Gesammelte Werke: Psychoanalytische Studien, Theoretische Schriften & Briefe. Sigmund Freud

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Gesammelte Werke: Psychoanalytische Studien, Theoretische Schriften & Briefe - Sigmund Freud

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getroffen, ebenso aber Bruder und Schwester. Sie dürfen sich einander nicht nähern, einander nicht die Hand geben, keine Geschenke machen, dürfen aber in der Entfernung von einigen Schritten miteinander sprechen. Die Strafe für den Inzest mit der Schwester ist der Tod durch Erhängen.

      Auf den Fiji-Inseln sind diese Vermeidungsregeln besonders strenge; sie betreffen dort nicht nur die blutsverwandte, sondern selbst die Gruppenschwester. Um so sonderbarer berührt es uns, wenn wir hören, daß diese Wilden heilige Orgien kennen, in denen eben diese verbotenen Verwandtschaftsgrade die geschlechtliche Vereinigung aufsuchen, wenn wir es nicht vorziehen, diesen Gegensatz zur Aufklärung des Verbotes zu verwenden, anstatt uns über ihn zu verwundern.

      Unter den Battas auf Sumatra betreffen die Vermeidungsgebote alle nahen Verwandtschaftsbeziehungen. »Es wäre für einen Batta z. B. höchst anstößig, seine eigene Schwester zu einer Abendgesellschaft zu begleiten. Ein Battabruder wird sich in Gesellschaft seiner Schwester unbehaglich fühlen, selbst wenn noch andere Personen mit anwesend sind. Wenn der eine von ihnen ins Haus kommt, so zieht es der andere Teil vor wegzugehen. Ein Vater wird auch nicht allein im Hause mit seiner Tochter bleiben, ebensowenig wie eine Mutter mit ihrem Sohne … Der holländische Missionär, der über diese Sitten berichtet, fügt hinzu, er müsse sie leider für sehr wohlbegründet halten.« Es wird bei diesem Volke ohneweiters angenommen, daß ein Alleinsein eines Mannes mit einer Frau zu ungehöriger Intimität führen werde, und da sie vom Verkehr naher Blutsverwandter alle möglichen Strafen und üblen Folgen erwarten, tun sie recht daran, allen Versuchungen durch solche Verbote auszuweichen.

      Bei den Barongos an der Delagoa-Bucht in Afrika gelten 305 merkwürdigerweise die strengsten Vorsichten der Schwägerin, der Frau des Bruders der eigenen Frau. Wenn ein Mann diese ihm gefährliche Person irgendwo begegnet, so weicht er ihr sorgsam aus. Er wagt es nicht, aus einer Schüssel mit ihr zu essen, er spricht sie nur zagend an, getraut sich nicht, in ihre Hütte einzutreten, und begrüßt sie nur mit zitternder Stimme.

      Bei den Akamba (oder Wakamba) in Britisch-Ostafrika herrscht ein Gebot der Vermeidung, welches man häufiger anzutreffen erwartet hätte. Ein Mädchen muß zwischen ihrer Pubertät und ihrer Verheiratung dem eigenen Vater sorgfältig ausweichen. Sie versteckt sich, wenn sie ihn auf der Straße begegnet, sie versucht es niemals, sich neben ihn hinzusetzen, und benimmt sich so bis zum Moment ihrer Verlobung. Von der Heirat an ist ihrem Verkehr mit dem Vater kein Hindernis mehr in den Weg gelegt.

      Die bei weitem verbreitetste, strengste und auch für zivilisierte Völker interessanteste Vermeidung ist die, welche den Verkehr zwischen einem Manne und seiner Schwiegermutter einschränkt. Sie ist in Australien ganz allgemein, ist aber auch bei den melanesischen, polynesischen und den Negervölkern Afrikas in Kraft, soweit die Spuren des Totemismus und der Gruppenverwandtschaft reichen, und wahrscheinlich noch darüber hinaus. Bei manchen dieser Völker bestehen ähnliche Verbote gegen den harmlosen Verkehr einer Frau mit ihrem Schwiegervater, doch sind sie lange nicht so konstant und so ernsthaft. In vereinzelten Fällen werden beide Schwiegereltern Gegenstand der Vermeidung.

      Da wir uns weniger für die ethnographische Verbreitung als für den Inhalt und die Absicht der Schwiegermuttervermeidung interessieren, werde ich mich auch hier auf die Wiedergabe weniger Beispiele beschränken.

      Auf den Banks-Inseln »sind diese Gebote sehr strenge und peinlich genau. Ein Mann wird die Nähe seiner Schwiegermutter meiden wie sie die seinige. Wenn sie einander zufällig auf einem Pfade begegnen, so tritt das Weib zur Seite und wendet ihm den Rücken, bis er vorüber ist, oder er tut das nämliche«. »In Vanua Lava (Port Patteson) wird ein Mann nicht einmal hinter seiner Schwiegermutter am Strande einhergehen, ehe die steigende Flut nicht die Spur ihrer Fußtritte im Sande weggeschwemmt hat. Doch dürfen sie aus einer gewissen Entfernung miteinander sprechen. Es ist ganz ausgeschlossen, daß er je den Namen 306 seiner Schwiegermutter ausspricht oder sie den ihres Schwiegersohnes.«

      Auf den Salomons-Inseln darf der Mann von seiner Heirat an seine Schwiegermutter weder sehen noch mit ihr sprechen. Wenn er ihr begegnet, tut er nicht, als ob er sie kennen würde, sondern läuft, so schnell er kann, davon, um sich zu verstecken.

      Bei den Zulukaffern »verlangt die Sitte, daß ein Mann sich seiner Schwiegermutter schäme, daß er alles tue, um ihrer Gesellschaft auszuweichen. Er tritt nicht in die Hütte ein, in der sie sich befindet, und wenn sie einander begegnen, geht er oder sie beiseite, etwa indem sie sich hinter einem Busch versteckt, während er seinen Schild vors Gesicht hält. Wenn sie einander nicht ausweichen können und das Weib nichts anderes hat, um sich zu verhüllen, so bindet sie wenigstens ein Grasbüschel um ihren Kopf, damit dem Zeremoniell Genüge getan sei. Der Verkehr zwischen ihnen muß entweder durch eine dritte Person besorgt werden, oder sie dürfen aus einiger Entfernung einander zuschreien, wenn sie irgendeine Schranke, z. B. die Einfassung des Kraals, zwischen sich haben. Keiner von ihnen darf den Namen des andern in den Mund nehmen.« (Frazer, 1910, Bd. 2, 385.)

      Bei den Basoga, einem Negerstamme im Quellengebiete des Nils, darf ein Mann zu seiner Schwiegermutter nur sprechen, wenn sie in einem anderen Raume des Hauses ist und von ihm nicht gesehen wird. Dieses Volk verabscheut übrigens den Inzest so sehr, daß es ihn selbst bei Haustieren nicht straflos läßt. (Frazer, 1910, Bd. 2, 461.)

      Während Absicht und Bedeutung der anderen Vermeidungen zwischen nahen Verwandten einem Zweifel nicht unterliegen, so daß sie von allen Beobachtern als Schutzmaßregeln gegen den Inzest aufgefaßt werden, haben die Verbote, welche den Verkehr mit der Schwiegermutter betreffen, von manchen Seiten eine andere Deutung erfahren. Es erschien mit Recht unverständlich, daß alle diese Völker so große Angst vor der Versuchung zeigen sollten, die dem Manne in der Gestalt einer älteren Frau entgegentritt, welche seine Mutter sein könnte, ohne es wirklich zu sein. (Vgl. Crawley, 1902, 405.)

      Diese Einwendung wurde auch gegen die Auffassung von Fison erhoben, der darauf aufmerksam machte, daß gewisse Heiratsklassensysteme darin eine Lücke zeigen, daß sie die Ehe zwischen einem Manne 307 und seiner Schwiegermutter nicht theoretisch unmöglich machen; es hätte darum einer besonderen Sicherung gegen diese Möglichkeit bedurft.

      Sir J. Lubbock führt in seinem Werke Origin of Civilisation das Benehmen der Schwiegermutter gegen den Schwiegersohn auf die einstige Raubehe (marriage by capture) zurück. »Solange der Frauenraub wirklich bestand, wird auch die Entrüstung der Eltern ernsthaft genug gewesen sein. Als von dieser Form der Ehe nurmehr Symbole übrig waren, wurde auch die Entrüstung der Eltern symbolisiert, und diese Sitte hielt noch an, nachdem ihre Herkunft vergessen war.« Es wird Crawley leicht zu zeigen, wie wenig dieser Erklärungsversuch die Einzelheiten der tatsächlichen Beobachtung deckt.

      E. B. Tylor meint, die Behandlung des Schwiegersohnes von seiten der Schwiegermutter sei nichts anderes als eine Form der »Nichtanerkennung« (cutting) von seiten der Familie der Frau. Der Mann gilt als Fremder, und dies so lange, bis das erste Kind geboren wird. Allein abgesehen von den Fällen, in denen letztere Bedingung das Verbot nicht aufhebt, unterliegt diese Erklärung dem Einwand, daß sie die Orientierung der Sitte auf das Verhältnis zwischen Schwiegersohn und Schwiegermutter nicht aufhellt, also den geschlechtlichen Faktor übersieht, und daß sie dem Moment des geradezu heiligen Abscheus nicht Rechnung trägt, welcher in den Vermeidungsgeboten zum Ausdruck kommt. (Crawley, 1902, 407.)

      Eine Zulufrau, die nach der Begründung des Verbotes gefragt wurde, gab die von Zartgefühl getragene Antwort: »Es ist nicht recht, daß er die Brüste sehen soll, die seine Frau gesäugt haben.«

      Es ist bekannt, daß das Verhältnis zwischen Schwiegersohn und Schwiegermutter auch bei den zivilisierten Völkern zu den heikeln Seiten der Familienorganisation gehört. Es bestehen in der Gesellschaft der weißen Völker Europas und Amerikas zwar keine Vermeidungsgebote mehr für die beiden, aber es würde oft viel Streit und Unlust vermieden, wenn solche noch als Sitte bestünden und nicht von den einzelnen Individuen wieder aufgerichtet werden müßten. Manchen Europäern mag es als ein Akt hoher Weisheit erscheinen,

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