Herz im Wind. Hans Leip
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Das nächste Mal würde er die Mischung ’raushaben. Morgen nun sollte es Erbsen geben, grün, ungeschält mit Speck. Ihm wurde schwer ums Herz. Nun war wieder das Nebelgebimmel fällig. Und nun wieder die Kette. Es ging schon ganz gut.
Auf einmal war die Ankerkette fast zu Ende. Der Krampen, der ihr letztes Glied am Spill festhielt, war mächtig dünn geschliffen. Oho, der Junge sah es wohl. Er ließ den Stopper ins Zahnrad fallen, aber das Spill war zu flott in Gang, der eiserne Stopperzapfen prallte ab, flutsch, rauschte die Kette aus, der Krampen barst weg, als hätte der Teufel seinen Finger dran gewetzt, und die Kette schoß wie ein Katerschwanz durchs Gatt in den Nebel und ins Wasser und war weg. Es war geradezu, als habe jemand mit Gewalt sie hinabgerissen. Der Junge mußte plötzlich an den Ertrunkenen denken. Hatte der sich etwa wieder an Bord ziehen wollen, um ihn vom Platz zu stoßen? Ihm wurde gräsig. Er nahm sich zusammen. Längst mußte wieder eine Minute um sein. Dengelenge – beng – beng – beng! knallte er den Belegnagel gegen die Glockenplatte.
Der Kutter lag so schön still, deuchte ihm, was brauchte man einen Anker. Den würde man schon wiederkriegen, tief war es hier sicher nicht. Er pekte mit dem langen Haken ins Wasser, das man nicht sah, das man nur fühlen und hören konnte. Es war doch zu tief. Der Haken, im Nebel sich gleichsam auflösend wie eine Zuckerstange, erreichte keinen Grund. Was nun? Man hätte ins Boot müssen, aber dazu war jetzt keine Zeit wegen des Nebelsignals. Auch fürchtete er, bei weiteren Angelversuchen womöglich einen Leichnam herauszufischen. Den Schiffer zu wekken, wagte er nicht. Sein Gesicht brannte noch von den Maulschellen, und die Luft war ja ringsum noch immer dick wie ein Sack. Dengeleng – beng – beng!
Der Kutter aber dachte gar nicht daran stillzuliegen. Sachte, sachte schob er sich mit der starken Ebbströmung von dannen, an Trischen vorbei und durch das Falsche Tief, wie es dort heißt. Der Junge merkte nichts von der Fahrt. Wie eine grauverstaubte Käseglocke war die Welt über ihn gestülpt. Nach dem Kompaß zu sehen, dazu war er nicht beauftragt; er verstand auch noch nichts davon. Manchmal brachen Vögel durch den Dampf, erschreckten ihn, riefen schrill und verschwanden wie weiße Fäden in grauem Tuch. Auch sah er einen Augenzwink lang Masten und Rümpfe der ankernden Flotte; sie glitten vorbei, riesenhaft unter der Lupe des Nebels, glatter Spuk mit scheinbarem Kurs auf Friedrichskoog, wo er zu Hause war und es schön warm und gemütlich hätte haben können auf einem runden Schusterschemel. Danach vernahm er die Heulboje, die vor Buschsand liegt. Es klang grausig, wie jammernde Hilferufe. Er sagte sich tapfer, das könne der Ertrunkene unmöglich sein, vielleicht waren es Seehunde, vielleicht eine Heulboje. Daß es dergleichen gab, hatte er gehört. Und wenn es ein Mensch sei, helfen würde ihm doch keiner können in diesem verfluchten Nebel. Und wie ekelhaft dieser Nebel dunstete, richtig nach Verwesung.
Er hatte den Jungen, der tags vorher ertrunken war, gut gekannt. Sie waren aus derselben Schulklasse. Und der andere hatte gleich Seemann werden dürfen, er aber erst auf das Inserat hin. Der andere war ziemlich dickfellig in der Schule gewesen, oft hatte er über seine dummen Antworten gelacht. Vielleicht war es unrecht gewesen zu lachen. Aber nun war es zu spät zum Abbitten. Und warum auch? Wer etwas weiß, soll sich freuen, und wer dumm ist, muß sich Spott gefallen lassen. Das hatte der Lehrer gesagt. Und daß sich etwa einer noch im Tode rächen könne, das durfte sich ein vernünftiger Mensch nicht einbilden.
Solcherlei hübsche nüchterne Überlegungen, eines seebefahrenen Mannes würdig, wollten auf die Dauer jedoch nicht viel nützen. Er war ja noch so klein, der Junge auf dem umnebelten, heimtückisch treibenden Fischkutter, er war eben vierzehn. Die Heulboje jammerte nun achteraus. Es war wirklich grausig. Er stand nunmehr in Schweiß frierend da, klammerte sich ans Stag, halb tot vor Angst. Und der Minutenabstand wurde immer kürzer, und während er mit dem großen schwarzen runden Eisennagel auf die Signalplatte hämmerte, schluchzte er: Ich bitte dir ab! Ich bitte dir ab!
Inzwischen lief der Kutter mit einsetzender Flutwelle die Norderpiepen hinauf gen Büsum, geriet bei Tertius-Sand sachte auf Grund und blieb da sitzen. Der Junge im Nebel ahnte nichts davon. Die Heulboje lag nun weit weg, ihr Seufzen war verweht. Der Junge atmete auf. Er hat mir vergeben! sagte er und faltete die mageren Hände auf eine Minute Signalpause. Und da, wie ein himmlisches Zeichen sah er auf einmal die Sonne; sie stand schon tief und hing wie eine Blase Schmalz im Nordseequalm geradewegs an der glasig verschwimmenden Klüverspitze. Nun mochte kommen, was wollte; mochte der Schiffer ihm das Fell verbleuen, er wollte es freudig als Buße hinnehmen. Die Luft wurde immer dünner, das Wasser rispelte lebhafter, ein Hauch Brise tat sich auf, in Süd erblitzte ein Strich silberner See. Nur gen Norden lag der Dunst noch dick wie Milchglas.
Jetzt wecke ich ihn! schluckte der Junge gefaßt. Doch kaum hatte er Kurs auf die Logisluke zu genommen, da fuhr er wieder zusammen. Wieder hatte er das entsetzliche Jammern gehört. Es ist bestimmt eine Heulboje! sagte er tapfer zu sich. Er war vor Erschöpfung ein wenig abgestumpft, zum Umfallen müde, auch hungrig und durstig und ganz durchfeuchtet von Nebel und Schweiß. Aber klang es denn nun nicht wirklich ganz deutlich wie ein weinerliches menschliches »Hölfe! Hölfe!«? Es kam aus Nord, wo es noch unsichtig war. Er schleppte sich ans Signal zurück, trommelte wie besessen darauf los, um den Schabernack zu übertönen. Und siehe da, als sein Arm erlahmte, war alles wieder still. Da lächelte er. Ein Gefühl von Triumph schlich ihn an, genau wie in der Schule, wenn der andere einen richtigen Blödsinn verzapft und er dann mit seiner Antwort ihn gänzlich zugedeckt hatte. Aber plötzlich wurden seine Augen stier wie Fischaugen, seine Füße versagten den Dienst. Auf Backbord, woher das Gejammer gekommen war, bewegte sich eine ungeheure Gestalt im Nebel und kam auf das Schiff zu und wandelte über das Wasser und sah dem Ertrunkenen ähnlich und kam näher, taumelnd, schlenkernd, gräßlich wie der Tod, den er einmal in einer Kasperbude auf dem Marner Markt gesehen. Da wußte er, was seine Mutter gemeint hatte, als sie weinte und sagte: »Op See, dor is de Dood!« Er wich zurück; kein Schrei brach aus seiner Kehle, seine Hacken stießen rücklings an die Bordschanze, er schlug hintüber, und obwohl das Wasser hier nur flach war, regte er kein Glied vor Entsetzen und ertrank, und die See deckte ihn zu.
Von der anderen Seite kam das Gespenst und schrumpfte zusammen und schlotterte über den platten Tertius-Sand, ein armer klappernder Knabe, derselbe, der den Tag vorher auf den glitschigen Planken ausgerutscht und über Bord gefallen war. Er hatte sich an einem treibenden Fischkorb gehalten. Die Strömung hatte ihn denselben Weg geführt wie den Kutter und bis Tertius-Sand, wo er Grund gefühlt hatte und aufs Trockene gelangt und hingesunken war. Dann hatte er sich gesammelt, war bis zur Bake gekrochen und hatte Kraft gefunden, die steilen Sprossen hinaufzuklettern und vom Wasser und Zwieback zu genießen dort in der Hütte für Schiffbrüchige, die der Sturmfluten und Brandung wegen so hoch im Gebälk hängt. Er war erhalten geblieben, hatte anderntags die Nebelsignale gehört, war dem Klange nachgetorkelt und wie ein Wunder wieder an seinen alten Kutter gekommen.
Als der Schiffer endlich ausgeschlafen hatte