Heimliches Berlin. Franz Hessel

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Heimliches Berlin - Franz Hessel

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wenigstens, von wem er ist.«

      Er stand auf und nahm den Brief. »Von meiner Kusine Jutta.«

       »Lies ihn, sonst mußt du immerzu an ihn denken, und ich habe noch viel mit dir zu sprechen.«

      Er setzte sich vor dem Bett auf den Boden, den Schopf an Karolas Knie gelehnt und las:

      Lieber Wendel!

      Schilleninken, den 25. April

      Solange habe ich nichts von Dir gehört. Als ich auf der Hochzeitsreise war, schriebst Du mir an jede Poststation; seit ich zurückgekehrt bin, vernachlässigst Du mich. Ich sitze hier in dem Belvedere, das mir die Schröders tatsächlich auf Lebenszeit überlassen haben. Sie sind wirklich rührend, die guten Leute, auch jetzt noch, nachdem das verarmte Fräulein von Domrau eine bürgerliche Bankiersgattin geworden ist. Heimlich hat Eißner sich wohl mit dem großzügigen Plan getragen, das ganze Gut zurückzukaufen, aber er ist fein genug zu ahnen, daß diese plötzliche Morgengabe etwa nicht nach meinen Geschmack sein könnte. Ein wenig müssen wir doch die Dehors dieser Neigungsehe wahren. Seine Ritterlichkeit ist übrigens unanfechtbar. Er läßt mir, da ich es so möchte, den ganzen Frühling meine liebgewohnte Zurückgezogenheit. Du bist nicht hier gewesen seit unserm denkwürdigen Gespräch über Ehe nach der roten Jagd, weißt Du noch? Ach, Wendelin, hättest Du mir damals ernstlich abgeraten – aber Du hast es gewollt, und ich habe Deiner blutjungen und bluturalten Weisheit vertraut, und vielleicht war das gut so.

      Höre, Wendel, wenn es Deine Studien erlauben oder noch Universitätsferien sind, so besuch mich doch. Mein Mann kann jetzt nicht abkommen, wie er sagt. Er wendet diesen Ausdruck aus der Schützen- und Militärsprache ahnungslos auf das Zivilleben an. Er freut sich sehr, wenn Du mir Gesellschaft leistest. Mangelt es dir an Reisegeld, bittet er Dich, zu ihm aufs Büro zu kommen. Du bekommst hier eine reizende Dachstube mit grün umwuchertem Fenster und einem kleinen Kamin für kalte Abende, die Du etwa nicht an meinem Öfchen verbringen willst, hast über Dir, wenn Du aus dem Fenster siehst, einen Sternenhimmel, wie es ihn über Deinem Palais unter den Linden nicht zu sehen gibt, und zu ebener Erde Deine getreue mit spätem Teegebäck und Teegespräch wartende Base Jutta. Komm doch!

      Wendelin blickte von seiner Lektüre zu Karola auf.

      »Du Löwe!« sagte er bewundernd. Sie hatte ihr Fuchsfell, das noch eben als Kissen zusammengerollt war, rings um den Kopf gewunden. Es umstand nun als gesträubter Turban dicht und wild ihr Gesicht; Schweif und Pfoten fielen verschlungen mähnenhaft auf ihre Schultern.

      »Was ist das für eine Kusine Jutta, die dir schreibt, eine mit Landbesitz, die du heiraten sollst?«

      »Du kennst sie, glaube ich, es ist die Frau des Bankiers und Kunstfreundes Eißner.«

      »Ich habe sie nie bei Eißner gesehen. Daß er verheiratet ist, vergißt man immer wieder. Ist sie schön? Liebst du sie?«

      »Ach ich –«

      Karola hob sich auf den Ellbogen. »Soll ich gehen? Hast du etwas vor?«

      Er warf sich über sie: »Ich bitte dich, Karola, bleib! Du bist jetzt wichtiger als alles. Was soll ich tun? Wohin willst du mit mir?«

       »Aber du mußt doch zu deiner Mutter, hast du gesagt.«

      »Zu dir muß ich!«

      Der leidenschaftliche Ton, in dem er diese Worte vorbrachte, war wohl nur eine Reagenz. Er wußte das nicht. Und weil er noch seitwärts im Bewußtsein das Bild der Kusine und andere Bilder fühlte, sah er wie zwischen Scheuklappen geradeaus auf Karola. Frauen wiegeln die Leidenschaften auf wie agents provocateurs das noch nicht deutlich genug revoltierende Volk.

      »Wohin wollen wir, Karola?«

      »Was schlägst du vor?«

      »Ich habe in Fiesole eine Tante«, sagte Wendelin etwas spitzmäulig, »die besitzt einen Weingarten und Obstbäume. Sie hat mir angeboten, wenn ich es in Deutschland nicht mehr aushielte, solle ich kommen, ihr im Garten helfen und ihre beiden Knaben Deutsch und Latein lehren.«

      »Siehst du, dann kann ich mit den Bübchen englisch und französisch sprechen. Ich kann auch deiner Tante in der Landwirtschaft helfen. Hat sie Vieh?«

      »Wir wollen es hoffen.«

      »Ich habe nämlich Landwirtschaft gelernt, damals, kurz bevor Clemens dich zu mir brachte. Auf einem großen Gut war ich Magd oder richtiger Knecht, ich ging hinterm Pflug in Mannshosen und habe vierspännig Holz gefahren. Habe ich dir nie davon erzählt? Es war die gegebene Zeit, um Land zu kaufen. Ich hatte herrliche Pläne für uns alle, war stark und gesund und führte ein strenges Leben von früh vor Sonnenaufgang. Ach, wir wollen nicht davon sprechen, es macht mich nur schwach und traurig, es wurde eben auch daraus nichts, weil sie mich immer wieder heimlockten, nicht mit Aufforderungen oder Bitten, nein, mit kleinen Worten in ihren Briefen, denen man nicht widerstehen konnte. Aber diesmal will ich fort aus dem betäubenden Tagschlaf. Und wenn du kannst, so hilf mir.«

      »Alles, Karola, was du magst. Aber erst wollen wir schön langsam reisen, nicht wahr?«

      Sie ließ ihn vor sich auf dem Bett sitzen, schlang einen Arm um seine Schulter und sagte, Auge in Auge: »Ja komm, wir müssen Pläne machen. Wollen wir südwärts, kennst du Italien?«

      »Nein, aber ich weiß aus Bildern und Berichten schöne Namen, bei denen ich mir allerlei denke. Vom Inntal wandern wir erst abschweifend über die Berge. Da gibt es ein wildes Karwendelgebirge, in das wir uns verirren und müssen dann in einer Sennhütte auf Stroh übernachten. Da versinkt man in einen dichten grüngoldenen Schlaf und bekommt selige Kopfschmerzen!«

      »Und damit willst du uns quälen?«

      »Am nächsten Tag findest du in Innsbruck ein herrliches Bett, und morgens stehst du dann lichtweiß – du hast schon ein Sommerkleidchen angezogen, so warm ist der Frühlingstag – lichtweiß stehst du, Karola, vor den dunklen Königen aus Eisen oder Bronze, die es da in einer Kirche geben soll. Und dann fahren wir auf den Brenner und sehen aus unserm Kupeefenster, wie das Gestein immer granitener und die Blumen am Bahndamm immer zartfarbiger werden. Mit einmal geht es bergab, alle Wasser rinnen nach dem andern Tal. Der Süden bricht über uns herein: Ölbäume flimmern grün und silbern, Wein wächst an Hängen und füllt Lauben, die Wege sind eingehegt wie von Girlanden, und es wird uns zu schnell mit dem Vorüberfahren, wir steigen des Abends in einem kleinen Städtchen aus, das ist so alt und altertümlich, daß wir an der Stadtmauer einen leibhaftigen Nachtwächter treffen, der da in der Nische eingenickt ist. Sein Hund schlägt an, der Alte räkelt sich und führt uns durch Mondgassen unter Giebeldächern über Pfefferkuchenpflaster in das Gasthaus, das zum Elefanten heißt oder zum Lamm. Da bekommen wir spät im Saalwinkel Wein zu trinken und dann ein tiefes weites Schlafzimmer; unter unsern Fenstern ist ein Brunnen, der rauscht die ganze Nacht –«

      Er schmiegte seinen Kopf an Karolas Schulter.

      »Ich höre deinen Brunnen«, flüsterte sie über sein Haar hin. »Es ist angenehm, mit dir zu reisen. Und wie du Bescheid weißt. Mit wem warst du denn dort und wann?«

      »Eben und mit dir!«

      »Kommen wir nicht bald an einen See?« fragte Karola. »Ich möchte im Wasser liegen«, und sie ließ sich auf das Bett zurücksinken und legte ihm ihre Füße auf den Schoß.

      »An den blauesten See kommen wir, an dem die Terrassengärten liegen mit Zitronenbäumen zwischen weißen

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