Dialekt und Standardsprache in der Deutschdidaktik. Hubert Klausmann

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Dialekt und Standardsprache in der Deutschdidaktik - Hubert Klausmann

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gesprochenen Dialekte zu finden sind. Entsprechend groß ist – innerhalb und außerhalb von Schule und Universität – das Ausmaß an Unsicherheit und Irritation im Umgang mit der deutschen Sprache, was sich insbesondere populäre SprachpflegerSprachpflege zu Nutze machen: In oft fragwürdiger, weil fachlich verkürzter bzw. linguistisch nicht haltbarer Weise werden um den richtigen SprachgebrauchSprachgebrauch bemühten Laien und Profis (wie etwa Deutschlehrern und Journalisten) gleichermaßen Ratschläge und Hilfestellungen gegeben. So stellen beispielsweise die beiden Sprachwissenschaftler Péter MaitzMaitz, Péter und Stephan ElspaßElspaß, Stephan, die ihrerseits wesentliche Erkenntnisse zu einem reflektierten Umgang mit Dialekt und Standardsprache beigetragen haben, mit Blick auf den bekannten Sprachratgeber „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ bzw. dessen Autor und linguistischen Laien Bastian SickSick, Bastian fest: Er „kann sich aber von seinem latenten Ideal der kultivierten und über allen Varietäten stehenden standardsprachlichen Norm nicht lösen“2 – obwohl nicht nur die (nicht-standardsprachliche) Alltagssprache, sondern auch die Standardsprache selbst Variation aufweist.

      Weitere Brisanz gewinnt die Auseinandersetzung mit den Themen Dialekt und Standardsprache vor dem Hintergrund der seit dem sogenannten Pisa-Schock (2000) anhaltenden bildungspolitischen Diskussion über nationale BildungsstandardsBildungsstandards und deren Umsetzung auf unterschiedlichen Ebenen: in den Bildungsplänen der Länder, in zentralen Prüfungen wie etwa dem Abitur oder auch in bundesweiten Lernstandserhebungen wie z.B. Vera 3 und Vera 8.3 Denn der politisch motivierte Versuch der Vereinheitlichung von Bildungsprozessen setzt (fast) zwangsläufig ein Konzept von sprachlicher KompetenzKompetenz, sprachliche voraus, welches die – von Kultusministerkonferenz (KMK), Bildungsplanmachern usw. – definierten Standards über die Vielfalt, das National-Einheitliche über das Regional-Besondere stellt. Aus den genannten Gründen wollen wir uns unserem Thema nicht nur in beschreibender und erklärender Weise nähern; wir geben auch Hinweise zum sinnvollen Umgang mit bzw. zum sinnvollen Gebrauch von Dialekt und UmgangsspracheUmgangssprache, wobei wir unseren Fokus insbesondere auf die folgenden Schwerpunkte legen:

       die Entwicklung und Fundierung der Konzepte „Dialekt“, „Standardsprache“ und „Umgangssprache“ auf der Basis sprachwissenschaftlicher Grundlagen,4

       die Frage nach dem „richtigen“ Umgang mit diesen Konzepten im sprachlichen Alltag, insbesondere in Schule und Universität,

       die Formulierung eines (dialektfreundlichen) Konzepts sprachlicher KompetenzKompetenz, sprachliche, in dem die genannten Teilaspekte in sinnvoller Weise berücksichtigt werden.

      Unser eigener sprachwissenschaftlicher und didaktischer Standpunkt (Point of view), den wir am Ende des Kapitels „Grundlagen“ weiter ausführen und mit Blick auf die Fragen nach einem sinnvollen Umgang mit den Themen Dialekt und Standardsprache konkretisieren werden, ist dabei die linguistisch fundierte SprachkritikSprachkritiklinguistische, wie sie Jürgen SchieweSchiewe, Jürgen, Martin WenglerWengler, Martin, Jörg KilianKilian, Jörg u.a. in den letzten Jahren in diversen Publikationen differenziert begründet und überzeugend ausformuliert haben (vgl. Kap. 4.4).5 Darüber hinaus teilen wir die Sicht des Kulturwissenschaftlers Thomas BauerBauer, Thomas, nach der es die Vielfalt nicht nur in der Natur, sondern auch in kultureller und sprachlicher Hinsicht zu erhalten gilt. In seinem Essay „Die Vereindeutigung der Welt – Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt“ kritisiert Bauer neben dem Artensterben in der Natur „in nie dagewesenem Umfang“ auch das Aussterben bedrohter Sprachen und Dialekte.6 Wenn man wie dieser Kulturwissenschaftler der Ansicht ist, dass auch das Verschwinden von sprachlicher Vielfalt einen Verlust darstellt – und wir sind dieser Ansicht –, dann gilt es, zum einen, zumindest mit Blick auf Deutschland bzw. die deutsche Sprache, nach den Faktoren für dieses Verschwinden und geeigneten Gegenstrategien zu fragen (vgl. Kap. 3); zum anderen ist bei der Bestimmung dessen, was aus deutschdidaktischer Perspektive unter sprachlicher KompetenzKompetenz, sprachliche zu verstehen ist, auf diese Herausforderung angemessen zu reagieren. Dazu, wie dies geschehen kann, werden wir gegen Ende des theoretischen Teils (in Kap. 4) einen Vorschlag unterbreiten.

      Auch wenn unser Schwerpunkt auf der Situation in Deutschland liegt, kann dieses Arbeitsbuch für Interessierte anderer deutschsprachiger Länder ebenfalls von Nutzen sein, da grundsätzliche Aussagen über Konzepte und Strategien verallgemeinerbar und auf unterschiedliche Sprachsituationen anwendbar sind. Es richtet sich in erster Linie an Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer, Studierende des Faches Germanistik sowie Referendarinnen und Referendare des Faches Deutsch, aber auch Personengruppen, die außerhalb des Fachbereichs Deutsch professionellen Umgang mit der Sprache haben, wie z. B. Zeitungsredakteure, Journalisten und Verantwortliche in Radio und Fernsehen.

      1.2 Aufbau des Buchs

      Da es unser Bestreben ist, das Spannungsfeld zwischen Dialekt und Standardsprache zu beschreiben und nach Strategien zu suchen, mit denen eine Kommunikation innerhalb dieses Spannungsfeldes ohne DiskriminierungDiskriminierungsprachliche gelingen kann, müssen wir zunächst einmal die Grundlagen für die folgende Diskussion schaffen. Dies ist die Aufgabe von Kapitel 2. Hier wollen wir Begriffe wie Dialekt, Standardsprache, UmgangsspracheUmgangssprache klären, auf das für jede Sprachbetrachtung fundamentale Phänomen des SprachwandelsSprachwandel eingehen, den ebenso wichtigen Unterschied zwischen SchriftlichkeitSchriftlichkeit, konzeptionelle und MündlichkeitMündlichkeit, konzeptionelle herausstellen und die regionale Varietät in das Konzept der inneren MehrsprachigkeitMehrsprachigkeitinnere einbetten. In Kapitel 3 gehen wir dann einen Schritt weiter und zeigen auf, wie die Dialekte entstanden sind, wie man sie gliedert, wie es zu Dialektgrenzen kommen und was man über ihre Zukunft sagen kann. Ebenso wird hier die Entstehung der Standardsprache genauer beschrieben, um abschließend Dialekt und Standardsprache in Beziehung zu setzen: Wann und wie werden sie im Alltag verwendet? Und inwiefern zeigt auch die Standardsprache regionale Varianz? Nachdem somit die Sprachwirklichkeit im süddeutschen Raum beschrieben ist, steht in Kapitel 4 der Umgang in der Gesellschaft mit regionaler Varietät im Zentrum. Hierbei müssen zunächst verschiedene sprachliche IdeologienIdeologie, sprachliche vorgestellt werden, da sie bei der DiskriminierungDiskriminierungsprachliche von Sprecherinnen und Sprechern mit regionaler Varietät eine zentrale Rolle spielen. Ein Blick in die Schweiz und nach Norwegen macht kontrastiv deutlich, dass eine sprachliche Varietät auch in einer modernen, wirtschaftlich erfolgreichen Gesellschaft akzeptiert, gefördert und gelebt werden kann. Da wir bei allen unseren Betrachtungen und Analysen von einer linguistisch fundierten SprachkritikSprachkritiklinguistische ausgehen, die nach einer Bestandsaufnahme auch Lösungsvorschläge macht, stellen wir am Ende des Kapitels unser dialektfreundliches Konzept sprachlicher KompetenzKompetenz, sprachliche vor. In Kapitel 5 soll dieses Konzept schließlich mit der schulischen Praxis in Verbindung gebracht werden: Was sagen die Bildungspläne zum Thema Dialekt-Standardsprache und wie setzen die Sprachbücher diese Vorgaben um? Was wissen gerade aus dem Studium kommende Referendarinnen und Referendare des Faches Deutsch über Dialekt und Standardsprache und wie gehen sie bei der Beurteilung von regionalen Varianten in der Standardsprache vor? Aber nicht nur in der schulischen Praxis spielen sprachliche IdeologienIdeologie, sprachliche und DiskriminierungDiskriminierungsprachliche eine Rolle. Auch in den MedienMedien wird ein falsches Bild von der Standardsprache gepflegt und verbreitet, was am Ende des Kapitels anhand einiger Beispiele aufgezeigt wird. Nachdem der Nachweis erbracht wurde, dass sprachliche Ideologien und damit automatisch Diskriminierungen von Sprecherinnen und Sprechern einer regionalen Varietät im schulischen Alltag eine Rolle spielen, fordern wir in Kapitel 6 Konsequenzen sowohl für den Umgang mit Schülerinnen und Schülern, die Dialekt oder eine RegionalspracheRegionalsprache sprechen, als auch für den Unterricht Deutsch als Zweitsprache/Fremdsprache, wo die deutsche Standardsprache nach wie vor als ein homogenes Gebilde vorgestellt wird, das es in der Wirklichkeit nicht gibt. Um allen Lehrenden die Arbeit an diesem für uns wichtigen Thema zu erleichtern, haben wir im Arbeitsteil (Kapitel 7) schließlich zahlreiche Aufgaben, Arbeitsmaterialien, Internetseiten und Aufsätze zusammengestellt.

      2. Grundlagen: Linguistische Aspekte und Voraussetzungen

      Die im folgenden Kapitel

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