Die Jugend des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann
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Henri sah das Gesicht Jeannes sich verändern bei der Erwähnung der Königin von Frankreich. Er erschrak, und seine Phantasie erhielt einen jähen Anstoß. Im Geist erblickte er eine furchtbar unmenschliche Fratze, eine Klaue, einen dicken Stock, und er fragte: „Ist sie eine Hexe? Kann sie zaubern?“
„Am liebsten möchte sie es“, bestätigte Jeanne. „Aber das ist noch nicht das Schlimmste.“
„Speit sie Feuer? Frißt sie Kinder?“
„Beides; aber es gelingt ihr nicht immer. Denn die Bosheit hat Gott zu unserem Glück mit der Dummheit bestraft. Mein Sohn, von diesem allen darfst du keinem Menschen auch nur ein Wort verraten.“
„Ich werde alles für mich behalten, meine liebe Mama, und werde mich hüten, damit ich nicht gefressen werde.“ Er war im Augenblick ganz erfüllt von seinen Vorstellungen und glaubte daher nicht, daß er sie und die Worte seiner Mutter je werde verlieren können.
„Halte vor allem fest an dem wahren Glauben, den ich dich gelehrt habe!“ sagte Jeanne innig und auch drohend; er erschrak wieder und diesmal tiefer.
Dies war das erste, was Henri von seiner Mutter Jeanne d’Albret hörte über Katharina von Medici; und dann wurde wirklich gereist.
Voran fuhr ein großer alter Wagen aus Leder, er trug den Erzieher des Prinzen, mit Namen La Gaucherie, er trug zwei Pastoren und mehrere Lakaien. Dann folgten sechs bewaffnete Reiter, lauter protestantische Edelleute, dann der mit rotem Samt ausgeschlagene Wagen der Königin, darin saß Jeanne mit ihren beiden Kindern und drei Damen. Den Beschluß des Zuges machten wieder die berittenen Herren „von der Religion“.
Am Anfang der Reise war alles wie zu Hause, die Sprache, die Gesichter, die Landschaft und das Essen. Henri und seine kleine Schwester Catherine unterhielten sich aus dem Fenster mit den Dorfkindern, die im Trab ein Stück mitliefen. Wegen der Wärme des Juli blieben die Wagen geschlossen. Mehrmals übernachtete man noch im eigenen Land, auch in Nérac, der zweiten Residenz; die ganze reformierte Bevölkerung versammelte sich dort am Abend, die Pastoren predigten, Psalmen wurden gesungen. Einige Zeit führte der Weg durch die Guyenne, früher Aquitania, deren Hauptstadt Bordeaux war, und als Vertreter des Königs von Frankreich galt hier Antoine von Bourbon, der Gatte Jeannes. Dann aber begann die Fremde.
Länder eröffneten sich, von denen ein Kind der Pyrenäen nicht einmal im Traum jemals erfahren hatte. Wie die Leute gekleidet waren! Wie sie sich ausdrückten! Man verstand, aber konnte nicht antworten. Die Flüsse waren nicht mehr ausgetrocknet, wie sie im Sommer doch sein müßten. Kein Ölbaum mehr, sogar die kleinen Esel wurden selten. Am Abend blieb die Reisegesellschaft allein unter Unbekannten, und die Protestanten stellten Wachen vor die Türen, den Katholiken hier war nicht zu trauen. Gestern hatten die Pastoren versucht zu predigen, waren aber von der Überzahl der Feinde vertrieben aus dem kahlen Bethaus, das weit draußen vor der Stadt stand; auch die Königin von Navarra mit ihren Kindern war gezwungen worden, eilig zu flüchten. Um so größer war das Glück, an einem Ort eine Mehrheit von Glaubensgenossen zu finden. Dann wurde Jeanne empfangen wie die Abgesandte der Religion, sie war erwartet worden, ihr Ruf war ihr vorausgeeilt, alle wollten ihre Kinder sehen, sie mußte sie auf erhobenen Armen dem Volk zeigen. Die Pastoren predigten, Psalmen wurden gesungen, und ein festliches Gelage setzte ein.
Sie waren schon achtzehn Tage unterwegs, da überschritten sie bei Orleans die Loire. Sie vermieden die Stadt, die bewaffneten Hugenotten lenkten ihre Pferde so nahe wie möglich am königlichen Wagen, ihn gaben sie erst recht nicht frei, als die Boten der Königin von Frankreich erschienen. Es waren Hofleute, die Jeanne artig bewillkommneten, aber sie brachten eine Leibwache von Katholiken mit, und diese erhoben den Anspruch, näher am Wagen zu reiten als die Hugenotten. Die dachten an kein Nachgeben, und es kam zum Handgemenge. Der kleine Henri beugte sich aus dem Fenster und feuerte die Seinen an, in seiner und ihrer Sprache, die anderen verstanden sie nicht. Ein Regenguß trennte die Streitenden, notgedrungen lachten sie und wurden wieder artig. Dunkel hing der Himmel über den ungewohnten Pappeln, die im Winde rauschten. Kühl war es im August und nicht geheuer.
„Was sind das für schwarze Türme, Mama, und warum brennen sie?“
„Die Sonne versinkt hinter dem Schloß von Saint-Germain, wohin wir fahren, mein Kind. Dort wohnt die Königin von Frankreich. Du weißt doch noch alles, was ich dir sagte, und was du mir versprochen hast.“
„Ich weiß es, liebe Mutter.“
Erste Begegnungen
So trat er zuerst denn auf wie ein kleiner Hahn, stolz und kampflustig. Allerdings bekam er anfangs nur Dienerschaft zu sehen, sie trennten ihn aber von seiner Mutter, nur seinen Erzieher behielt er bei sich im Zimmer, und dann wurde Fleisch aufgetragen, so viel Fleisch! Als es auch am nächsten Tage nichts anderes gab, verlangte er dringend nach den heimischen Melonen, dies war ihre Jahreszeit. Er weinte, aß nichts und wurde zu seinem Trost in den Garten geschickt. Der Regen hatte endlich aufgehört.
„Ich will zu meiner Mutter. Wo ist sie?“
Ihm wurde der Bescheid: „Bei Madame Catherine“, und er erschrak, weil ihm bekannt war, das sei die Königin. Er fragte nicht weiter.
Er trug seine beste Kleidung, hinter ihm gingen zwei Herren, sein Erzieher La Gaucherie und Larchant, ein Béarner Edelmann. Auf einer Wiese kamen ihm drei andere Knaben entgegen, auch sie mit Gefolge, aber es war zahlreicher. Henri bemerkte sogleich, daß sie sich nicht benahmen wie Jungen, die spielen wollten; der älteste besonders drehte sich in den Hüften und trug den Kopf hoch, als wäre er ein erwachsener Hofmann; auf seinem weißen Barett saßen Federn.
„Meine Herren“, fragte Henri nach rückwärts, „wer ist der Vogel?“
„Achtung!“ flüsterten sie. „Es ist der König von Frankreich.“
Jetzt hielten die beiden Gesellschaften voreinander an, der junge König stand gegenüber dem kleinen Prinzen von Navarra. Er bewegte sich nicht mehr, sondern wartete auf Henri. Der ließ sich Zeit, ihn zu betrachten. Karl der Neunte hatte nicht nur das weiße Barett, er war ganz und gar in Weiß. Seinen Hals umschloß eine weiße Krause, das Gesicht ruhte darauf, er hielt es halb abgewendet, sein Blick kam von der Seite. Schlau und traurig schien er zu sagen: ,Dich kenne ich schon. Es ist schlimm genug, daß ich euch alle kennen muß.‘
Henri fühlte sich lustig werden, zum erstenmal, seit er hier war. Er hätte laut aufgelacht, aber hinter ihm raunten sie nochmals: „Achtung!“ Da warf der Siebenjährige sich vor dem Zwölfjährigen zuerst in die Brust, dann neigte er den Rumpf bis auf die Füße und streifte mit der rechten Hand im Halbkreis über den Boden. Er wiederholte diese Übung zu beiden Seiten des Königs und endlich sogar in seinem Rücken, mehrere der Herren lächelten darüber. Anders Larchant, der Edelmann aus dem Gefolge Jeannes; er ließ sich vor Karl auf ein Knie nieder und erklärte:
„Sire! Der Prinz von Navarra hat noch keinen großen König gesehen.“
„Er selbst wird nie einer werden“, sagte Karl, ließ die Worte vor sich hinfallen und schloß sogleich wieder fest den Mund unter seiner fleischigen Nase. Jetzt wurde Henri zornig; seine sanften und freundlichen Augen fingen zu blitzen an, er rief:
„Das lassen Sie nicht meine Mutter hören, und auch Ihre nicht, die statt Ihrer regiert!“
Es waren etwas zu geringschätzige Worte, als daß ein König sie hätte hören dürfen; die Herren hinter Karl dem Neunten erschraken.