Sophienlust Bestseller Box 1 – Familienroman. Marisa Frank
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»Darf ich dir jetzt auch noch einen Kuß geben?« fragte die Kleine und stellte sich schon auf Zehenspitzen.
Ohne lange zu überlegen bückte sich Manfred und legte sogar für einen Augenblick den Arm um das kleine Mädchen, das ihm einen schmatzenden Kuß auf die Wange drückte.
Seltsamerweise empfand er es sogar als ausgesprochen angenehm, ja, er war gerührt von der Anhänglichkeit des Kindes. Es fiel ihm schwer, Agnes und Sabine zu verlassen, obwohl er sie vor kaum einer Stunde erst kennengelernt hatte.
»Ich... am liebsten würde ich wieder herkommen«, sagte er ein bißchen verlegen, als er Sabine zum Abschied die Hand reichte. Er konnte sich von dem warmen und klugen Blick ihrer grauen Augen kaum losreißen.
»Und warum tun Sie es dann nicht?« Sabine Kroffs Stimme klang ein bißchen atemlos.
»Darf ich denn?« Manfred merkte, wie einfältig seine Worte klangen. Und er merkte noch etwas. Nämlich, daß etwas in ihm vorging, was er noch nie erlebt hatte. Sollte das die Liebe sein?
Wie in Trance ging er die Freitreppe wieder hinunter. Er sah nicht mehr, daß ihm Agnes noch nachwinkte, und er hatte auch Marga Eckstein total vergessen. Er dachte auch nicht an sie, als er bereits in seinem Auto saß und in Richtung Maibach fuhr.
Seine Gedanken beschäftigten sich nur mit zwei Menschen: mit der blutjungen Sabine, die von einem toten Mann ein Kind erwartete, und mit dem kleinen Mädchen, dessen dunkles Lockenköpfchen zärtliche Gefühle in ihm wachrief.
Daß dieses Mädchen mit Nachnamen Müller hieß, konnte ja auch ein Zufall sein. Oder doch nicht?
Manfred umklammerte das Lenkrad so fest, daß seine Knöchel weiß hervortraten. Wenn dieses Mädchen tatsächlich Giselas Tochter war, dann...
Aber daran wagte Manfred Brecht gar nicht zu denken.
*
»Kommst du bald wieder, Mutti?« Erfolglos kämpfte Peter mit den Tränen, als sich Marga Eckstein von ihrem Sohn verabschiedete.
»Natürlich, mein Kleiner. Jetzt bin ich wieder da. Ich werde mir in Maibach eine kleine Wohnung suchen. Vielleicht darfst du dann an den Wochenenden zu mir kommen. Aber das muß ich noch mit Frau von Schoenecker klären.« Marga wußte nicht, wie sie den Jungen trösten sollte.
»Großes Ehrenwort?« Peter konnte noch immer nicht glauben, was ihm seine Mutter da versprach. Zu sehr hatte ihre überstürzte Flucht sein kindliches Vertrauen zerstört.
»Großen Ehrenwort, Peter«, versprach die Frau immer wieder. Ihre Schuldgefühle wuchsen ins Unermeßliche, und am liebsten hätte sie ihren Sohn gleich mitgenommen. Aber das ging natürlich nicht, das wußte sie ganz genau.
»Wenn du noch eine Weile wartest, dann kannst du Vati auch gleich begrüßen«, begann der Junge hoffnungsvoll.
Erschrocken zuckte Marga zusammen. Bloß das nicht, dachte sie entsetzt und griff hastig nach der Türklinke. »Das... Tut mir wirklich leid, Peter, aber jetzt muß ich mich etwas beeilen. Wenn es irgendwie geht, dann komme ich morgen wieder.« Wie von Furien gehetzt stürmte sie die Treppe hinunter.
»Ach, da bin ich aber froh, daß ich Sie noch treffe, Frau Eckstein. Schwester Regine hat mich verständigt, daß Sie da sind, und daraufhin habe ich mich gleich ins Auto gesetzt und bin herübergefahren. Mein Name ist Denise von Schoenecker. Ich bin die Verwalterin dieses Kinderheims, das eigentlich meinem Sohn gehört. Und Sie sind Peters Mutter, nicht wahr«, half Denise der verblüfften Frau weiter.
»Ja, ganz recht. Aber, entschuldigen Sie mich jetzt bitte, ich bin sehr in Eile.« Marga wollte an der Frau vorbeigehen, die ihr auf den ersten Blick bereits sympathisch war, aber Denise reagierte schneller.
»Es geht um Peter, und es ist sehr wichtig«, sagte sie eindringlich. »Ihr Sohn wird Ihnen doch ein paar Minuten wert sein.« Denise hatte nicht die beste Meinung von der Frau, die ihre Familie wegen eines anderen Mannes einfach im Stich gelassen hatte. Trotzdem bemühte sie sich, Marga nicht zu verurteilen, denn sie kannte ja die näheren Begleiterscheinungen nicht.
Peters Mutter aber hatte den Tadel in der Stimme der Verwalterin wohl bemerkt. »Natürlich habe ich Zeit«, murmelte sie verlegen und schaute betreten zu Boden.
»Es dauert wirklich nicht lange. Wir können uns hier in der Halle ein paar Minuten hinsetzen, wenn Ihnen das lieber ist.«
Marga zuckte die Schultern und folgte Denise zu der bequemen Sitzgarnitur.
»Peter hat uns sehr viel Sorgen gemacht. Schwester Regine hat einige Male festgestellt, daß er sich abends in den Schlaf geweint hat, und auch seine Leistungen in der Schule haben ziemlich nachgelassen. Ich glaube, daß das auf den Verlust seiner Mutter zurückzuführen ist. Erst jetzt, seit er mit meinem Sohn Henrik zusammen das Kätzchen gefunden hat, scheint es ihm etwas besser zu gehen.«
Betroffen schaute die Besucherin die Frau an. Das, was ihr Denise da sagte, verstärkte ihre Schuldgefühle nur noch, die sie Peter gegenüber ohnehin hatte.
»Es... es ist alles so schwierig«, machte sie einen schwachen Versuch, sich zu verteidigen. Aber sie wußte, daß es für ihr Handeln keine Entschuldigungen gab.
»Uns hier geht es nur um Peter. Ich dachte, wenn Sie wüßten, wie es um Ihren Sohn steht, dann könnten Sie vielleicht doch etwas mehr Zeit für ihn erübrigen.«
»O ja, Frau von Schoenecker, ich werde mein möglichstes tun. Sicher wissen Sie, warum... ich meine, wie das gekommen ist, daß mein Mann und ich uns auseinandergelebt haben.«
»Woher sollte ich das wissen, Frau Eckstein. Ihr Mann hat kein Wort gesagt, und das finde ich auch richtig. Es ist eine reine Privatangelegenheit.«
»Er hat wirklich nichts gesagt?« echote Marga ungläubig.
»Sie können mir ruhig glauben.« Denise lächelte. »Übrigens scheint er ebenfalls ziemlich unglücklich über den Verlauf seiner Ehe zu sein. Wenn er abends kommt, macht er meist einen niedergeschlagenen Eindruck.«
Innerlich mußte Denise schmunzeln. Hätte ihr Mann Alexander jetzt ihre Worte gehört, dann hätte er bestimmt wieder tadelnd seinen Finger gehoben. Aber er hatte ja recht, sie konnte es wirklich nie lassen zu versuchen, eine zerbrochene Ehe wieder zu kitten. Oft war ihr das sogar schon gelungen, aber manches Mal war eben doch nichts mehr zu retten gewesen. Aber sie hätte niemals Ruhe gehabt, wenn sie es nicht wenigstens versucht hätte.
»Wenn Sie sich da nur nicht getäuscht haben, Frau von Schoenecker. Ich habe meinen Mann selbst gesehen, wie er den Arm um eine andere Frau gelegt hat«, widersprach Marga bitter. In ihre Augen traten Tränen, die sie sofort energisch fortwischte.
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Zu mir hat er nämlich vor wenigen Tagen erst gesagt, daß Peter alles sei, was ihm noch geblieben ist und was ihn am Leben hält. Und wenn ein Mann so etwas sagt, dann muß er schon sehr verzweifelt sein, meinen Sie nicht auch?«
»Schon«, gab die Besucherin zögernd zu. »Aber ich habe die beiden doch selbst gesehen, noch dazu in Ihrem Park.«
»Das ist nicht möglich. Ich kann mir nicht vorstellen, wer die Frau gewesen sein sollte.« Denise schüttelte den Kopf.
In diesem Augenblick wurde von draußen die Eingangstür geöffnet.