Politisches Storytelling. Michael Müller
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Übertragen auf den politischen Kontext: Ein rechtspopulistisches Narrativ wäre das von der Islamisierung des Abendlandes. Eine Geschichte könnte sein, dass in einer bestimmten Kleinstadt zu einem bestimmten Zeitpunkt 200 vornehmlich aus islamischen Ländern stammende Flüchtlinge einquartiert wurden, und wie die Einheimischen darauf reagierten (im Deutschland der letzten Jahre ja meist ungnädig). Und eine konkrete Erzählung dieser Geschichte könnte man bei einem Wahlkampfauftritt eines rechtspopulistischen Politikers miterleben, der natürlich bestimmte Aspekte dieser Geschichte, die in sein ideologisches System passen, kräftig ausschmückt.
Ein Problem im Kontext dieses Beispiels ist, dass gesellschaftliche Narrative die dahinterliegenden Denk- und Handlungsmuster durch das häufige Erzählen von entsprechenden Geschichten scheinbar immer wieder belegen und verstärken. Angenommen, in einer bestimmten Gruppe herrscht das Narrativ vor, dass die meisten männlichen Flüchtlinge gefährliche »Messermänner« (um das Unwort von Alice Weidel zu zitieren) seien, die nur darauf warten, jemanden (bevorzugt »Biodeutsche«) niederzustechen. Das Narrativ könnte dann so aussehen: »Merkel hat die Grenzen geöffnet. Dann kamen lauter gefährliche Messermänner ins Land. Jetzt ist die Gefahr für die einheimische Bevölkerung sehr groß.« Mit jeder Erzählung einer (realen oder erfundenen) Geschichte einer Gewalttat eines Flüchtlings bekommt dieses Narrativ neue Nahrung. Und ein weiteres Problem ist, dass offenbar ›Counter-Storys‹, also die Erzählung von Geschichten von positiven Integrationserlebnissen mit Geflüchteten, nicht die gewünschte Wirkung erbringen. Die Einzelgeschichten werden zwar als Belege für das ›Messermänner‹-Narrativ angeführt, aber die Menschen denken nicht wie ein empirischer Forscher: Es gibt so und so viele Belege, daher schließen wir auf ein Theorem (in diesem Fall in Form eines Narrativs). Es läuft eher umgekehrt: Die Menschen wollen an ein Narrativ glauben und suchen dann nach Belegen. Das ist auch einer der Gründe, warum Menschen mit einer bestimmten Überzeugung (zum Beispiel einer fremdenfeindlichen) nicht auf positive Beispiele und Argumente reagieren.
Schließlich brauchen wir, um die Topografie des Erzählens zu vervollständigen, noch die Aktanten einer Geschichte. Den Begriff hat der französische Literaturwissenschaftler A. J. Greimas 1971 geprägt, um gewissermaßen das »Kraftfeld« ursprünglich mythologischer bzw. märchenhafter Erzählungen beschreiben zu können. Die Aktanten einer Geschichte definieren gewissermaßen eine Landkarte der Bedeutungen einer Geschichte.
Abb. 2: Die Aktanten einer Geschichte
Die Aktanten einer Geschichte sind:
•Das Subjekt, bzw. der Protagonist oder die Heldin einer Geschichte. Jede Geschichte ist die Geschichte von jemandem bzw. über jemanden, jede Geschichte hat eine Hauptfigur. Das kann natürlich – gerade im politischen Bereich – auch eine Gruppe sein (die Arbeiter, das Kapital, die SPD).
•Das Objekt ist das Ziel oder das Wunschobjekt, das die Protagonistin der Geschichte erreichen möchte. Greimas spricht vom »Begehren« (GREIMAS 1971: 165), das der Antrieb jeder Geschichte ist. In jeder Geschichte geht es letztlich um das Ziel, das Wunschobjekt, das die Protagonistin erreichen möchte: den geliebten Partner gewinnen, den Schatz finden, Macht erlangen, sich aus einer schwierigen Lage befreien etc. Die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Hauptfigur und ihrem Wunsch ist das Rückgrat jeder Geschichte und jedes Narrativs.
•Der Sender oder Auftraggeber ist diejenige Instanz in der Geschichte, die den Protagonisten gewissermaßen ›losschickt‹, um sein Ziel zu erreichen. Das kann natürlich die Protagonistin selbst sein (wie z.B. in einer Unternehmensgründerinnen-Geschichte) oder eine Person oder eine Institution. Der Auftraggeber der Bundeskanzlerin ist das Parlament und letztlich der Souverän, also das deutsche Volk. Auftraggeber kann aber auch ein zeitlicher Umstand sein: eine Pandemie – wie Covid 19 – bricht aus und die Regierung muss darauf reagieren.
•Der Empfänger oder Nutznießer ist diejenige Instanz, die davon profitiert, wenn die Protagonistin ihr Wunschobjekt gewinnt. Das kann wiederum die Hauptfigur selbst sein (wie in einer Liebes- oder Schatzsuchergeschichte); Nutznießer einer klugen Klimapolitik wäre einerseits die Umwelt, andererseits aber und vor allem die gesamte Menschheit, deren Überleben gesichert wäre.
•Der Adjuvant oder Helfer unterstützt die Hauptfigur auf dem Weg zu ihrem Ziel. Dieser Aktant kann ebenfalls wieder mit einer Person (Dr. Watson in den Sherlock-Holmes-Geschichten) oder mit einer Institution (der Europäische Gerichtshof) oder mit einem zeitlichen Umstand (die anziehende Konjunktur) besetzt sein.
•Ähnliches gilt für den Opponenten oder Gegenspieler: Dieser Aktant kann von einem Bösewicht (Professor Moriarty, um bei Sherlock Holmes zu bleiben), einer Institution (zum Beispiel dem ›Islamischen Staat‹) oder einem Umstand (eine Dürreperiode) besetzt sein.
Verändert man einen dieser Aktanten, verändert man die Geschichte und ihre Bedeutung. Erzählt man beispielsweise die Geschichte einer Person so, dass es ihr Wunsch ist, die Welt zu einem besseren Ort zu machen oder so, dass ihr Ziel die eigene Bereicherung ist?
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