Der Tod der Schlangenfrau. Ulrike Bliefert
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»Wenn du mich fragst«, unterbrach von Jadow die Gedanken seines Gegenübers, »dann hat der Täter sich für seine Tat ein reichlich kompliziertes Mordszenario ausgedacht.«
»Wie auch immer.« Von Barnstedt war im Namen seiner Jugendliebe Sidonie verschnupft und nicht gewillt, das Thema »schwarze Konkubinen« weiterzuverfolgen.
Die Rechnung, die er eine halbe Stunde später zu begleichen hatte, war deutlich höher als geplant, und er war fest entschlossen, wenigstens das Geld für eine Droschke einzusparen und zu Fuß nach Haus zu gehen. Doch Max von Jadow ließ es sich nicht nehmen, ihn in seiner Motorkutsche heimzufahren. »Wo darf’s denn hingeh’n?«
»Kreuzberg. Fichtestraße 2«, brummte von Barnstedt. Ganz sicher, dachte er, wohnt Max in einem herrschaftlichen Haus mit allem Drum und Dran. Womöglich sogar in der Villenkolonie im Grunewald, wo nur die Allervornehmsten sich ihre Häuser bauen lassen. Seine Parterrewohnung in der Fichtestraße konnte da nicht mal im Ansatz konkurrieren, auch wenn es dort ein kleines Gärtchen gab. Dort prangte an der Wand – hinter dem vierflügeligen, hübsch verzierten Plumpsklohäuschen – ein grandioses Landschaftsbild: Da gab es eine Burg und Berge und einen Mann zu Fuß und einen Mann zu Pferde. Es hieß, es handle sich um eine Szene aus der Oper »Don Giovanni«. Das Bild erstreckte sich über die gesamte Rückseite des Nachbarhauses. Wenn Kommissar von Barnstedt sich – in sicherer Entfernung vom Toilettenhäuschen – auf seiner weiß gestrichenen Holzbank niederließ, dann dachte er sich die Berge einfach weg und träumte, seinen Feierabendschoppen in der Hand, von seinem Heimatdorf in Mecklenburg.
Der Daimler ruckelte beim Anfahren und riss von Barnstedt unsanft in die Gegenwart zurück. Der Lärm, den Max von Jadows pferdelose Kutsche auf dem Kopfsteinpflaster machte, war zwar nicht intensiver als das jedermann vertraute Hufgetrappel, doch als sie in die weniger belebten Nebenstraßen kamen, hagelte es Schimpftiraden aus den Fenstern.
»Verzieh dir bloß mit deine Rumpelkiste!«
»Den Krach brauch keener sich jefallen lassen!«
»Jenau! Die Dinger braucht keen Mensch! Die sind nur jut zum Dicketun!«
»Det sag ick ja! Und nischt dahinter!«
Von Jadow schien den Aufruhr zu genießen – bis irgendwann der Tank leer war. Die schicke, neue Motorkutsche blieb ganz einfach stehen und tat keinen Wank.
Von Barnstedt half seinem Freund, aus einer mitgeführten Kanne Treibstoff nachzufüllen. Anschließend warf er einen Blick auf seine Taschenuhr und stellte fest, dass er mit einer Pferdedroschke längst zu Hause wäre. Sein Mantelärmel war verschmutzt, und seine Hände rochen nach Benzin. Er hoffte inständig, dass diese nichtsnutzigen Motorkutschen ganz schnell aus der Mode kämen. Genauso wie Musketen und gepuderte Perücken.
Als sie am Mietshaus in der Fichtestraße ankamen, klopfte von Jadow seinem Schulfreund kräftig auf die Schulter. »Adieu, mein Lieber. Und komm bitte möglichst bald einmal zu uns.«
Von Barnstedt schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass keiner seiner Nachbarn ihn beim Aussteigen aus Max von Jadows Knatterkasten sah und sich womöglich anderntags bei ihm beschwerte. Kaum hatte er die Wohnungstüre aufgeschlossen, brach es auch schon aus ihm heraus. »Ach, weißt du, der von Jadow ist im Grunde ja kein schlechter Kerl. Und eine Mitgliedschaft in seinem noblen Herrenclub – das bedeutet: Beziehungen, von denen man als kleiner Polizeibeamter sonst nur träumen könnte. Natürlich kann er Sidonie viel eher all das bieten, was ihr zusteht. Nur, weißt du: Ich hab trotzdem niemals damit aufgehört, an sie zu denken.« Er öffnete die Tür zur Speisekammer und fand ein Restchen frische Sahne. »Na, Mullemaus, ’n kleines Leckerchen, bevor wir beide in die Heia geh’n?«
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