Der Schimmel im Moor. Ursula Isbel-Dotzler
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Mein Zimmer hatte eine geblümte Tapete und einen eigenen Zugang zur Terrasse. Ich rückte den Polstersessel ans Fenster und hängte das Bild über dem Bett ab, auf dem drei fette Frauen in durchsichtigen Kleidern sich an der Hand hielten und im Kreis über eine Blumenwiese hüpften. Dann packte ich meinen Kassettenrekorder aus und legte die Kassette mit der heftigsten Musik ein, die ich finden konnte, um sämtliche spießigen Geister aus Mrs Abercrombies kuscheligen Wänden zu vertreiben.
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Ich hatte mir fest vorgenommen, so zu tun, als würde ich ganz normale Ferien in den Highlands verbringen, losgelöst von der Arbeit meines Vaters. Dass das im Grund unmöglich war, wurde mir schon am Tag nach unserer Ankunft klar, als ich merkte, dass Ricruin Castle praktisch allgegenwärtig war.
Die Burg stand auf einem Felsen, einem kugelförmigen Ausläufer des Ben Cruin, an dessen Sockel sich die Ortschaft klammerte. Man konnte sie einfach nicht übersehen, ganz gleich, ob man am Loch Swan spazieren ging oder über die Hauptstraße von Glengarth bummelte, um einzukaufen. Hoch über allem thronte Ricruin Castle, eine von Efeu umrankte Festung aus rotbraunem Stein mit hohen Fensterfronten, mehreren mächtigen Ecktürmen, mit Schießscharten und Unmengen von Kaminen auf den Dächern, die wiederum von kleineren Kaminaufsätzen in der Form umgestülpter Blumentöpfe gekrönt waren.
Etwas Düsteres, Geheimnisvolles haftete Ricruin an; es hätte die Kulisse zu einem Shakespeare-Drama sein können, Macbeth vielleicht. So sehr ich mich auch bemühte, die Burg zu ignorieren, sie drängte sich immer wieder hartnäckig in mein Blickfeld und erinnerte mich an den Grund unseres Hierseins.
Wir frühstückten gemeinsam im King’s Heart Hotel, mein Vater und ich – ein üppiges englisches Frühstück mit Tee und Toastbrot, Cornflakes, Eiern, Schinken und den süßlichen Würstchen, die ich ekelhaft fand. Mein Vater wirkte geistesabwesend. Schweigend trank er eine Tasse Tee nach der anderen, während ich mich fragte, wie ich diesen ersten Tag und alle folgenden verbringen sollte. Was konnte man in diesem gottverlassenen Nest am Ende der Welt unternehmen? Schlotternd und mit Todesverachtung im Loch Swan paddeln, der bestimmt kaum wärmer als ein Gletschersee war? Auf den umliegenden Bens herumklettern? Unterricht im Dudelsackspielen nehmen?
»Rede doch mal mit Mrs Abercrombie«, riet mein Vater nach dem Frühstück. »Sie kann dir sicher sagen, welche Aktivitäten hier geboten werden. Frag sie nach einem Reitstall. Bestimmt gibt es auch Busfahrten durch die Highlands. Oder ans Meer, nach Ullapool, falls du mal Lust hast, mit dem Schiff an der Küste entlangzuschippern.«
Nachdem er so sein Gewissen beruhigt hatte, eilte er mit wehenden Haaren über die Hauptstraße davon, in Richtung Ricruin Castle, wie ich vermutete.
Ich sah ihm nach und dachte finster, dass ich an allem ganz allein selbst schuld war. Kein Mensch hatte mich gezwungen, mit hierher zu kommen, es war meine freie Entscheidung gewesen.
Die Hauptstraße von Glengarth bestand aus zwei Reihen schlichter, niedriger Häuser, einem Gasthaus namens The Trout, dem Hotel, einem Supermarkt, einem Tante-Emma-Laden, der zugleich auch Postamt war, einem Souvenirshop und dem Tea Cosy, in dem es Backwaren, Tee, Kaffee und Eis gab.
In einer Seitenstraße fand ich neben einem Antik-Shop noch ein winziges, ziemlich düster wirkendes Lädchen mit alten Büchern und Stichen und ein Geschäft mit Anglerzubehör. Über der Tür baumelte ein rot gepunkteter Fisch an einer Angel; und obwohl er natürlich nicht echt, sondern aus Blech war, verschlechterte sich meine Stimmung durch seinen Anblick noch mehr, denn ich habe es immer abartig und heimtückisch gefunden, Fische mit Ködern anzulocken und ihnen Haken in den Schlund zu treiben.
Ganz gleich, wo ich auch ging oder stand, ob ich die High Street überquerte oder mit einer Tüte voll frischer Scones die Tür des Tea Cosy hinter mir schloss, aus den Augenwinkeln sah ich immer Ricruin Castle dort oben auf dem Felsbuckel; und wenn ich es einmal nicht sah, glaubte ich doch, seine Gegenwart zu spüren.
Es war neben dem Loch Swan auch das beliebteste Postkartenmotiv in dieser Gegend. Sogar T-Shirts gab es, auf denen das finstere Gemäuer prangte, in eine Art Nebel gehüllt, aus dem eine grünliche Fratze emporstieg wie im Märchen vom Geist in der Flasche.
Immerhin regnete es nicht. Der Wind war kühl, aber seltsam weich. Er umschmeichelte mein Gesicht und meine Haare mit einer Fülle vielversprechender Gerüche – nach Tang und Meer, nach Heidekraut und Quellwasser und Moor und taufeuchten Gräsern.
Im Antiquariat kaufte ich einen Führer durch die Region des Ben Cruin und wanderte damit zum See hinunter, der wie ein Riesenfleck dunkelblauer Tinte unter dem tief hängenden Gewölk lag. Ein Dutzend verloren wirkender Boote schaukelten auf dem Wasser und vom Campingplatz schallte Musik herüber, unterbrochen von wildem Hufgetrappel und Schüssen. Es dauerte einige Zeit, bis ich begriff, dass da vermutlich ein Camper mit Gehörschaden im Freien vor dem Fernseher saß und sich einen Western ansah.
Ich spazierte ein Stück den Loch Swan entlang, begleitet vom Wind. Kleine Wellen spülten mit saugendem Geräusch über die Kiesel am Strand und zogen sich mit leisem Schmatzen wieder zurück. In der Ferne stolzierten Vögel mit Stelzfüßen durch das seichte Wasser auf der Suche nach Beute und eine Entenmutter mit ihren Jungen im Kielwasser paddelte an mir vorbei.
Ich setzte mich auf einen Felsbrocken, zog die linke Sandale aus und tauchte meine Zehen ins Wasser. Es war eiskalt, genau wie ich vermutet hatte. Rasch zog ich den Fuß wieder zurück und strich im Geist das Wort baden von meiner Liste. Dann holte ich den kleinen Reiseführer aus dem Rucksack, schlug die ersten Seiten auf und überflog den Abschnitt mit Informationen über den Ben Cruin – seine Höhe, die Wanderwege, die zum Gipfel oder um den Berg herum führten, die Beschaffenheit des Gesteins. Darunter stand fett gedruckt eine Warnung vor plötzlich hereinbrechendem Nebel, Eis, Schnee und unerwartet heraufziehenden Stürmen.
Auf Seite vier gab es eine alte, grob gekörnte SchwarzWeiß-Fotografie des Loch Swan, der weniger harmlos zu sein schien, als er aussah. Es hieß, er sei in der Mitte unergründlich tief und hätte gefährliche Strömungen. Bei Sturm waren im Lauf der Zeit offenbar schon jede Menge Fischerboote mit Mann und Maus darin versunken.
Ich blätterte weiter. Es überraschte mich nicht, dass das nächste Foto Ricruin Castle zeigte. Die Bildunterschrift lautete: »Ricruin Castle, erbaut im 14. Jahrhundert, seit elf Generationen im Besitz der Dysarts of Ricruin, eines der berühmtesten und berüchtigsten Spukschlösser Schottlands.«
Mist!, dachte ich und klappte das Buch zu. Doch es gibt Dinge, denen man nicht entkommen kann, so sehr man es auch versuchen mag. Das wurde mir klar, als ich den Blick hob und hoch über dem See und den Häusern des Ortes die efeuumrankten Mauern der Burg aufragen sah.
Ein Sonnenstrahl, der jäh durch die Wolkendecke drang, ließ eine der Fensterreihen geheimnisvoll aufblitzen. Es sah aus, als wanderte jemand mit einem Kerzenleuchter durch die Räume.
Während ich wie gebannt nach oben sah, fiel mir das Märchen von Ritter Blaubart ein, der seine Frauen tötete, wenn sie die verbotene Kammer betraten. Ob es eine ähnliche Geschichte gab, die man sich von der Burg erzählte? Eine Weiße Frau vielleicht, die umging, weil ihr Mann sie ermordet hatte? Oder einen Burgherr, der den Liebhaber seiner Frau im Kerker verschmachten ließ und seitdem als schuldbeladener Geist durch die Gänge und Hallen schlich?
Ich wandte den Blick von der Burg ab und biss mir auf die Unterlippe. Da hatte ich mir fest vorgenommen, mich total aus allem herauszuhalten, was mit der