50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2. Эдгар Аллан По
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An eigentlichen Sehenswürdigkeiten – ein unangenehmes, hochmütiges Wort – hat São Paulo heute noch nicht viel, und alle drei haben bei ihrer Großartigkeit einen fatalen Beigeschmack. Da ist das Ypirangamuseum, das die ganzen ethnographischen Verschiedenheiten der brasilianischen Fauna, Flora und Kultur in ausgezeichneter Weise und durchdachter Übersicht zeigt; aber was man im Durchwandern der Säle fühlt, ist eher Sehnsucht als Erfüllung, denn die tausend verschiedenfarbigen Kolibris und Papageien möchte man doch in ihrer Urwelt sehen, frei und unbekümmert statt ausgestopft, und man weiß, ein paar Stunden weit, da beginnt schon der Wald und die Dschungel, und während man noch vor den Schaukästen steht, träumt man von diesen phantastischen Regionen. Alles Exotische hört sofort auf, exotisch zu wirken, sobald es schaumäßig aufgestellt und schematisiert ist; sofort wird es trocken wie ein Lehrgegenstand, wie eine starre Kategorie, und deshalb empfindet man (gegen die eigene Vernunft, die ein solches Museum bewundert und seine Leistung nicht genug schätzen kann) festgehaltene Natur inmitten einer so wild und üppig blühenden Natur ein wenig als Widersinn. Einer diese entzückenden kleinen Affen, von Palme zu Palme frei sich schwingend, begeisterte uns gewiß als eine Gnade der Natur, aber eingereiht und mumifiziert in allen Varianten an eine Wand gereiht, löst der Anblick von hundert Affenarten nur eine technische Neugier aus. Schon Menagerien wirken nicht ganz wirklich, um wieviel weniger Museen, selbst wenn sie wie dieses mit der äußersten Sorgfalt geleitet und zu einem großartigen Ganzen vereinigt sind. Alles Eingeschlossene bedrückt – und so ward mir das Herz auch nicht frei, als ich die andere Sehenswürdigkeit sah, die penitenciária, das berühmte Gefangenenhaus von São Paulo, eine Musteranstalt, die der Stadt, dem Land und seinen Leitern hohe Ehre macht. Hier ist das Problem der Strafanstalt – das moralisch nie ganz lösbare – im humansten Sinne angefaßt, und das Land, das die Todesstrafe nicht kennt, hat sich bemüht, für seine Verbrecher nach den durchdachtesten und neuesten Prinzipien zu sorgen. Hier ist die Humanität in der Behandlung der Zuchthäusler nicht wie in anderen Ländern als eine Rückständigkeit abgeschafft, sondern bewußt entwickelt und nach der Idee gefördert, daß jeder Gefangene die ihm gemäßeste Arbeit leisten und das ganze Haus gleichsam eine autarke Gemeinschaft bilden solle, wo alles durch die Insassen geschieht. Man sieht in diesem großen, großartig reinen und hygienisch gebauten Häuserkomplex den ganzen Betrieb einzig von den Insassen in Bewegung gehalten; das Brot wird von ihnen gebacken, die Medikamente verfertigt, die Klinik geführt und das Spital, die Gemüse gepflanzt und die Wäsche gewaschen, kaum irgendwann muß von außen jemand zur Hilfe gerufen werden; jede Bestrebung zu künstlerischer Tätigkeit wird von den Leitern gefördert, ein ganzes Orchester hat sich geformt, in Sälen sieht man ihre Zeichnungen, und so gibt sogar in einem Lande, das in den schwerer erfaßbaren Zonen noch ziemlich viel Analphabeten zählt, das Gefangenenhaus Gelegenheit nachzuholen, was die Schule versäumte. Nichts Musterhafteres kann man sich erdenken als diese Anstalt, die für sich allein schon den europäischen Hochmut korrigieren könnte, bei uns seien alle Einrichtungen die perfektioniertesten der Welt, und doch – mit entlastetem Atemzug saugt man die Luft ein, sobald endlich die letzte von den vielen schweren Eisentüren, die man durchschritten, hinter einem zufällt und man wieder Freiheit atmet und freie Menschen sieht.
Mit einem ähnlichen Atemzug der Entlastung verläßt man auch die Schlangenfarm zu Butantan, obwohl man Großartiges dort gesehen und Wesentliches gelernt. Was dort das große Publikumsschauspiel ist – nichts lieben ja die Menschen mehr, als sich zu grauen, wenn es gleichzeitig nicht gefährlich ist – hatte mir wenig zu sagen: wie man die Giftschlangen dort aus ihren Höhlen holt, mit Stangengriffen faßt und den Wehrlosen das Gift auszieht. Dies hatte ich Vorjahren schon in Indien gesehen, und jedesmal ist es mir gräßlich, wenn der Mensch aus der Wehrlosigkeit eines überwältigten Tieres ein Schaustück oder eine Unterhaltung formt. Aber längst ist die Anstalt von Butantan über die ursprüngliche Absicht hinausgewachsen, einzig der Beobachtung der Schlangen und der Erzeugung von Heilserum gegen die vielen Giftbisse zu dienen; sie hat sich in den letzten Jahren zu einem Forschungsinstitut größten Stils entwickelt, in dem mit den modernsten Apparaten die hervorragendsten Fachleute arbeiten; ich habe in dieser einen Stunde, da mir die verschiedenen Versuche der Umpflanzungen, der chemischen Zerlegungen erklärt wurden, mehr gelernt als in Jahren durch Bücher; immer ist für uns Laien die sinnlich optische Arbeit an dem Objekt die einzige, die uns den abstrakten Problemen am ehesten begrifflich entgegenführt. Und weil es eben das Sinnliche, das Optische ist, das mir immer am stärksten die Phantasie in Erregung setzt, so hat mich nichts dort so beeindruckt als eine einzige mittelgroße Flasche, mit kleinen weißlichen Kristallen gefüllt: es ist das Gift von achtzigtausend Schlangen, das da in konzentriertester kristallisierter Form in dieser Flasche bewahrt ist, und das furchtbarste aller Gifte. Jedes dieser kaum wahrnehmbaren Körnchen, deren jedes unter dem Fingernagel spurlos verschwinden würde, kann leicht in einer Sekunde einen Menschen töten. Tausendfacher als in den riesigsten Granaten ist die Vernichtung in dieser einzigartigen, furchtbaren, dieser unersetzbaren Flasche zusammengedrückt, ein Wunder, größer als in jenem berühmten Märchen aus Tausendundeiner Nacht – nie hatte ich den Tod in so konzentrierter Form gesehen und hunderttausendfach in Händen gehabt wie in der Minute, da ich dieses kühle und zerbrechliche Glas umspannte. Dieses Unfaßbare der möglichen Zerstörung eines ganzen atmenden Menschenwesens in einer Sekunde mit allen seinen Gedanken und Erfahrungen, das plötzliche Stocken eines Herzens und aller Muskeln, nur weil ein Körnchen, viel winziger als ein Salzkorn, ihm ins Innere dringt, und diese Möglichkeit – bei einem einzigen Lebewesen schon unerfaßbar – nun verhunderttausendfacht nebeneinander zu sehen, hatte etwas Erschütterndes und zugleich Großartiges. Alle die Apparate dieses Laboratoriums wurden mir mit einem Mal zu Kräften, die der Natur das Gefährlichste wie im Spiel entwinden, um es nun in einem neuen, einem eigenen schöpferischen Sinn der Natur zu nützen, und mit Ehrfurcht sah ich plötzlich auf dies kleine Haus, das vom Wind umflogen einsam in der Grüne eines Hügels ruht, umfaßt von Natur und sie doch noch gewaltiger umfassend durch den menschlichen, unermüdlichen Geist.
Kapitel Sechsunddreißig
Besuch beim Kaffee
Freundliche Sitte wie jedwede in diesem gastfreien Land: besucht man in Brasilien ein Haus, so wird einem zu jeder Stunde des Tages Kaffee angeboten, köstlicher schwarzer Kaffee in kleinen Tassen, es ist hier eine Selbstverständlichkeit. Man trinkt ihn auf andere Art als bei uns – oder vielmehr, man trinkt ihn eigentlich gar nicht, sondern stülpt ihn mit einem einzigen scharfen Ruck hinunter wie einen Likör, ganz heiß, so heiß, daß, wie man hierzulande sagt, ein Hund