Der Schimmel im Moor. Ursula Isbel-Dotzler

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Der Schimmel im Moor - Ursula Isbel-Dotzler

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style="font-size:15px;">      Plötzlich begriff ich, dass er einsam war. Auch wenn er seine Arbeit über alles liebte und in ihr aufging, wünschte er doch, mich bei sich zu haben und diesmal nicht allein fahren zu müssen.

      Diese Erkenntnis kam mir blitzartig, während ich ihm gegenübersaß und den fast kindlichen Ausdruck in seinen braunen Augen über der Halbbrille auffing. Dieser Blick machte mich wehrloser, als es jede Überredungskunst, jedes Drängen, jedes noch so ausgeklügelte Argument vermocht hätten.

      »Also gut«, sagte ich und seufzte. »Aber nur unter einer Bedingung. Ich will keine Horrorgeschichten hören, nicht eine einzige!«

      2

      Wir starteten an einem Freitag, gleich zu Beginn der Sommerferien, als alle Welt in Urlaub fuhr. Morgens luden wir das Auto mit Regenumhängen, Gummistiefeln, Schals, dicken Pullis, Schirmen und Wolldecken voll. Es war eine Ausrüstung, als wollten wir in die russische Taiga.

      Während wir inmitten einer Schlange von Fahrzeugen durch die Stadt zur Autobahn krochen, dachte ich flüchtig an sonnenglitzernde Strände, warme Nächte unter südlichem Himmel und Segelboote auf azurblauen Wellen; und meine Stimmung sank auf den Nullpunkt.

      »Hast du deinen Badeanzug eingepackt?«, fragte mein Vater und steuerte den Rover mit gewohnter Gelassenheit durch den dichten Verkehr.

      Ich sah ihn argwöhnisch von der Seite an. Wollte er sich über mich lustig machen? »Sehr witzig!«, murmelte ich.

      »Nein, du, ich meine es ernst. Natürlich regnet es in den Highlands öfter mal, und es kann auch ziemlich kühl werden, aber ich hab da schon herrliche Sommertage erlebt.«

      »Wie viele?«, fragte ich. »Zwei? Dreieinhalb?«

      Er lächelte sein geduldiges Lächeln. Dann erzählte er mir, dass er ein geräumiges Ferienapartment bei einer Frau namens Abercrombie gemietet hatte, mit einem Wohnzimmer, zwei Schlafzimmern, einer Terrasse und Blick auf den Loch Swan.

      »Gibt’s da auch eine Heizung?«

      »Einen offenen Kamin, glaube ich.«

      Wunderbar, dachte ich; also eins von diesen romantischen Dingern, bei denen man vorn fast verbrutzelt, während einem gleichzeitig Kälteschauer über den Rücken laufen.

      Trotz gelegentlicher Regengüsse war die Fahrt schön.

      Nachdem wir die Borders erreicht hatten, das alte Grenzland zwischen England und Schottland, verließen wir die Autobahn. Schmale, zum Teil nur einspurige Straßen führten in Windungen durch die saftig grüne Landschaft mit sanften Hügeln und Tälern, vorbei an Viehweiden, an Bächen und Flussläufen; und je näher wir dem Hochland kamen, desto wilder und eindrucksvoller wurde die Natur mit den fernen Gebirgsketten, deren Umrisse in purpurnen, smaragdgrünen und milchig opalgrauen Farbtönen verschwammen.

      »Ein Land wie aus einer alten Sage«, sagte mein Vater. Manchmal hatte er eine erstaunliche Fähigkeit, Dinge auf den Punkt zu bringen, doch das gehörte wohl auch zu seinem Beruf.

      Wir fuhren tiefer in die Berge hinein, durch Schluchten und Talsenken mit tiefblauen Seen und über einsame Anhöhen, auf denen der Wind zwischen Felskämmen pfiff. Schafe zogen durchs Geröll die Hänge hinauf und hinunter oder schmiegten sich dicht am Straßenrand gegen die Felswände. Überall sprudelten Quellen und moorige Tümpel glänzten im Gras wie dunkler Bernstein.

      Am frühen Nachmittag erreichten wir ein verschlafenes Nest in den Hügeln von Strathbogie, dessen Namen auf dem Ortsschild ich las und sofort wieder vergaß. Im Fox and Hounds, dem Dorfgasthaus, aßen wir Lachs mit Kräutersoße und Dillkartoffeln.

      Als wir das Gasthaus verließen, kam für knapp fünf Minuten die Sonne zwischen Wolkenschwaden hervor und tauchte die Ansammlung von Häusern und den kleinen Kirchturm in schimmerndes Licht.

      »Es wird schöner«, sagte mein Vater hoffnungsvoll, während wir über die Hauptstraße schlenderten, vorbei an Touristenläden, deren Auslagen von Whiskyflaschen, Kilts, handgestrickten Zopfpullovern und karierten Bommelmützen fast überquollen. Dazwischen prangte Nessie in allen Variationen: aus Porzellan, Gummi, Plastik, auf Tassen, T-Shirts, Postern und Keksdosen.

      Schon ein paar Kilometer weiter kam der nächste Regenschauer. Wir fuhren immer höher hinauf, in eine Region, in der es keine Bäume mehr gab, nur noch windzerzauste Ginsterbüsche, Farne, Heidekraut und vor allem Steine.

      »Die Highlands waren einmal ein waldreiches Gebiet«, erklärte mein Vater und wich einem Schaf aus, das mitten auf der Fahrbahn stand und gemütlich kaute. »Auch wenn man sich das heute kaum noch vorstellen kann. Dann kamen die Engländer und ließen die Wälder abholzen, um hier Schafzucht zu treiben – oder treiben zu lassen, sollte man wohl sagen. Dieser massive Eingriff in die Natur hat das ganze Klima im Hochland nachhaltig verändert.«

      Wir schienen uns immer weiter von der Zivilisation zu entfernen, je tiefer wir in die Berge kamen, über einspurige Straßen, die offenbar direkt ans Ende der Welt führten. Doch als ich schon nicht mehr erwartete, je wieder auf eine menschliche Ansiedlung zu treffen, erreichten wir – nach einem steilen Serpentinenweg einen Pass hinauf und wieder hinunter – unser Ziel: einen Ort namens Glengarth, eingeklemmt zwischen Felswänden, dessen Häuser sich an den Hängen festzukrallen schienen. Am Fuß des Berges leuchtete ein seltsamer runder See in einer Mulde.

      Die Luft war kühl und prickelnd und voll würziger Düfte, als wir ausstiegen. Mrs Abercrombies Haus lag auf einem Felsvorsprung über dem Ortskern, umgeben von einer ordentlich gestutzten Hecke und mehreren graugrünen Nadelbäumen, die irgendwie künstlich wirkten.

      Kaum hatte ich die Füße auf den Bürgersteig gesetzt, tat sich die Gartentür auf und eine Frau mit blonden Locken erschien, um uns zu begrüßen. Sie sah aus wie ein Rauschgoldengel.

      Ich merkte sofort, dass ihr mein Vater gefiel. Sie schwirrte um ihn herum wie eine Biene um den Honigtopf, fragte in einem Atemzug, ob wir eine angenehme Fahrt gehabt hätten, ob wir Tee wünschten oder Kaffee oder vielleicht einen »wee« Imbiss? Dass das Wort »wee« winzig bedeutet, erfuhr ich erst ein paar Tage später.

      »Sie sind sicher müde von der Reise«, fügte sie hinzu, ohne Luft zu holen. »Kommen Sie, ich helfe Ihnen mit dem Gepäck. Nein, nein, lassen Sie mich das nehmen!« Und sie entriss Vater eine der Reisetaschen. Mich übersah sie.

      Unser Apartment war voller Schnickschnack – Vasen und Väschen, Porzellanfiguren, Stofftiere, kleine Tischlampen, Deckchen überall und allerhand gestickte Wandbilder, die junge Katzen und röhrende Hirsche zeigten. Doch die Aussicht auf den Loch Swan tief unter uns war fast unwirklich schön; und als Mrs Abercrombie endlich widerstrebend den Rückzug angetreten und ein Tablett mit Tee, belegten Brötchen und Ingwerplätzchen hinterlassen hatte, standen wir am Fenster und sahen lange hinaus.

      »Du musst aufpassen, dass sie dich nicht krallt«, sagte ich schließlich.

      Mein Vater lachte. »Sie ist etwas penetrant, nicht? Am besten sagen wir ihr nicht, dass ich Witwer bin.«

      Ich wunderte mich über diesen Geistesblitz. Für gewöhnlich war er so weltfremd, dass ich ihm eine derart praktische Überlegung nicht zugetraut hatte.

      »Sicher«, sagte ich. »Aber was antworten wir, wenn sie fragt, wo deine Frau ist? Denn fragen wird sie, darauf wette ich meinen letzten Penny.«

      »Hm. Da müssen wir uns wohl etwas einfallen lassen«, erwiderte

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