Maigret beim Minister. Georges Simenon

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Maigret beim Minister - Georges  Simenon Georges Simenon

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ist das Bauunternehmen, das Clairfond erbaut hat.«

      Maigret begann zu bereuen, dass er gekommen war. Bei aller Sympathie, die er für Auguste Point empfand, die Geschichte, die er ihm da erzählte, bereitete ihm ebenso viel Unbehagen, wie wenn jemand im Beisein einer Frau einen anzüglichen Witz erzählt. Widerwillig versuchte er, Points Rolle in dieser Tragödie zu erraten, die hundertachtundzwanzig Kinder das Leben gekostet hatte. Fast hätte er ihn rundheraus gefragt:

      »Was haben Sie damit zu tun?«

      Er ahnte, dass Politiker, vielleicht sogar Persönlichkeiten in hohen Positionen darin verwickelt waren.

      »Ich werde versuchen, mich kurzzufassen. Der Ministerpräsident hat mich also gebeten, genaue Nachforschungen im Archiv meines Ministeriums anzustellen. Die Hochschule für Straßen- und Brückenbau untersteht dem Ministerium direkt. Logischerweise müsste es irgendwo in unseren Akten zumindest eine Abschrift des Calame-Berichts geben.«

      Wieder der berühmte Calame-Bericht.

      »Haben Sie nichts gefunden?«

      »Nichts. Vom Keller bis unters Dach sind Tonnen verstaubter Akten durchstöbert worden – ohne Ergebnis.«

      Maigret begann unruhig auf seinem Sessel hin- und herzurutschen, was seinem Gesprächspartner nicht entging.

      »Sie mögen Politik nicht?«

      »Das kann man wohl sagen.«

      »Ich auch nicht. So seltsam es scheinen mag: Ich habe mich vor zwölf Jahren zur Wahl gestellt, um gegen die Politik zu kämpfen. Und als man mich vor nunmehr drei Monaten aufgefordert hat, Kabinettsmitglied zu werden, tat ich es immer noch in der Hoffnung, ein wenig Sauberkeit in die öffentlichen Angelegenheiten bringen zu können. Meine Frau und ich sind einfache Leute. Sie sehen ja die Wohnung, in der wir während der Sitzungsperioden der Kammer leben, seit ich Abgeordneter bin. Es ist eigentlich mehr eine Junggesellenbude. Meine Frau hätte in La Roche-sur-Yon bleiben können, wo wir unser Haus haben, aber wir sind es nicht gewöhnt, uns zu trennen.«

      Er sprach natürlich, ohne jede Sentimentalität.

      »Seit ich Minister bin, wohnen wir offiziell im Ministerium am Boulevard Saint-Germain, aber wir flüchten so oft es geht hierher, vor allem sonntags.

      Nun, das ist ja unwichtig. Ich habe Sie aus einer öffentlichen Telefonzelle angerufen, wie Ihre Frau Ihnen sicher berichtet hat, denn Sie haben, wenn ich mich nicht irre, die gleiche Art von Frau wie ich. Ich habe es getan, weil ich der Telefonzentrale im Ministerium misstraue. Ich glaube – ob zu Recht oder Unrecht, weiß ich nicht –, dass meine Telefongespräche aus dem Ministerium, vielleicht sogar die aus dieser Wohnung, irgendwo aufgezeichnet werden, und ich will lieber gar nicht wissen, wo. Ich sage Ihnen ganz offen, dass ich heute Abend in einem Kino an den Boulevards durch eine Tür hinein und durch eine andere hinausgegangen bin und zweimal das Taxi gewechselt habe. Trotzdem könnte ich nicht beschwören, dass das Haus nicht überwacht wird.«

      »Ich habe niemanden bemerkt, als ich gekommen bin.«

      Nun empfand Maigret ein gewisses Mitleid. Bisher hatte Point versucht, in einem ruhigen Ton zu sprechen, aber jetzt, als er zum entscheidenden Punkt des Gesprächs kam, stockte er und redete um den heißen Brei herum, als fürchtete er, Maigret könne sich ein falsches Bild von ihm machen.

      »Das Archiv des Ministeriums ist auf den Kopf gestellt worden, und weiß Gott, es gibt dort Aktenstapel, an die sich kein Mensch mehr erinnert. In der Zeit wurde ich mindestens zweimal täglich vom Ministerpräsidenten angerufen, und ich bin nicht einmal sicher, ob er mir vertraut.

      Auch in der Hochschule für Straßen- und Brückenbau wurde alles durchsucht, bis gestern Morgen ebenfalls ohne Erfolg.«

      Maigret konnte nicht umhin, zu fragen, wie man sich nach dem Ende eines Romans erkundigt:

      »Und, hat man den Calame-Bericht inzwischen entdeckt?«

      »Jedenfalls etwas, das der Calame-Bericht zu sein scheint.«

      »Wo?«

      »Auf einem Speicher der Hochschule.«

      »Von einem Professor?«

      »Von einem Aufseher. Gestern Nachmittag hat man mir den Anmeldezettel eines gewissen Piquemal gebracht, von dem ich noch nie etwas gehört hatte, und auf dem Zettel stand mit Bleistift geschrieben: Den Calame-Bericht betreffend. Ich habe den Mann sofort empfangen. Vorher habe ich allerdings Mademoiselle Blanche, meine Sekretärin, aus dem Zimmer geschickt. Ich habe sie schon seit zwanzig Jahren – sie stammt auch aus La Roche-sur-Yon und war schon in meiner Anwaltskanzlei für mich tätig. Sie werden gleich sehen, warum das wichtig war. Auch mein Kabinettschef war nicht im Zimmer, ich befand mich dort also allein mit einem Mann mittleren Alters, der mit starrem Blick stumm vor mir stand und ein in graues Papier eingewickeltes Paket unterm Arm hielt.

      ›Monsieur Piquemal?‹, habe ich ein wenig unruhig gefragt, denn einen Augenblick lang dachte ich, ich hätte es mit einem Verrückten zu tun.

      Er hat genickt.

      ›Bitte nehmen Sie Platz.‹

      ›Das lohnt sich nicht.‹

      Ich hatte das Gefühl, dass er mich nicht gerade wohlwollend ansah.

      Fast grob hat er mich dann gefragt:

      ›Sind Sie der Minister?‹

      ›Ja.‹

      ›Ich bin Aufseher in der Hochschule für Straßen- und Brückenbau.‹

      Er kam dann zwei Schritte näher, reichte mir das Paket und sagte im gleichen Ton:

      ›Öffnen Sie es, und geben Sie mir eine Empfangsbestätigung.‹

      Das Paket enthielt ein etwa vierzigseitiges Dokument, offensichtlich eine Abschrift:

       Bericht zum Bauvorhaben eines Sanatoriums in Clairfond, Haute-Savoie

      Das Dokument war nicht von Hand unterschrieben, sondern auf der letzten Seite war der Name Julien Calames wie auch sein Titel und das Datum mit der Schreibmaschine getippt.

      Immer noch stehend, wiederholte Piquemal:

      ›Ich möchte eine Empfangsbestätigung.‹

      Ich habe ihm handschriftlich eine ausgestellt. Er hat sie gefaltet, in eine abgenutzte Brieftasche gesteckt und sich zur Tür gewandt. Ich habe ihn zurückgerufen.

      ›Wo haben Sie diese Papiere gefunden?‹

      ›Auf dem Speicher.‹

      ›Sie werden wahrscheinlich eine schriftliche Erklärung abgeben müssen.‹

      ›Man weiß ja, wo ich zu finden bin.‹

      ›Haben Sie dieses Dokument jemandem gezeigt?‹

      Er hat mich verächtlich angesehen:

      ›Nein, niemandem.‹

      ›Gab es weitere Abschriften?‹

      ›Nicht,

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