Der Nachsommer. Adalbert Stifter
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„Hier ist der Sitz“, unterbrach er sich, „von welchem ich früher gesprochen habe. Hier ist die schönste Linde meines Gartens, ich habe einen bessern Ruheplatz unter ihr anbringen lassen und gehe selten vorüber, ohne mich eine Weile niederzusetzen, um mich an dem Summen in ihren Ästen zu ergötzen. Wollen wir uns setzen?“
Ich willigte ein, wir setzten uns, das Summen war wirklich über unsern Häuptern zu hören, und ich fragte: „Habt Ihr nun diese Beobachtungen an den Tieren, wie Ihr sagtet, gemacht?“
„Auf Beobachtungen bin ich eigentlich nicht ausgegangen“, antwortete er; „aber da ich lange in diesem Hause und in diesem Garten gelebt habe, hat sich manches zusammengefunden; aus dem Zusammengefundenen haben sich Schlüsse gebaut, und ich bin durch diese Schlüsse umgekehrt wieder zu Betrachtungen veranlaßt worden. Viele Menschen, welche gewohnt sind, sich und ihre Bestrebungen als den Mittelpunkt der Welt zu betrachten, halten diese Dinge für klein; aber bei Gott ist es nicht so; das ist nicht groß, an dem wir vielmal unsern Maßstab umlegen können, und das ist nicht klein, wofür wir keinen Maßstab mehr haben. Das sehen wir daraus, weil er alles mit gleicher Sorgfalt behandelt. Oft habe ich gedacht, daß die Erforschung des Menschen und seines Treibens, ja sogar seiner Geschichte nur ein anderer Zweig der Naturwissenschaft sei, wenn er auch für uns Menschen wichtiger ist, als er für Tiere wäre. Ich habe zu einer Zeit Gelegenheit gehabt, in diesem Zweige manches zu erfahren und mir einiges zu merken. Doch ich will zu meinem Gegenstande zurückkehren. Von dem, was die kleinen Tiere tun, wenn Regen oder Sonnenschein kommen soll, oder wie ich überhaupt aus ihren Handlungen Schlüsse ziehe, kann ich jetzt nicht reden, weil es zu umständlich sein würde, obwohl es merkwürdig ist; aber das kann ich sagen, daß nach meinen bisherigen Erfahrungen gestern keines der Tierchen in meinem Garten ein Zeichen von Regen gegeben hat, wir mögen von den Bienen anfangen, welche in diesen Zweigen summen, und bis zu den Ameisen gelangen, die ihre Puppen an der Planke meines Gartens in die Sonne legen, oder zu dem Springkäfer, der sich seine Speise trocknet. Weil mich nun diese Tiere, wenn ich zu ihnen kam, nie getäuscht haben, so folgerte ich, daß die Wasserbildung, welche unsere gröberen wissenschaftlichen Werkzeuge voraussagten, nicht über die Entstehung von Wolken hinausgehen würde, da es sonst die Tiere gewußt hätten. Was aber mit den Wolken geschehen würde, erkannte ich nicht genau, ich schloß nur, daß durch die Abkühlung, die ihr Schatten erzeugen müßte, und durch die Luftströmungen, denen sie selber ihr Dasein verdankten, ein Wind entstehen könnte, der in der Nacht den Himmel wieder rein fegen würde.“
„Und so geschah es auch“, sagte ich.
„Ich konnte es um so sicherer voraussehen“, erwiderte er, „weil es an unserem Himmel und in unserem Garten oft schon so gewesen ist wie gestern, und stets so geworden ist wie heute in der Nacht.“
„Das ist ein weites Feld, von dem Ihr da redet“, sagte ich, „und da steht der menschlichen Erkenntnis ein nicht unwichtiger Gegenstand gegenüber. Er beweist wieder, daß jedes Wissen Ausläufe hat, die man oft nicht ahnt, und wie man die kleinsten Dinge nicht vernachlässigen soll, wenn man auch noch nicht weiß, wie sie mit den größeren zusammenhängen. So kamen wohl auch die größten Männer zu den Werken, die wir bewundern, und so kann mit Hereinbeziehung dessen, von dem Ihr redet, die Witterungskunde einer großen Erweiterung fähig sein.“
„Diesen Glauben hege ich auch“, erwiderte er. „Euch Jüngeren wird es in den Naturwissenschaften überhaupt leichter, als es den Älteren geworden ist. Man schlägt jetzt mehr Wege des Beobachtens und der Versuche ein, statt daß man früher mehr den Vermutungen, Lehrmeinungen, ja Einbildungen hingegeben war. Diese Wege wurden lange nicht klar, obgleich sie einzelne wohl zu allen Zeiten gegangen sind. Je mehr Boden man auf die neue Weise gewinnt, desto mehr Stoff hat man als Hilfe zu ferneren Erringungen. Man wendet sich jetzt auch mit Ernst der Pflege, der einzelnen Zweige zu, statt wie früher immer auf das Allgemeine zu gehen; und es wird daher auch eine Zeit kommen, in der man dem Gegenstande eine Aufmerksamkeit schenken wird, von dem wir jetzt gesprochen haben. Wenn die Fruchtbarkeit, wie sie durch Jahrzehende in der Naturwissenschaft gewesen ist, durch Jahrhunderte anhält, so können wir gar nicht ahnen, wie weit es kommen wird. Nur das eine wissen wir jetzt, daß das noch unbebaute Feld unendlich größer ist als das bebaute.“
„Ich habe gestern einige Arbeiter bemerkt“, sagte ich, „welche, obwohl der Himmel voll Wolken war, doch Wasser pumpten, ihre Gießkannen füllten und die Gewächse begossen. Haben diese vielleicht auch gewußt, daß kein Regen kommen werde, oder haben sie bloß Eure Befehle vollzogen, wie die Mäher, die an dem Meierhofe Gras abmähten?“
„Das letztere ist der Fall“, erwiderte er. „Diese Arbeiter glauben jedesmal, daß ich mich irre, wenn der äußere Anschein gegen mich ist, wie oft sie auch durch den Erfolg belehrt worden sein mögen. Und so werden sie gewiß auch gestern geglaubt haben, daß Regen komme. Sie begossen die Gewächse, weil ich es angeordnet habe, und weil es bei uns eingeführt ist, daß der, welcher wiederholt den Anordnungen nicht nachkömmt, des Dienstes entlassen wird. Es sind aber endlich auch noch andere Dinge außer den Tieren, welche das Wetter vorhersagen, nämlich die Pflanzen.
„Von den Pflanzen wußte ich es schon, und zwar besser als von den Tieren“, erwiderte ich.
„In meinem Garten und in meinem Gewächshause sind Pflanzen“, sagte er, „welche einen auffallenden Zusammenhang mit dem Luftkreise zeigen, besonders gegen das Nahen der Sonne, wenn sie lange in Wolken gewesen war. Aus dem Geruche der Blumen kann man dem kommenden Regen entgegensehen, ja sogar aus dem Grase riecht man ihn beinahe. Mir kommen diese Dinge so zufällig in den Garten und in das Haus; Ihr aber werdet sie weit besser und weit gründlicher kennen lernen, wenn Ihr die Wege der neuen Wissenschaftlichkeit wandelt und die Hilfsmittel benützt, die es jetzt gibt, besonders die Rechnung. Wenn Ihr namentlich eine einzelne Richtung einschlagt, so werdet Ihr in derselben ungewöhnlich große Fortschritte machen.“
„Woher schließt Ihr denn das?“ fragte ich.
„Aus Eurem Aussehen“, erwiderte er, „und schon aus der sehr bestimmten Aussage, die Ihr gestern in Hinsicht des Wetters gemacht habt.“
„Diese Aussage war aber falsch“, antwortete ich, „und aus ihr hättet Ihr gerade das Gegenteil schließen können!“
„Nein, das nicht“, sagte er, „Eure Äußerung zeigte, weil sie so bestimmt war, daß Ihr den Gegenstand genau beobachtet habt, und weil sie so warm war, daß Ihr ihn mit Liebe und mit Eifer umfaßt; daß Eure Meinung desohngeachtet irrig war, kam nur daher, weil Ihr einen Umstand, der auf sie Einfluß hatte, nicht kanntet und ihn auch nicht leicht kennen konntet; sonst würdet Ihr anders geurteilt haben.“
„Ja, Ihr redet wahr, ich würde anders geurteilt haben“, antwortete ich, „und ich werde nicht wieder so voreilig urteilen.“
„Ihr habt gestern gesagt, daß Ihr Euch mit Naturdingen beschäftiget“, fuhr er fort, „darf ich wohl fragen, ob Ihr eine bestimmte Richtung gewählt habt und welche?“
Ich war durch die Frage ein wenig in Verwirrung gebracht und antwortete: „Ich bin doch im Grunde nur ein gewöhnlicher Fußreisender. Ich besitze gerade so viel Vermögen, um unabhängig leben zu können, und gehe in der Welt herum, um sie anzusehen. Ich habe wohl vor kurzem alle Wissenschaften angefangen; aber davon bin ich zurückgekommen und habe mir nur hauptsächlich die einzelne Wissenschaft der Erdbildung zur Aufgabe gemacht. Um die Werke, welche ich hierin lese, zu ergänzen, suche ich auf den Reisen, die ich in verschiedene Landesteile mache, zu beobachten, schreibe meine Erfahrungen auf und verfertige Zeichnungen. Da die Werke vorzüglich von Gebirgen handeln, so suche ich auch vorzüglich die Gebirge auf. Sie enthalten sonst auch