Herz im Wind. Hans Leip
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Der Strandvogt zeigte von da ab ein sonderbar verändertes Wesen, obschon die gerichtliche Untersuchung seinem energischen Vorgehen durchaus Billigung angedeihen ließ. Er war sanfter, namentlich gegen seine Frau, und beide machten oft einen seltsam heiteren Eindruck. Manche wollten allerdings seit der unseligen Tat eigentümliche Gedächtnisstörungen und eine veränderte Redeweise bei dem Strandvogt bemerkt haben. Vielleicht war ihm die Sache nähergegangen, als man hätte vorher vermuten mögen. Immerhin schien ihm, und wohl namentlich auch der Frau, die ein Kind zu erwarten begann, die Gegend nicht mehr zu gefallen. Er legte sein Amt nieder, verkaufte den Hof und wanderte nach Kanada aus.
Mieke Teersticken, als sie davon hörte, meinte einmal, die Vettern hätten im Tode ihre Personen ausgetauscht, oder vielmehr nur ihre Kleidung, und den man dort auf der Insel begraben habe, das sei der Vogt Harm Leweko, und der »rote Kieler« habe Amt und Frau des Toten kraft der Ähnlichkeit einfach übernommen.
Sie sagt auch, das allerdings sei keine Lüge, daß des Vogtes Gewehr erst an zweiter Stelle geschossen habe. Aber der es gegen die Wand abdrückte, das müsse Mussei selber gewesen sein. Vor der Tür säuselte der Wind, der weiß, wie es war. Und vor dem Deich liegt die See, sie ist nicht unendlich, und niemand ist aus der Welt, solange er lebt. Möge der, der die Herzen lenkt zu gut und böse, es milde mit uns meinen, damit wir bleiben können dort, wo unser Herz zu Hause ist.
Gelächter hinterm Horizont
Es gibt da an der Rampe eine kleine Bar Huddl di Nuddl, welch Name aus Hotel de Nelson entstanden ist und an frühere schönere Zeiten gemahnt. Man sieht auf den Hafen, den Qualm, die Schlote der Überseer, die Werften und die Docks und hört den markigen Lärm bis in die Funkmusik. Freitags abends ist da was los, dann wird viel Abschied gefeiert, und die guten Jungen aus der weiten Welt, Amerikaner, Engländer, Norweger und Deutsche durcheinander, betrinken sich an Grogs und an den Abenteuern, von denen sie nicht reden, aber von denen sie wissen und daran sie mit wenigen Worten rühren, worauf der andere im Bilde ist.
Saß da ein kleiner Kapitän vom Bugsierdienst, ein Mann, der sein Lebtag nichts als seinen Hafenschlepper gefahren und die Nase über Brunsbüttelkoog nicht hinausgekriegt hatte. Der saß da oft und hörte die fremden Namen der weiten Welt aussprechen, als sei es für fünf Pfennig in die Suppe. Er hatte ein ordentliches Zuhause, eine biedere Frau, Kinder, Anverwandte bis zum vierten Grad, sein geregeltes Auskommen und einen würdigen Bart, hell wie Sauerkraut. Aber wenn er aufstand und mit ziemlicher Schlagseite das Lokal verließ, blieb er auf der Treppe stehen. Drinnen sang man, und die Kellnerinnen und Landfeinladies waren denen, die so gut englisch sangen, mehr zugeneigt als jemandem, der die richtigen Seeleute mit ihren dicken Kästen nur ein wenig hin und her zieht von und zu den Liegeplätzen. Und er hörte das kitzlige Gelächter, und das klang wie weit her von Indien, Hawai und Tamatave, von allerlei lustigen Küsten her, die nie über seinen Horizont emporgetaucht waren. Er strich seinen Bart wie eine Harfe, und die Stimmen der Ferne klangen ihm daraus hervor.
Er hätte es ja längst haben können. Als er jung war, gab es noch Heuerbüros, und der paritätische Arbeitsnachweis und das Überangebot waren im Seemannsgewerbe unbekannte Begriffe gewesen. Aber damals hatte es ihn gar nicht gelockt, zwei seiner Brüder waren nicht wieder von See nach Hause gekommen, seinen Vater hatte er gar nicht erst kennengelernt. Er hatte es schlauer angefangen, war im Lande geblieben, dem Wasser dennoch verbunden, hatte die Prüfung für Schiffer auf kleiner Fahrt bestanden, seinen Schleppdampfer wie eine Wespe hin und her summen lassen zwischen den Kolossen der Meere, die draußen zwar prächtig und mächtig sein mochten, im Hafen aber schwerfällig sich nicht allein zu helfen wußten, und hatte den bescheidenen Honig in eine bescheidene Wohnung am Stubbenhuk getragen, und galt bei Nachbarinnen, Krämer, Grünhöker und Schlachter als wackerer Familienvater, bis auf die gelegentlichen Freitagabende.
Nie trank er auch dann scharfe Sachen. Er trank nur Flaschenbier, Lagerbier, das er für »ratschoneller wegen die Verdunstung« hielt, indem man es nach Belieben einschenken und zustöpseln kann. Daher hatte er seinen Namen »Buddel«. Einen anderen Namen kannte nur die Lohnliste seiner Bugsierreederei.
Eines schönen Freitags, wenn die Abende schon länger werden und nach Verträglichkeit riechen und der Qualm niederschlägt und die Sterne spärlich werden und man gewisse Zuneigung zu der Sonne bekommt, seinen Ofen vorahnend ansieht und die Flanellgarnitur ab Sonntag einen Strich dicker von hausfraulicher Hand auf den Stuhl vors Bett gelegt wird, dann klingt es verderblich, wenn sie in den großen und kleinen Bars Johannis-Bollwerk hinab, Hafenstraße und Pinnasberg und da von der Mondbai zu Jamaika singen und von den Palmen und Mädchen auf der warmen Strecke hinter Surabaja.
Und das Gelächter der Hafenschwalben im Huddl di Nuddl wurde süß wie das Weißnichtwo, das hinter dem kleinen lackierten Blumenfächer lauerte zu Hause am Spiegel, der von einem seiner verschollenen Brüder stammte, und der verdammte Zigarettendunst roch nach diesem Fächer und war blau und silbern wie die Nebel sein sollen morgens vor Jaluit nach der Regenzeit. Es wurde Frühling auf der anderen Seite der Erde. Käptn Buddel war ein gesunder und einfacher Mann, pflichtbewußt, kam niemals zu spät an Bord seiner Hafenbeschäftigung und las weder aufreizende Bücher, noch sammelte er Postkarten, die seine Frau nicht sehen durfte. Aber diesen Abend durchbrach er seine Gewohnheit und Einsicht durch Grog. Und darum wurde alles noch verderblicher. Und wo eins gebrochen, kommt das nächste schon gekrochen.
Er besann sich, daß er ab vier morgens Dienst habe, denn dann war Hochwasser, und sie hatten einen mäßigen Frachtdampfer ’rauszuschleppen, der frisch aus dem Dock kam. Käptn Buddel ging in jener bemerkenswerten Nacht auch richtig zum Steinshöft, enterte seinen Kahn und hatte keine schlechte Haltung. Der Rum hatte die Steuerbordschlagseite des Lagerbiers mit einer nach Backbord aufgehoben. Er war wie eine Kerze. Maschinist und Junge waren schon da, der Kessel stand schon unterm ersten Druck, die Trosse lag klar. Es war drei Uhr.
»Ich will euch was sagen, Leute!« äußerte Buddel und strich seinen prachtvollen Bart. »Wir haben noch ’n Berg Zeit. Geht man noch ’ne Stunde an Land. In Huddl di Nuddl ist es heute fein. Ich hab nämlich Geburtstag, verdimmichen Donnerstag noch mal zu, haut euch einen durch die Kiemen und kommt in ’ne Stunde wieder, aberst stickennüchtern! Und daß du kein Weibsbild an Kludas ’ranläßt!«
Damit schenkte er einem jeden fünf Mark, und obwohl sie furchtbar erstaunt waren über die lange Rede und den Urlaub und das Geld, verdunsteten sie doch ohne Widerrede.
Die fürsorgliche Mahnung wegen des Schiffsjungen war das letzte gute Werk, das Käptn Buddel zu Hamburg tat. Denn nun beginnen seine bösen Werke. Er hatte auch zum letztenmal über seinen Bart gestrichen. Denn mit einem rasierklingenscharfen Taschenmesser schnitt er unbarmherzig die ganze majestätische Sauerkrautharfe ab. Er bettete das Ungetüm an die Stelle einer der Reederei gehörenden Matratze nebst Wolldecke, was beides er aufrollte, wie Matrosen es tun, die ein neues Schiffslogis beziehen wollen. Hinein wickelte er eine Arbeitshose des Maschinisten. Das in Zeitungspapier vertäute Frückstücksbrot des Jungen steckte er in die Tasche, sodann machte er den Schlepper eigenhändig flott, was auch verboten ist, stellte die Maschine auf halbe Kraft, warf los und ging ans Ruder. Er hatte bedeutende Angst, daß jemand es spitzkriegen und ihn anpreien würde. Aber wie es oft ist, wenn Verbrechen geschehen, niemand achtete darauf. Buddel querte den Strom und rutschte sachte zum Reiherstieg hinüber, wo der Dampfer in dem großen U des Docks wie eine Gurke im Einmachglas saß. Er legte hübsch an den Ponton, sachte, sachte gegen die Flut, gab dem Ruder noch eine sanfte Drehung zum Strom, nahm sein Bündel und stieg aus. – Nun ist es im allgemeinen nicht sehr leicht, auf einen im Dock liegenden Dampfer zu gelangen, wegen des unbequemen Zugangs und weil da gewöhnlich allerhand Leute herumstehen. Aber sicher wie ein Schlafwandler überwand Käptn Buddel alle Fährnisse,