Barro, der Braunbär. Lothar Streblow
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Читать онлайн книгу Barro, der Braunbär - Lothar Streblow страница 4
Die Bärin schien das nicht zu stören. Unbeirrt stapfte sie auf dem alten Wechsel zum Bach. Sie verspürte Durst, wollte trinken. Und die Kleinen folgten ihr.
Murmelnd plätscherte der Bach über rundgeschliffenes Geröll. Vorsichtig kletterte Barro auf einen Stein, tauchte seine Pfote ins Wasser. Das fühlte sich kalt an, kalt und naß. Und er leckte ein wenig davon. Das Wasser schmeckte ihm nicht. Er mochte lieber Milch. Aber Milch gab es jetzt nicht. Die beiden hatten ihre Morgenportion schon bekommen.
Burri machte es ihrem Bruder nach, geriet dabei aber auf einen ziemlich wackligen Felsbrocken. Der Fels kippte zur Seite. Und Burri platschte spritzend ins Wasser. Barro bekam eine Dusche. Und Burri krabbelte eilig aus dem Bach, tropfnaß und ein wenig verstört.
Inzwischen hatte die Bärin ihren Durst gestillt. Beunruhigt betrachtete sie das nasse Fell ihrer Kinder. Jetzt brauchten die beiden erst mal Wärme. In der feuchten Nebelluft würde es lange dauern, bis sie trockneten. Hier in dem schmalen Tal hielt sich der Nebel am längsten.
Aber sie wußte einen Weg. Sie kannte ihr Revier, das von dem stillen Waldsee an der unteren Talsohle bachaufwärts über den Fichtenwaldgürtel und die obere Birkenzone bis zur baumlosen Gebirgssteppe reichte, wo auf der weiten Tundra im Sommer die Krähenbeeren wuchsen. Dort oben fegte der Wind die Nebel von den kahlen Kuppen.
Mit einem energischen Brummen rief sie ihre Kinder. Groß genug waren sie inzwischen für eine Bergwanderung. Folgsam tappten die beiden hinter ihr her: über Geröll und freiliegende Wurzeln, durch nebelverhangenen Fichtenwald und dorniges Gestrüpp. Dumpf klangen die Geräusche ihrer Schritte im dichten Nebel.
Doch da waren auch noch andere Geräusche. Von irgendwo ertönte das laute Schnarren eines Tannenhähers, ein Schwarzspecht hämmerte rhythmisch an einen toten Baumstamm. Und im Wipfel einer Fichte knusperte ein Eichhörnchen an einem Zapfen. Barro horchte auf, blickte sich neugierig um. Doch der Nebel verhüllte alles.
Erst als die drei Bären an den Rand des Birkenwaldes kamen, wurde die Sicht etwas klarer. Nebelfetzen trieben zwischen krummwüchsigen Birken. Grell stand die Sonne über zerfaserndem Weiß. Und zwischen kahlem Gezweig hing ein tauglitzerndes Spinnennetz.
Das interessierte Barro. Er stellte sich auf die Hintertatzen, schob seine kleine Schnauze in das feinmaschige Gewebe. Und es zerriß. Lose Fäden klebten auf seiner Nase. Unbeholfen versuchte er, sie mit der Pfote wegzuwischen. Nur half das nicht viel. Überall in seinem zotteligen Fell hingen die Fäden. Und mit seinen Ohren spielte der Wind.
Auch die Bärin schnupperte in die rauhe Luft. Und sie führte die Kleinen in den Windschatten einer flachen Mulde. Hier am Südrand des Hochplateaus war es geschützter. Und als die Sonne durch zerwehende Nebelschwaden brach, wurde es warm. Nun konnten die Jungen trocknen.
Zufrieden wälzte Barro sich am Boden, schnüffelte an Moos und Rentierflechte und spielte eine Weile mit den Zehen seiner Hinterpfoten. Am blaßblauen Himmel sah er ein paar Kraniche ziehen. Doch das grelle Licht tat seinen Augen weh. Und er spürte die Müdigkeit nach der langen Wanderung. Schläfrig schloß er seine Lider.
Plötzlich schreckte er auf. In der Luft ertönte ein seltsames Brummen: gar nicht wie von einem Bären. Es klang viel lauter, viel metallischer. Und es kam schnell näher.
Furchtsam blinzelte Barro nach oben. Über der öden Hochfläche flog etwas heran, glitzernd im Sonnenlicht. Das Brummen wurde zum Dröhnen, unheimlich laut. Dann glitt ein Schatten über das kahle Fjäll, streifte über Barro hinweg und verschwand mit leiser werdendem Gebrumm hinter den fernen Höhenzügen.
Barro hatte sein erstes Flugzeug gesehen. Und es machte ihm angst. Schutzsuchend krabbelte er hinüber zu seiner Mutter. Und sie barg ihre Kinder tröstend an ihrem weichen Fell.
Hungriger Wolf
Ein heller Morgen wölbte sich über dem Tal. Hoch oben in durchsichtiger Bläue trieben zwei Kolkraben ihre kreisenden Spiele. Der Wiesenhang leuchtete blütenbunt. Schmetterlinge gaukelten zwischen Kratzdisteln und Eisenhut. Insekten summten aufdringlich. Und irgendwo am dichtbewachsenen Bachufer quakte ein verspäteter Frosch.
Die Bärin zog mit ihren Kindern bachabwärts. Aber sie ließ sich Zeit, stopfte sich den Bauch voll mit schmackhaften Gräsern und Kräutern. Und die Kleinen tobten spielend zwischen Dickicht und Uferrand.
Hier am Unterlauf weitete sich die Talsohle, übersät mit angespültem Geröll. Vom Hochwasser zerzaustes Weidengebüsch wucherte bis dicht ans Wasser. Dahinter am Berghang begann der Fichtenwald. Das Gelände war unübersichtlich, verbarg die zurückgebliebene Bärin.
Barro kümmerte sich nicht darum. Er hörte Burri hinter sich, das genügte ihm. Am Boden zwischen dem Grün entdeckte er eine Spur: eine frische Spur. Und die roch fremdartig. Das machte ihn neugierig. Unbefangen tappte er der Spur nach, streifte geräuschvoll durchs Gestrüpp.
Mit einemmal stutzte er. Etwas kleines Pelziges flitzte vor ihm durchs Gras und verschwand hinter einem moosbedeckten Fels. Und das reizte Barro. Zwar war er noch ein Milchkind und wollte nicht jagen, aber er wollte spielen. So sauste er mit drolligen Sprüngen hinterher. Doch das kleine Pelztier bekam er nicht. Der Waldlemming war schneller als er.
Dafür stand Barro hinter dem Fels plötzlich etwas viel Größerem gegenüber. Und das roch genau wie die Spur: ein grauhaariges, hochbeiniges Tier. Es war ein Wolf, ein alter einsamer Wolf, den sein Rudel ausgestoßen hatte und der hier im wärmeren Süden unterhalb des Polarkreises allein zurückgeblieben war. Für den altersschwachen Wolf blieb nur noch die Jagd auf kleinere Beute. Schon von weitem hatte er die Bärenkinder gewittert. Geifer troff von seinen Lefzen. Und aus seiner Kehle drang ein tiefes Knurren.
Vor Schreck wagte Barro kein Glied zu rühren. Er stand wie gelähmt, starrte auf die gefährlich spitzen Reißzähne des Wolfes. Da raschelte es vernehmlich hinter dem Felsblock. Der Wolf horchte auf, abgelenkt durch das Geräusch, und blickte in die andere Richtung.
Diesen Moment nutzte Barro. Wie gehetzt rannte er seitlich ins Gebüsch. Zweige und Äste peitschten sein Fell. Und einer traf seine Nase. Doch er achtete nicht darauf, stieß um ein Haar gegen den Stamm einer Birke. Und hinter sich hörte er das Hecheln des Wolfes.
Instinktiv umkrallte Barro den Baumstamm, zog sich nach oben. Doch so schnell er auch kletterte, der Wolf war fast im gleichen Augenblick heran. Mit einem gewaltigen Satz sprang er am Stamm hoch. Seine Kiefer schlugen zusammen, gerade als Barro seine rechte Hintertatze nachzog.
Aber Barro hatte Glück. Nur ein Fetzen von seinem Fell blieb zwischen den Wolfszähnen. Und Klettern konnte der Wolf nicht. Dann war Barro außer Reichweite. Von einem Seitenast blickte er angstvoll nach unten.
Der Wolf verharrte unschlüssig. Barro sah sein gesträubtes Fell, seine hochgezogenen Lefzen. Und er sah noch etwas anderes. Burri hatte ihren Bruder oben auf dem Seitenast im Wipfel der Birke entdeckt. Und nichtsahnend kam sie direkt auf den Wolf zu, den sie durch das wuchernde Gestrüpp am Boden nicht erkennen konnte.
Jetzt witterte der Wolf die neue Beute, hörte den tapsigen Bärentrott der kleinen Burri. Und ein lauernder Ausdruck glimmte in seinen Augen.
In diesem Augenblick übertönte ein anderes Geräusch Burris Tappen. Gar nicht weit entfernt brach ein mächtiger Körper durchs Gebüsch, Äste krachten, Steine polterten. Und es wurde lauter, kam näher. Dazwischen erklang ein tiefes Brummen, untermischt mit wütendem Fauchen.
Sekundenlang