Die Nacht der Schakale. Will Berthold

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Die Nacht der Schakale - Will Berthold

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einen Moment lang ins Leere und legte dann auf. »Sorry, Lefty«, entschuldigte er sich, »aber wir sind bereits wieder einen Schritt weiter: Ein neuerlicher Hinweis aus Ostberlin. Die gleiche Quelle. Wiederum stichhaltig. Freilich kann es auch raffiniertes Spielmaterial sein – trotzdem sehe ich erstmals seit langem eine Chance, den DDR-Staatssicherheitsdienst auszunehmen wie einen Thanksgiving-Truthahn.« Die Falten in seinem Gesicht probten ein seltsames Fixierspiel; es sollte wohl ein Lächeln sein. »Natürlich ist es noch zu früh, um über eine Stasi-Schlappe zu jubilieren, aber wenn die Affäre hält, was sie verspricht, ist der Fall Guillaume ein vergleichsweise kleiner Fisch.«

      Es waren erst Mutmaßungen, aber der Vice war ein ausgekochter Profi mit seiner somnambulen Witterung für Zusammenhänge.

      »Wenn ich Sie recht verstehe, Sir«, erwiderte ich, »befindet sich No Name Case im Anfangsstadium?«

      »Unsere Chance, Lefty«, entgegnete Gregory. »Da ist wenigstens noch nichts verpfuscht worden. Lesen Sie die Unterlagen, durchdenken Sie die Fakten und teilen Sie mir so rasch wie möglich Ihre Bewertung mit.« Gregory erhob sich. »Ich hoffe, der Appetit kommt mit dem Lesen«, setzte er hinzu und geleitete mich sogar in den Nebenraum, der nur von seinem Office aus zu erreichen war.

      Ich sah schon beim ersten Blick in die Akten, was auf mich zukam.

      Mit einer Art Trotz setzte ich noch immer auf den Rückflug nach Bali, wiewohl ich wußte, daß man mit geplatzten Hoffnungen die Wände des riesigen CIA-Komplexes tapezieren könnte.

      Einen Moment kämpfte ich gegen den Impuls, Vanessa im Hyatt anzurufen. Aber Bali, der »Morgen der Welt‹, war der US-Ortszeit weit über einen halben Tag voraus, und drei Stunden nach Mitternacht wollte ich meine Feriengefährtin nicht aus dem Schlaf reißen – eine Rücksicht, die ich Stunden später bereuen sollte.

      Nur mühselig gelang es mir, mich von Fernost loszureißen und auf Ostberlin zu konzentrieren, auf die Geheimbesprechung des Untergrund-Generals Lupus in der Spionagefabrik an der Normannenstraße; sie hatte vor zehn Tagen stattgefunden, und der große Gregory verfügte über unbestätigte Teilunterlagen.

      Ich hätte gerne gewußt, wie zutreffend sie waren, wieweit man sie als vollständig betrachten konnte und woher wir sie bekommen hatten. Aber solcherlei Fragen werden weder gestellt noch beantwortet.

      In der Normannenstraße war ich seit Jahren gewissermaßen zu Hause, trotzdem blieb für mich die Stasi-Festung ein Labyrinth mit vielen Fallen und Stolperdrähten. Wir kannten unsere Gegenspieler, aber vieles, was wir über sie wußten, war eher unsicher als bewiesen, und von der Differenz zwischen Annahme und Tatsache leben alle Nachrichtendienste der Welt.

      2

      Gegen Mittag riß der Wind den niedrigen Himmel über Berlin auf. Aus der Wolkenwand rieselte das Licht wie Sägemehl aus einer überfahrenen Stoffpuppe. Die Iljuschin aus Moskau landete pünktlich auf die Minute und spuckte ihre Passagiere aus. Einige trugen trotz des Frühlings warme Pelzmützen, aber der Lenz stand an diesem Tag nur auf dem Kalenderpapier. Eine angeheiterte Betriebsgruppe des VEB Leuna schwenkte lärmend Papierfähnchen mit Hammer und Sichel. Der Wodka sorgte für sozialistische Fröhlichkeit.

      Aus dem Rudel, das von einer Bodenstewardeß zu dem Omnibus neben der Landetreppe geleitet wurde, scherte ein schlanker Zivilist aus, ein Mann Ende fünfzig, der wesentlich jünger aussah; er ging an den stramm grüßenden Vopos vorbei und auf die dunkle Limousine zu, die – entgegen der Vorschrift – auf dem Flugfeld zwischen den Versorgungsfahrzeugen stand.

      Der Vorzugspassagier mit der getönten Brille wirkte wie ein sportiver Bankdirektor oder auch wie ein Grundstücksmakler, dem man vertrauen konnte, aber sein Handelsgut waren Menschen, ihre Schicksale, ihre Verhaftung, ihr Freikauf. Im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) war er zuständig für Subversion, Diversion und Desinformation. Hinter diesen Fachausdrücken des Untergrunds verbargen sich die Einschleusung von DDR-Agenten in die Bundesrepublik, die Unterwanderung der dortigen Parteien und Gewerkschaften, die Ausspähung militärischer Einrichtungen der Bundeswehr, der Blick hinter die Bonner Regierungsmaschine, der Schacher mit Menschen, die – unverschuldet oder schuldig – in den Gewahrsam der sogenannten Arbeiter-und-Bauern-Republik geraten waren, und die systematische Verbreitung von Falschinformationen, mit deren Hilfe die Gegenspieler im Westen düpiert werden sollten.

      Keiner der Passagiere hatte den Untergrund-General Alexander Lupus erkannt, auch der schwankende Funktionär nicht, der ihn während des Flugs in seiner Schnapslaune wiederholt und zwecklos zum Mittrinken genötigt hatte. Vom Chef des russischen Geheimdienstes (KGB) in Moskau war dem Besucher der Rückflug zum Ost-Berliner Regierungsflughafen Schönefeld in einer sowjetischen Militärmaschine angeboten worden, aber es entsprach der Auffassung von Sparsamkeit dieses Großverbrauchers an Steuergeldern, unnötige Repräseritationskosten zu vermeiden.

      Für den Aufwand gab er nur Geld aus, wenn er ihn aus der eigenen Tasche bezahlte, für englische Zigaretten der Marke Navy Cut zum Beispiel, für Antiquitäten, Orientteppiche, Seidenhemden und Anzüge aus englischem Tuch. Er ließ sie in Londons Saville Row anfertigen, in der der begüterte britische Gentleman schneidern läßt. Dabei erschien er freilich nie zur Anprobe. Bis auf seine Rumpfpuppe war den westlichen Geheimdiensten bis vor kurzem keinerlei Identitätshinweis auf den General Lupus in die Hände gefallen.

      Sabotka holte seinen Vorgesetzten ab, aus dessen Gang der Vertraute des Generals sofort schloß, daß der neue Chef des sowjetischen Geheimdienstes – und Lubjanka-Hausherr am Dschersinskiplatz – dem brisanten Vorschlag zugestimmt und damit den Fall Sperber abgesegnet hatte.

      »Verdammt kalt in Berlin«, sagte Alexander Lupus, den seine Freunde ›Sascha‹ nannten. »Und in Moskau herrscht schon Frühsommerwetter.« Er reichte seinem persönlichen Referenten im Majorsrang, der auch die Limousine fuhr, die Hand. »Nach Lichtenberg«, setzte er hinzu.

      Er hatte eine angenehme Stimme, die nicht lauter wurde, wenn sie Befehle gab, schon weil sie auch so gehört und peinlich genau befolgt wurde. Lupus war als Chef der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) der zweitwichtigste Mann im Staatssicherheitsministerium an der Normannenstraße, das die DDR-Bürger die Firma ›Horch und Guck‹ nannten.

      »Bis auf Oberst Grewe, der noch in Bulgarien Ferien macht, werden die Genossen um vierzehn Uhr zur Stelle sein«, meldete Sabotka. »Wir hätten noch Zeit, in Niederschönweide vorbeizufahren.«

      »Nein, danke, Sabotka«, erwiderte Lupus. »Ich werde meine Frau vom Büro aus anrufen.«

      Der in Moskau aufgewachsene Sohn eines deutschen Emigranten, in den Kommunismus so natürlich hineingewachsen wie Nackenhaare in den Hemdkragen, führte ein mustergültiges Familienleben. Seine Passionen waren bescheiden: Er spielte Tennis, ging gern auf die Jagd und schätzte klassische Musik ebenso wie das Fußballspiel. Da er wenig Zeit hatte, war einer seiner Leute beauftragt worden, Video-Aufzeichnungen über die Höhepunkte der gerade in Spanien stattfindenden Fußball-Weltmeisterschaft zu machen.

      Der Mann mit den dunkelblonden, leicht angegrauten Haaren beschäftigte 17000 feste Mitarbeiter sowie weitere 100000 ehrenamtliche Spitzel – und nach Schätzung seiner westlichen Gegenspieler 10000 bis 20000 Agenten in der Bundesrepublik.

      Die schwere, fast lautlos fahrende Limousine hatte den Ostberliner Stadtteil Lichtenberg erreicht und bog in die Normannenstraße ein; sie wurde von einem riesigen Gebäudekomplex beherrscht. Aus dem früheren und erweiterten Finanzamtsgebäude einem Haus von seniler Stabilität, war ein Untergrund-Silo geworden, eine Agentenzentrale, die innerhalb der DDR über 16 Bezirks- und 220 Kreisverwaltungen verfügte und vier Fünftel aller je festgestellten Spionage-Aktivitäten in der Bundesrepublik betrieb. Auf deutschem Boden hatten die subversiven

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