Der Tod der Schlangenfrau. Ulrike Bliefert
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Читать онлайн книгу Der Tod der Schlangenfrau - Ulrike Bliefert страница 5
»Ein Hagestolz ist schwerlich zu bekehren …«
»Wilhelm Busch?«
»Nö. Goethe.«
Als kurz nach den beiden Runtschen-Schwestern drei junge Afrikaner eintrafen, klatschte Weinfurth begeistert in die Hände. »Also doch einer mehr! Da hätt’ ich den Burschen vom Central-Hotel ja gar nich jebraucht! Aber, na jut, Negersklaven kann man nie jenuch haben, oder?«
Niemand lachte. Weinfurth hielt es offenbar nicht für nötig, die Neuankömmlinge vorzustellen: Die Männer grüßten die Damen mit einer höflichen Verbeugung und verschwanden ohne ein Wort hinter dem Paravent, der zum Umkleiden der männlichen Darsteller aufgestellt worden war.
»Ach?« Auguste stemmte kampflustig die Hände in die Hüften. »Haben die Herren keine Namen?«
»Owambo, Kawumba oder wat weiß isch?« Weinfurth grinste. »Sind Schauneger, von der Kolonialausstellung ausjeliehen. Zwei davon kennen Se ja von jestern Abend. Den dritten kenn ich nich. Der is wohl für sein’ Kumpel einjesprungen. Hat nit mitgekriegt, dat ich schon ’nen Ersatzneger hab für den, wo isch sons immer hatte. Der hat ja jestern Abend unerwartet dat Zeitlische jesegnet.« Er zuckte mit den Schultern. »Dünnpfiff oder Lungenentzündung oder wat auch immer. Hat wahrscheinlisch die Berliner Luft nit vertragen.«
Auguste und Henrietta wechselten einen raschen Blick, doch bevor eine der beiden Weinfurths Geschwätz etwas entgegensetzen konnte, betrat eine weitere junge Frau den Raum, begleitet von einem schwarzen Pagen im Livree des Central-Hotels.
»Meine Teuerste! Willkommen.« Weinfurth katzbuckelte übertrieben, küsste der jungen Frau die Hand und wandte sich dann mit großer Geste an die anderen Anwesenden. »Und das hier ist meine Hauptdarstellerin! Darf ich vorstellen: Charlotte Paulus, oder besser: Samirah, die Schlangenfrau!«
Auch mit sorgfältig unter dem Hut gebändigter Lockenpracht und in ein schlichtes graues Faltencape gehüllt, war die Schlangentänzerin eine eindrucksvolle Erscheinung: Die ungewöhnlich großen, blauen Augen und der für Rothaarige typische fast durchsichtige Teint verliehen ihr etwas Kühles, Unnahbares. Nachdem sie Auguste und Henrietta begrüßt hatte, zog sie sich hastig in Lina Kröschkes Schminke- und Perücken-Reich zurück. Der schwarze Page stand wartend am Lift.
»Ach herrje!«, stieß Weinfurth hervor, »dat Problem hat sich ja nu eigentlisch geklärt. Also jenau jenommen brauch ich dich nit.« Er wandte sich, auf den Pagen deutend, an Henrietta und Auguste. »Sehnse, dat is der, wo für den, der jestern Nacht gestorben is, einspringen sollte. Aber die ha’m ja nu Ersatz jeschickt.« Er überlegte kurz, und als der Page sich nicht von der Stelle rührte, gab er sich einen Ruck. »Ach, wat soll et? Isch sag immer: Hauptsache farbescht, nä?« Er lachte, als handle es sich um ein besonders gelungenes Bonmot. »Also dann mal – wie sagt man in Berlin? – rin inne jute Stube!« Weinfurth versicherte sich der Wertschätzung seiner Bemühungen um den lokalen Dialekt mit einem triumphierenden Blick in die Runde.
Der Page begrüßte Henrietta mit einer tiefen Verbeugung. »Mein Name ist Ndeschio Temba, guten Morgen, gnädige Frau.« Er sprach fast akzentfrei Deutsch.
»Henrietta Droydon-Jones. Enchantée!« Henrietta lächelte und streckte ihm die Hand zur Begrüßung hin.
Wenn das den jungen Afrikaner überraschte, so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. »Gnädiges Fräulein …«
Auch Auguste reichte ihm die Hand. »Angenehm. Auguste Fuchs.«
»He! Edgar!«, brüllte Weinfurth in Richtung Paravent, »steck den hier fürs Erste in die Fächersklavenklamotten, ja?« Er dirigierte den Pagen unsanft in die improvisierte Umkleidekabine und wandte sich dann wieder den Damen zu. »Wie jesagt: Der sollte einspringen für der, wo jestern abgekratz…«, er korrigierte sich hastig, »… für den Neger, der wo jestern jestorben is. Der Kerl arbeitet drüben im Central-Hotel als Page, aber hält sisch anscheinend für wat Besseres.«
»Was Besseres als wer?«, fragte Auguste mit unschuldigem Augenaufschlag. Die Rolle der Naiven wollte allerdings nicht so recht zu ihrem souveränen Umgang mit Kameras, Stativen und hoch explosivem Blitzpulver passen. Trotz all seiner zur Schau getragenen Selbstsicherheit bemerkte Weinfurth den sarkastischen Unterton. »War nur so ’ne Redensart«, brummte er gereizt und rief nach Lina Kröschke, um sich auf Sultan, Pascha, Kalif oder Maharadscha schminken zu lassen; seine Kundschaft nahm es in diesen Dingen nicht so genau.
Ein gute halbe Stunde später steckten die Runtschen-Schwestern, tiefbraun geschminkt, in bunt bestickten Westen und gestreiften Pluderhosen, während Cornelius und Frans Morenga – Auguste hatte die beiden Darsteller kurzerhand nach ihren Namen gefragt – wie am Abend zuvor zwei »nubische Musikanten« gaben. Der dritte Afrikaner hatte mit Krummsäbel und Fez als wachhabender Eunuche zu fungieren. Er ging völlig in seiner Rolle auf und reagierte auf Augustes Frage nach seinem Namen wie die Bärenmützenträger vor dem Buckingham Palace: Er starrte stumm geradeaus und verzog keine Miene.
Schließlich trat Weinfurth mit »Taddah!« hinter dem Paravent hervor und begutachtete seine Verwandlung ausgiebig im Spiegel. Auch er trug Pluderhosen. Sein nackter, schwarz behaarter Oberkörper lugte aus einem verschlusslosen roten Mantel hervor, und seinen Kugelbauch zierte eine breite, leuchtend gelbe Schärpe. Auf dem Kopf trug er einen überdimensionalen, grün schillernden Turban mit goldener Zierspange. Während er sich – höchst zufrieden mit seinem Spiegelbild – zum Diwan hinüberbegab und sich dort behaglich ausstreckte, machte Auguste Notizen zu jedem einzelnen Detail seines Kostüms. Zwar waren der Fantasie der Lithografen keine Grenzen gesetzt, wenn sie die Aufnahmen später in Farbdrucke verwandelten, aber so hatten sie zumindest einen Anhaltspunkt für Weinfurths grellbunte Vision eines ägyptischen Frauengelasses. Während die beiden Bühnenarbeiter einen täuschend echt wirkenden Springbrunnen installierten, klingelte Henrietta zwei Etagen tiefer bei Hulda Preissing und bat sie, für die Pause ein paar kalten Platten, Tee und Limonade vorzubereiten.
Und Auguste fotografierte. Die Dekorationen und Kostüme wechselten, im Mittelpunkt stand jedoch stets Charlotte Paulus: mal als des Sultans Lieblingsfrau in wechselnden Gewändern aus Samt und goldglänzendem Brokat, mal Wasserpfeife rauchend auf den Diwan hingegossen in einem hauchzarten japanischen Kimono aus bemalter Seide, dessen Vorhandensein in einem ägyptischen Harem Henrietta mit einem indignierten Kopfschütteln quittierte. »Das glaubt einem doch endgültig kein Mensch!«
»Doch!«, Auguste grinste. »Ich glaube, je fremdländischer etwas daherkommt, desto begeisterter ist das Publikum. Aus dem Leben Gegriffenes haben sie schließlich genug zu Hause.«
Dem Kimono folgte ein Ensemble aus Pluderhosen und Perlen-Bustier, und Charlotte Paulus ließ sich zu Füßen des Sultans nieder, zu dessen Unterhaltung auf einer exotisch anmutenden, bauchigen Flöte spielend.
»Jambo nzuri ni kwamba huwezi kusikia muziki huu mbaya kwenye picha«, wisperte Ndeschio Temba, als sie dem Instrument versuchsweise ein paar Töne entlockte. Charlotte lächelte – zum ersten Mal an diesem Tag.
»Was hast du gesagt?«, fuhr Weinfurth Temba an.
Temba tat, als habe er die Frage nicht gehört.
»Er hat gesagt, es wär’ gut, dass man die Töne auf den Bildern nicht hört«, antwortete Charlotte Paulus an seiner Stelle. Sie lächelte noch immer.
»Aha«, grunzte Weinfurth. »Aber hier wird gefälligst