Aufstieg der Schattendrachen. Liz Flanagan

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Aufstieg der Schattendrachen - Liz Flanagan Legenden der Lüfte

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und ruhig, mit weißen Haaren und schwarz umrandeten Augengläsern, stand Isak jetzt vor der Drachenmutter und ihrem abgedeckten Gelege. Sämtliche erwachsenen Drachen von Arcosi bildeten einen Kreis um sie – ein Dutzend insgesamt.

      Als Nächstes fiel Jos Blick auf seine Schwester Tarya, die neben ihrem Ehemann, Herzog Vigo, stand. Tarya war die Befehlshaberin der Armee von Arcosi. Sie hatte die Truppen in der Revolution zum Sieg geführt, in der Vigo vor dreizehn Jahren zum Herzog wurde.

      Jo fiel auf, wie müde seine Schwester aussah. Taryas wilde blonde Locken waren nach Art der Drachenreiterinnen fest an den Kopf geflochten. Sie hatte ihr Schwert umgeschnallt und trug ihre Prunkrüstung samt Armschützern. Sie war immer seine leidenschaftliche, patente Schwester gewesen, aber jetzt wirkte ihr Gesicht gräulich. Alle kannten den Grund dafür: Vor Kurzem hatte sie bekannt gegeben, dass sie ein Kind erwartete. Sie biss sich auf die Lippen, als würde sie gegen Übelkeit ankämpfen. Josi hatte ihr erklärt, dass es normal sei und sie sich bald wieder kräftiger fühlen würde. Hoffentlich musste Tarya sich nicht an Ort und Stelle übergeben – das wäre schrecklich für sie.

      Neben Tarya stand ihre Stellvertreterin und alte Freundin Rosa, zusammen mit Rosas riesigem orangefarbenem Drachen Ando. Alle gingen davon aus, dass Rosa die Heerführerin vertreten würde, während sie sich um ihr Neugeborenes kümmerte. Einige waren überrascht, dass das noch nicht geschehen war.

      »Halt!«, rief der Drachenwächter, der den Anwärtern vorausging.

      Jo und die anderen blieben direkt vor dem Marktplatz stehen. Der Herzog würde die Zeremonie jeden Moment eröffnen, und dann sollten sie hintereinander auf den Platz ziehen, um ihre Positionen einzunehmen.

      Er spürte, wie er vor Aufregung und Ungeduld am ganzen Leib zitterte.

      In diesem Moment schob sich jemand zwischen Jo und Amina, beugte sich vor und murmelte über Jos Schulter: »Du glaubst wohl, heute wäre dein Glückstag, was, Geburtstagskind?«

      Es war Noah aus Jos Gruppe in der städtischen Schule, die alle Kinder von Arcosi zumindest einige Jahre lang besuchten. Er war klein und drahtig, hatte ein schmales, sommersprossiges Gesicht und hellbraune Haare, die ihm ständig über die Augen fielen. Auch er trug die weiße Kleidung eines Anwärters.

      »Was machst du hier?« Jo wurde das Herz schwer. »Ich dachte, du hasst den Herzog und meine Schwester.«

      Noahs Vater war einer der Soldaten gewesen, die wegen der Drachen nicht mehr gebraucht wurden. Er war im letzten Jahr bei einer Straßenschlägerei getötet worden, und Noah gab Vigo und Tarya die Schuld dafür, dass sein Vater seine Arbeit, seinen Stolz und sein Leben verloren hatte.

      Jo und seine Freunde hatten sich bemüht, freundlich zu Noah zu sein, während dieser trauerte, aber er hatte es ihnen nicht leicht gemacht.

      »Na und?« Noah kniff die Augen zusammen und starrte zum Herzog hinüber. »Warum soll ich mir einen Drachen durch die Lappen gehen lassen?«

      Conor und Amina wechselten einen besorgten Blick.

      »Also gut, Noah.« Conor wandte sich an den Jüngeren und sagte freundlich: »Jetzt ist es an den Drachen. Sie werden wählen, wen sie wollen.«

      »Ich bin ein echter Norländer, kein Halbling wie Jo oder zugereist wie ihr beide. Natürlich wird mich ein Drache auswählen.«

      Vor der Revolution, unter der Herrschaft des alten Herzogs, waren auf der Insel Menschen norländischer Abstammung privilegierter und wohlhabender gewesen als alle anderen.

      »Ach, das interessiert doch niemanden mehr«, sagte Jo, der sich eine schärfere Erwiderung verkniff. Er hatte die blauen Augen seines Vaters und die schwarzen Haare seiner Mutter geerbt, während seine Haut hellbraun war. Manchmal irrten sich die Leute bezüglich seiner Herkunft. Aber er war noch nie so beleidigt worden, zumindest nicht von Angesicht zu Angesicht. »Halbling?«, wiederholte er und versuchte es mit einem Lachen abzutun. »Hast du dir das ausgedacht?« Der Begriff klang lächerlich.

      »Das glaubst auch nur du!«, sagte Noah. »Aber wart’s nur ab –«

      Einer der Drachenwächter kam mit finsterer Miene auf sie zu. Sie verstummten. Keiner von ihnen wollte ausgeschlossen werden. Schon gar nicht jetzt, im allerletzten Moment.

      »Worauf warten die noch? Ruft uns endlich auf den Platz!«, murmelte Noah, als der Drachenwächter weitergegangen war.

      Jo schaute nach vorn, um zu sehen, was los war.

      Isak sprach mit der Mutter der Eier, dem wilden schwarzen Drachenweibchen Ravenna, das sich mit Lanys verbunden hatte. Früher hatte Lanys im Gelben Haus als Dienstmädchen gearbeitet und Isak bedient. Mit Milla hatte sie im ständigen Konkurrenzkampf gestanden. Jetzt stand die junge Frau steif und mit hochgezogenen Schultern da und starrte alle finster an.

      Gab es ein Problem? Jo musterte Lanys: Ihr sommersprossiges Gesicht war bleich vor Sorge, und sie hatte dunkle Ringe unter den Augen. Ihr rotbraunes Haar war straff nach hinten geflochten, jeder Muskel in ihrem Körper angespannt. Jo konnte nur erahnen, wie schwer es sein musste, seinem eigenen Drachen bei der Brut zuzusehen, ohne helfen oder sich ihm nähern zu können. Brütende Drachenmütter waren gefährlich, das wussten alle. Ihr Beschützerinstinkt war so mächtig, dass sie jeden verletzen oder töten würden, der ihren Eiern zu nahe kam.

      Es gab ein Gerücht, dass jemand kurz nach der Rückkehr der Drachen ein Ei zerstört hatte. Die Drachenmutter hatte reagiert und die Person getötet, ehe irgendjemand sie aufhalten konnte. Jo sah Ravenna an und begriff bestürzt, dass die anderen Drachen vor Ort waren, um die Anwärter zu schützen, nicht die Eier.

      Lass uns durch, dachte er, als er Lanys ansah. Lass einfach zu, dass wir uns mit den Drachenjungen verbinden, dann bekommst du deine Ravenna zurück.

      Als hätte sie ihn gehört, drehte sich Lanys um und starrte die wartenden Anwärter noch finsterer an als alle anderen.

      Schließlich wandte sich Isak von Ravenna ab. Er richtete sich auf und sagte mit lauter Stimme: »Willkommen zur sechsten Schlüpfzeremonie in der Regierungszeit von Herzog Vigo …«

      Applaus brandete auf, und der Jubel hallte auf dem Marktplatz wider.

      Dann war er da, der Moment, auf den Jo sein Leben lang gewartet hatte.

      3. Kapitel

      Es war so weit. Jo stellte sich auf die Zehenspitzen, damit er zuschauen konnte, wie die Dracheneier aufgedeckt wurden.

      Nun trat Herzog Vigo vor. Er wirkte ernst und unnahbar. Nicht wie der ruhige, freundliche Mann, den Jo von den Familientreffen kannte. Seine tiefe Stimme drang bis in die hintersten Reihen der Menge. »Bürger von Arcosi, liebe Gäste aus Sartola, ich heiße euch alle willkommen.«

      Sämtliche Augen richteten sich auf Isaks Partner Luca, den König von Sartola, der in der vordersten Reihe neben Tarya stand. Luca nickte und winkte der Menge bei der Begrüßung lächelnd zu.

      »Wir können uns glücklich schätzen, mit diesem Gelege gesegnet worden zu sein«, fuhr Herzog Vigo fort. »Und wie alle wissen, ist dies eine heilige Zeremonie, die dem Schutz des Gesetzes unterliegt.« Der Herzog machte ein strenges Gesicht, als er diese offizielle Erinnerung aussprach.

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