Nice Girls. Louise Boije af Gennäs
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Catta betrachtete ihre Großcousine und vielleicht beste Freundin. Gunvor, die vor langer Zeit mit dem Fahrrad gestürzt war und den Förster gegen das Schienbein getreten hatte, als er ihr aufhelfen wollte, weil sie glaubte, er sei so einer, der kleinen Mädchen nachstellt. Gunvor, die sich bei der Konfirmation unmöglich gemacht hatte, als sie sagte, Jesus wurde von Petrus Pilatius verraten. Gunvor, die in der Tanzstunde immer zuletzt aufgefordert wurde, die immer wegen eines falschen Jungen in der Parallelklasse heulte, die in den Schulaufführungen immer Riesenerfolge feierte mit ihren Imitationen von älteren Schülern und Lehrern. Gunvor, auf deren Sofa sich Catta sicher fühlte, sicherer als sonstwo. Gunvors Augen glänzten, wie gewöhnlich, ihre Wangen ebenso. Sie war mollig, hatte dunkles lockiges Haar und lächelte, und sie erinnerte an einen eifrigen Welpen, der zeigen wollte, daß er ein Stöckchen holen konnte, wenn man es nur erst geworfen hatte.
Tüchtiges Hündchen.
Catta sog den Rauch ein, so tief, daß ihre Lungen schmerzten. Schlechtes Gewissen und unfreiwillige Liebe packten sie, und sie fühlte, daß sie diese Mischung nicht mochte.
»Laß hören«, sagte sie.
6.
Dreitausendvierhundertzweifundfünfzig Schritte von dort entfernt, wenn man die Hamngatan direkt hinunterging, ohne vor dem Bankhaus ein Eis zu kaufen, den Norrmalmstorg überquerte und die Bibliotheksgatan vor dem Stureplan kreuzte, nur einen raschen Blick ins Fenster von ›Les Enfants Gâtés‹ warf, die Birger Jarlsgatan hinaufging und den Bekannten, die beim Essen bei ›Arnold’s‹ saßen, nur einen Gruß zuwinkte, ein gutes Stück der Straße folgte und in die Roslagsgatan einbog, dann die Odengatan hinunterlief, direkt bis zum Sveavägen, und im Vorübergehen nur kurz ins Schaufenster vom Pressedienst hineinsah, danach die Steigung zum Odenplan mit ziemlich großen Schritten und schwingenden Hüften nahm, um bei den Rokkern am ›Hard Rock Café‹ und ›McDonald’s‹ ein bißchen Aufmerksamkeit zu erregen, nur als kleine Belohnung, weil es den Berg hinaufging, die Zeit an der Gustav Vasa-Kirche mit der eigenen Armbanduhr verglich, ohne langsamer zu werden, und dabei feststellte, daß man sich irgendwo zwischen elf und sechs befand (ihren normalsten Öffnungszeiten), dem gut bekannten Ober bei ›Tranan‹ zunickte und nach rechts in die – außer für Busse – verbotene Durchfahrtsgasse zur Upplandsgatan einbog und kaum fünfzig Meter auf der Straße entlangschlenderte, also dreitausendvierhundertzweiundfünfzig Schritte von dort entfernt, lag Stellas Laden.
Stella war nicht da.
An der Tür des winzigen Geschäfts, wo alles von lustiger Second-Hand-Kleidung bis zu extremen Importen aus London und New York in einem heillosen Durcheinander verkauft wurde, hing ein Zettel: »Bin Zeitungen holen. Komme gleich!«
Und wirklich, da kam Stella mit langen Schritten vom U-Bahn-Kiosk am Odenplan heran, in geblümten Nylonstrümpfen, Dr. Johnson-Schnürtretern und einem extrem knappen langärmligen Hemd oder vielleicht Minikleid aus schwarzem Sackleinen. Ihre Haare hatte sie auf dem Kopf zusammengezwirbelt, mit einem Stift mittendrin, und sie trug eine große Sonnenbrille aus weißem Plastik. Unter ihrem Arm steckten Expressen, Aftonbladet und Slitz, ordentlich gebündelt. Heute waren nicht sehr viele Kunden zu erwarten.
Stella schloß die Tür mit ihren knochigen, weißen Händen auf und ging in den Laden.
Sie hatte den kleinen Raum selbst in grellem Grün und Rosa gestrichen und vom Boden bis zur Decke mit Kleidungsstücken, Accessoires, Schuhen und Schmuck vollgestopft. Für den Besucher war es ein lustiger Raum, man konnte sich gut und gern eine halbe Stunde darin aufhalten und umsehen, ohne zu ermüden, bis auf die Nackenmuskeln vielleicht. Doch für Stella war der Laden nicht so amüsant. Sie hatte jedes einzelne Stück selbst ausgesucht und die meisten Sachen auch getragen. Manches hatte sie schon ziemlich satt.
Sie ging geradewegs hinein und setzte sich hinter den kleinen Ladentisch. Nicht immer machte es Spaß, ein Geschäft zu besitzen. Draußen im Licht auf dem Odenplan lebte Stella auf; die Leute drehten sich nach ihr um, sie erregte Aufsehen bei den meisten. Hier drinnen in der Dunkelheit welkte sie wie eine Blume ohne Nährstoffe.
Stella ohne Aufmerksamkeit.
Hätte man in dem Moment die Tür geöffnet und wäre zu Stella hereingekommen, mit der Absicht, irgend etwas bei ihr zu kaufen, hätte sie den Kopf gehoben und dich vermutlich mit strahlendem Lächeln begrüßt. Dann hätte sie die Beine übereinandergeschlagen, einen schweren Treter über dem anderen wippen und die geblümten Strumpfbeine lang und schlank unter der Rockkante sehen lassen.
»Kann ich dir helfen oder willst du dich nur umsehen?« hätte sie gefragt, und man hätte leicht verhext vor ihr gestanden und sie ein paar Zehntelsekunden nur angestarrt.
»Danke, ich will mich nur umsehen«, hätte man vermutlich geantwortet.
Dann hätte sich Stella wieder zurückgelehnt, vielleicht das Bein gewechselt, das rechte über das linke geworfen, um weitere Aufmerksamkeit auf ihre Strümpfe zu lenken, und wäre dir lächelnd mit dem Blick gefolgt oder wieder zu ihrer Lektüre zurückgekehrt.
»Es gibt Kaffee, wenn du willst«, hätte sie gesagt.
Man hätte »nein, danke ...« gestammelt, außerstande, noch mehr von dieser schattengleichen Königin zu verlangen, dieser Maria aus dem Hades mit den geblümten Beinen.
Man hätte die fantastischen Kreationen auf den Bügeln rasch durchgeschaut, hätte verwundert Ohrringe angehoben, lang wie Halsketten, und Armbanduhren, groß wie Wecker, und man hätte Sonnenbrillen mit runden Riesengläsern vor die Augen gehalten, aus blauem Plastik und mit rot, grün und rosa fluoreszierenden Bügeln. Man hätte es vielleicht sogar gewagt, ein paar von ihnen aufzusetzen und sich im Spiegel zu betrachten, nur um festzustellen, daß man ein Niemand war, ein Nichts, und sie gleich wieder herunterzureißen.
Nie zuvor hatte man so deutlich begriffen, daß man nur eine kleine, graue Maus war! Nie zuvor hatte man begriffen, welch unvorteilhafte Gesichtsform man hatte, welch knirpsige Nase (die immer süß genannt worden war, was für eine Lüge), welch rattenfarbenes Haar!
Man hätte hastig, um nicht mehr Aufmerksamkeit als unbedingt nötig auf sich zu ziehen, die Sachen auf den Ständern an den Wänden durchgesehen, doch hätte man garantiert nicht ein einziges Stück probiert. Ein Blick auf diese goldglitzernden Bodies, diese quergestreiften Leggings, diese Kleider mit Schleppe aus Großmutters Zeit, kombiniert mit Minirock, diese Skipants in Zitronengrün und Lila hätte gereicht, um zu verstehen, daß die eigene Figur – o Gott, wie unförmig! – in jeder einzelnen dieser mystischen Plünnen entsetzlich makaber ausgesehen hätte.
Stellas Welt war eine exklusive Welt, und darin hatten nur Leute wie Stella Platz. Rätselhafte, rothaarige Schönheiten mit sahneweißer Haut, wenig Schminke und lautem, natürlichem Lachen, Frauen, die anscheinend Zugang zum Schlüssel des Universums hatten, zum Geheimnis des unkomplizierten, aber dennoch hippen, immer trendrichtigen Lebens, die konnten vielleicht bei Stella kaufen. Solche Leute bevölkerten Stellas Welt.
Man selbst fühlte sich, als sei man im Museum, in einem Zukunftsmuseum, in dem vielleicht die eigenen Kinder kaufen würden, doch niemals man selbst. Wenn man in Stellas Laden stand, war man ein Relikt aus vergangener Zeit. Stella auf ihrem Stuhl war der Mittelpunkt des Lichts, neben der Lampe, die ihre perfekte Nackenlinie mit all den kleinen Härchen unter der roten Wölbung des Knotens beleuchtete, und mit einem zerplatzenden Kaugummi zwischen den starken Kiefern.
Stella