zuweilen dachte, sie verdankten ihre gegenwärtige Form mir und meiner Entschlüsselung. Als würden wir einem anderen Künstler die gemalten Fragmente geben, die das Mosaik von Raffaels Verklärung im Petersdom bilden; er würde sie in einer Form zusammensetzen, deren Art durch seinen eigenen Geist und sein eigenes Talent bestimmt würde. Zweifellos haben die Blätter der cumäischen Sibylle in meinen Händen eine Verzerrung und Verminderung ihrer Güte und Bedeutung erlitten. Meine einzige Entschuldigung dafür, sie so umgewandelt zu haben, ist, dass sie in ihrem ursprünglichen Zustand unverständlich waren.

      Meine Arbeit hat lange Stunden der Einsamkeit erhellt und mich aus einer Welt, die ihr einst gütiges Gesicht von mir abgewandt hat, herausgeführt in eine andere, die vor Einbildungskraft und Stärke glüht. Werden meine Leser fragen, wie ich Trost in der Erzählung von Elend und beklagenswerten Wandel finden konnte? Dies ist eines der Geheimnisse unserer Natur, die mich beherrscht und deren Einfluss ich mich nicht entziehen kann. Ich gestehe, dass mich die Entwicklung der Geschichte nicht unberührt gelassen hat und dass ich bei einigen Teilen der Erzählung, die ich getreulich von meinen Materialien übernommen habe, niedergeschlagen, ja sogar gemartert war. Doch solcherart ist die menschliche Natur, dass die Aufregung des Geistes mir lieb war und dass die Einbildungskraft, die Malerin von Stürmen und Erdbeben, oder, noch schlimmer, der stürmischen und zerstörerischen Leidenschaften des Menschen, mein wahres Leiden und endloses Reuen milderte, indem sie diese fiktiven Leiden mit jener Scheinhaftigkeit umhüllte, die dem Schmerz die tödliche Schärfe nimmt.

      Ich weiß nicht, ob diese Entschuldigung notwendig ist. Letztlich müssen die Vorzüge meiner Bearbeitung und Übersetzung entscheiden, ob ich meine Zeit und meine unvollkommenen Kräfte wohl angewandt habe, indem ich den zarten und brüchigen Blättern der Sibylle Form und Inhalt gab.

      Kapitel 1

      Ich stamme aus einer vom Meer umgebenen Gegend, einem wolkenverhangenen Land, das, wenn ich mir die Oberfläche des Globus vorstelle, mit seinem grenzenlosen Ozean und den riesigen Kontinenten, nur als ein unbedeutender Fleck im gewaltigen Ganzen erscheint; und doch übertraf es, was die Geisteskraft anbelangt, Länder von größerer Ausdehnung und Bevölkerung bei Weitem. So wahr ist es, dass der Mensch allein mit seinem Verstand alles Gute und Große für sich schuf und dass selbst die Natur nur seine oberste Dienerin war. England, das weit im Norden des trüben Meeres liegt, sucht mich jetzt in meinen Träumen heim, in Gestalt eines großen und wohlbemannten Schiffes, das die Winde beherrscht und stolz über die Wellen reitet. In meinen Knabenjahren war es für mich die ganze Welt. Wenn ich auf meinen heimatlichen Hügeln stand und sah, wie Ebenen und Berge sich bis zu den äußersten Grenzen meiner Sicht erstreckten, mit den Behausungen meiner Landsleute gesprenkelt und durch ihre Arbeit der Fruchtbarkeit unterworfen, war dieser Ort für mich das Zentrum der Erde, und der Rest ihrer Kugel glich einer Fabel, welche zu vergessen weder meine Vorstellungskraft noch meinen Verstand Mühe gekostet hätte.

      Meine Geschicke waren von Beginn an ein Exempel für die Macht, die Wandelbarkeit über den Verlauf eines Menschenlebens ausüben kann. In meinem Falle fiel mir alles beinahe wie eine Erbschaft zu. Mein Vater war einer jener Männer, denen die Natur die beneidenswerten Gaben des Witzes und der Einbildungskraft verliehen hatte und deren Lebensbarke sie dann dem Einfluss der Winde überließ, ohne den Verstand als Steuerruder oder die Urteilskraft als Lotsen für die Reise hinzuzufügen. Er war von unklarer Herkunft; aber die Umstände machten ihn bald in der Gesellschaft bekannt, und sein kleiner väterlicher Besitz wurde bald in der großartigen modischen und luxuriösen Gesellschaft verbraucht, in der er sich bewegte. Während der kurzen Jahre gedankenloser Jugend wurde er von den Beliebtesten aus gutem Hause, und nicht weniger vom jungen Souverän, der sich den Intrigen der Partei und den mühsamen Aufgaben königlicher Geschäfte entzog, verehrt, die in seiner Gesellschaft nie versagende Erheiterung und Aufhellung des Gemütes fanden. Die Impulse meines Vaters, die nie unter seiner eigenen Kontrolle standen, brachten ihn fortwährend in Schwierigkeiten, aus denen ihn allein sein Einfallsreichtum befreien konnte; und der sich anhäufende Berg von Schulden der Ehre und des Handels, der jeden anderen zur Erde gebeugt haben würde, wurde von ihm mit leichtem Sinn und unbezwinglicher Heiterkeit geschultert; während seine Gesellschaft an den Tischen und Versammlungen der Reichen so notwendig war, dass man seine Verfehlungen als lässlich betrachtete und er selbst mit berauschender Schmeichelei empfangen wurde.

      Diese Art von Popularität ist, wie jede andere auch, flüchtig: und die Schwierigkeiten jeder Art, mit denen er zu kämpfen hatte, stiegen in einem fürchterlichen Ausmaß verglichen mit seinen geringen Mitteln, sich daraus zu befreien. Zu solchen Zeiten sprang ihm der König bei, der ihm sehr zugetan war, und stellte dann seinen Kameraden freundlich zur Rede. Mein Vater gelobte eifrig Besserung, aber seine gesellige Veranlagung, sein Verlangen nach dem üblichen Maß an Bewunderung und, mehr als alles andere, der Teufel des Glücksspiels, der ihn völlig beherrschte, machten seine guten Vorsätze vergänglich und seine Versprechungen vergeblich. Mit der raschen Auffassungsgabe, die seinem Gemüt eigentümlich war, nahm er wahr, dass seine Macht im strahlenden Kreise im Schwinden begriffen war. Der König heiratete; und die hochmütige Prinzessin von Österreich, die als Königin von England bald die neuesten Moden anführte, sah mit scharfen Augen seine Mängel und mit Verachtung die Zuneigung, die ihr königlicher Ehemann für ihn empfand. Mein Vater fühlte, dass sein Fall nahe war; aber weit davon entfernt, diese letzte Ruhe vor dem Sturm zu nutzen, um sich selbst zu retten, suchte er das vorausgeahnte Übel zu vergessen, indem er dem Gott des Vergnügens, dem betrügerischen und grausamen Schiedsrichter seines Schicksals, noch größere Opfer darbrachte.

      Der König, der ein Mann von

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