Descartes. Eine Einführung. Hans Poser

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Descartes. Eine Einführung - Hans Poser Reclams Universal-Bibliothek

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die Wahrheit in den Wissenschaften zu suchen) aufgenommen wird. Doch der Discours gilt nicht nur der Darstellung dieser neuen Methode, deren sich jeder Mensch bedienen kann, weil im Grundsatz alle an der Vernunft teilhaben – er entwickelt erstmals das »Ich denke, also bin ich«4. Nun ist diese Schrift als Einleitung zu exemplarischen Beispielen der geplanten neuen Wissenschaft gedacht; sie erschien zusammen mit einer Arbeit zur Lichtbrechung, La Dioptrique, einer zur Geometrie, La Géométrie, in der das entwickelt wird, was wir heute Analytische Geometrie nennen, und einer Abhandlung mit dem Titel Les Météores (Die Himmelskörper), in der es um Phänomene am Himmel wie Wolken und den Regenbogen geht. Schon diese Verbindung zeigt, dass Descartes’ Philosophie gar nicht anders als in ihrem Zusammenhang mit den Wissenschaften gesehen werden darf, auch wenn es der Discours war, welcher ihn rasch berühmt machte. [24]Bereits 1632 war die Schrift Le Monde (Die Welt) entstanden, die Descartes aber wegen der Verurteilung Galileis (1633) und aus Sorge um Auseinandersetzungen mit der katholischen Kirche nicht veröffentlichte.

      Ein erster Entwurf der Meditationes war schon gegen 1634 entstanden; 1641 erschien das Werk unter dem Titel Meditationes de Prima Philosophia (Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, in denen die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele [von der zweiten Auflage an: die Verschiedenheit der menschlichen Seele vom Körper] bewiesen werden).

      Die Meditationes sind das zentrale philosophische Werk Descartes’, denn in ihm entwickelt er jenen eigenen Ansatz, der als die Begründung des Rationalismus gilt. Vor dem Druck waren sie über Mersenne einer Reihe renommierter Fachleute mit der Bitte um Stellungnahme zugegangen. Diese Einwände stammen neben zwei Sammelberichten, die Mersenne zusammengestellt hatte, von dem Theologen De Kater (Caterus, um 1590–1655), der die Gottesbeweise kritisierte, dem englischen Philosophen Thomas Hobbes, der in seiner materialistischen Seelentheorie die völlige Gegenposition zu Descartes und dessen Unterscheidung von Seele und Körper vertrat, dem Theologen Antoine Arnauld (1612–1694), der sich vor allem mit theologischen Problemen auseinandersetzte, und dem empiristischen Philosophen Pierre Gassendi (1592–1655), der sich gegen Descartes’ These von den eingeborenen Ideen wandte; in der zweiten Auflage von 1642 wurden Kritiken von Pater Pierre Bourdin (1595–1653) hinzugefügt. Sie alle wurden, ergänzt um Entgegnungen Descartes’, zusammen mit den Meditationes gedruckt.

      [25]Dass die neue Grundlegung nicht nur philosophische Erwägungen zu tragen vermag, sollen die 1644 erscheinenden Principia Philosophiae (Prinzipien der Philosophie) zeigen, in denen Descartes – nach einer kurzen Zusammenfassung der Meditationes – den Versuch unternimmt, die ganze Theorie der physischen Welt auf dem neu geschaffenen Fundament aufzubauen. Dasselbe Ziel verfolgt er für eine Theorie der menschlichen Empfindungen und eine Theorie der Funktionsweise des menschlichen Körpers, beide ursprünglich als Teil der Principia geplant, doch erst mit den 1649 erscheinenden Passions de l’Âme (Die Affekte der Seele) und dem postum 1661 veröffentlichten Traité de l’Homme (Abhandlung über den Menschen) verwirklicht.

      Von drei Frankreichreisen abgesehen, lebte Descartes von 1628 bis 1649 in den Niederlanden. Aufgrund einer Einladung der Königin Christine von Schweden (1626–1689), der zu folgen er mehrfach hinauszögerte, die aber immer drängender vorgetragen wurde, reiste er im Herbst 1649 nach Stockholm. Doch die Monarchin war viel zu beschäftigt, um sich der Philosophie zu widmen; erst Mitte Januar des folgenden Jahres fand sie Zeit, sich dreimal die Woche, morgens um fünf Uhr, in Philosophie unterweisen zu lassen. Descartes, von Natur alles andere als ein Frühaufsteher, holte sich zu so nächtlicher und eisiger Stunde eine Lungenentzündung, und da er allen Ärzten misstraute und deren Hilfe von sich wies, starb er nach neun Tagen, am 11. Februar 1650. Dass dies in Wirklichkeit kein natürlicher Tod, sondern ein Mord gewesen sei, heraufbeschworen durch das angespannte Verhältnis von Protestanten und Katholiken am schwedischen Hof, wird immer wieder behauptet, auch wenn die Indizien dafür sehr schwach sein [26]mögen. – Sechzehn Jahre später wurden Descartes’ sterbliche Überreste nach Frankreich überführt. Schon drei Jahre zuvor waren seine Schriften auf den Index gesetzt worden, während sich sein Denken, sein Wissenschaftsverständnis und seine Philosophie über ganz Europa ausbreiteten. Von Holland und dort insbesondere von den Medizinern weitergetragen, erfasste es in einem halben Jahrhundert praktisch alle Universitäten: Der Cartesianismus hatte sich auf dem Kontinent als neue, die Wissenschaften begründende Weltsicht durchgesetzt.

      [27]3 Die Methode der Analyse und Synthese

      Wenn das Ziel des Rationalismus der Erweis der Verstehbarkeit der Welt und insbesondere die Begründung unseres Wissens ist, so bedarf es einer Methode, welche die Sicherheit eines jeden Schrittes gewährleistet. Sie entwickelt zu haben, gilt in der Geschichte der Philosophie als eines der hauptsächlichen Verdienste Descartes’.5 Erst ein methodisches Vorgehen lässt aus einzelnen, isolierten Wissensbeständen eine wissenschaftliche Aussage entstehen. Mehr noch: Wenn Erkenntnis auf richtigem Denken beruht, so werden die Regeln des richtigen Denkens, die Kriterien der Wahrheit und die Methode der Erkenntnisgewinnung und -sicherung zum Zentralproblem schlechthin.

      Das, was Descartes zum Methodenproblem zu sagen hat, ist im Discours de la Méthode bei weitem nicht so konzipiert, wie man angesichts der Bedeutung des methodischen Zugangs hoffen sollte; es empfiehlt sich deshalb, zum besseren Verständnis vom unvollendeten, postum veröffentlichten Frühwerk der Regulae auszugehen.

      3.1 Die Regulae ad directionem ingenii

      Descartes’ methodologische Schrift der Regulae ad directionem ingenii, an der er 1623 und noch einmal 1628 arbeitete, weist hinsichtlich ihrer Deutung in der Literatur in zwei gänzlich verschiedene Richtungen. Während ein größerer Teil der Interpreten in ihr die Vorbereitung jener knappen [28]vier methodischen Regeln erblickt, die Descartes im Discours de la Méthode formulieren sollte, sehen andere einen derart radikalen Umbruch zwischen beiden Schriften, dass Descartes »frühestens im Winter 1628/29 zum Cartesianer wird«, denn die Regulae beruhten »auf Prinzipien, die mit der Philosophie Descartes’ nach 1629 im Widerspruch stehen«.6 Beide Auffassungen haben gute Gründe für sich; da aber Descartes selbst nicht von einem radikalen Bruch spricht, sondern mehr die Kontinuität seines Denkens betont, soll hier der Versuch unternommen werden, eher das Verbindende zu sehen, ohne allerdings die Differenzen beiseiteschieben oder leugnen zu wollen.

      Worum geht es in den Regulae? In ihnen zielt Descartes darauf ab, die so erfolgreiche mathematische (oder geometrische) Methode der Analyse und Synthese auf alle Wissenschaften überhaupt auszudehnen, um damit zu einer völlig neuartigen Einheit aller Erkenntnis in Gestalt einer Mathesis universalis7 zu gelangen. Das ist zunächst nichts Neues, bedeutet es doch nur, dass man, vor ein (geometrisches) Problem gestellt, dieses so lange zerlegt, bis man bei schon Bekanntem und Bewiesenem ankommt. In der nachfolgenden Synthese werden die ursprünglichen Analyseschritte, nun ausgehend vom Bewiesenen, zum Ausgangsproblem zurückverfolgt, und zwar dergestalt, dass diese Synthese ein Beweis ist: An die Stelle der ursprünglichen Frage tritt eine begründete Aussage. Diese Vorgehensweise der Geometrie findet sich in der Scholastik, aufgeteilt in [29]zwei Methoden, die Scientia quia, die ausgehend vom Gegebenen nach den jeweiligen Gründen oder Ursachen fragt, und die auf diese folgende Scientia propter quid, die diese Gründe zu einer Begründung umkehrt. Auch die frühe Neuzeit betont die Bedeutung dieses Vorgehens – so beispielsweise Hobbes. Dennoch setzt Descartes einen neuen Akzent, indem er beide Verfahren zu einer einheitlichen Methode zusammenfügt und sie – stärker als die Scholastik oder Hobbes es taten – in die Nähe ihres Ausgangspunktes, in die Nähe der Mathematik rückt.

      Die Schrift sollte aus drei Teilen zu je zwölf »Regeln zur Ausrichtung der Erkenntniskraft« bestehen. Sie beabsichtigte, die geometrische Algebra zu einer Universalwissenschaft dergestalt zu erweitern, dass unsere Erkenntniskraft (ingenium) »über alles, was es gibt, zuverlässige und wahre Urteile«8 zustande bringt. Denn »Alles Wissen ist sichere und evidente Erkenntnis«9.

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