Sherlock Holmes und die Ohren. Sir Arthur Conan Doyle

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Sherlock Holmes und die Ohren - Sir Arthur Conan Doyle

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      Sir Arthur Conan Doyle

      Sherlock Holmes und die Ohren

      Rechtmässige Uebersetzung von R. Lautenbach und A. Gleiner

       Illustriert von Rich. Gutschmidt

      Saga

      Sherlock Holmes und die Ohren ÜbersetztR. Lautenbach, A. Gleiner Original The Adventure of the Cardboard BoxCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1893, 2020 Arthur Conan Doyle und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726693089

      1. Ebook-Auflage, 2020

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

      – a part of Egmont www.egmont.com

      Sherlock Holmes und die Ohren.

      Indem ich eine Reihe von typischen Fällen veröffentlicht habe, welche die ausserordentlichen geistigen Eigenschaften meines Freundes Sherlock Holmes dartun, war ich möglichst bestrebt, solche Abenteuer auszuwählen, die das geringste Mass von Sensation enthalten. Diese Fälle sind nach meiner Ansicht nämlich mehr als andere geeignet, die besonderen Gaben und Fähigkeiten meines Freundes darzulegen. Es ist indessen leider unmöglich, alles Sensationelle vom Kriminellen zu trennen, und da ich mir die Aufgabe gestellt habe, über die Taten Sherlock Holmes’ zu berichten, befinde ich mich in der peinlichen Lage, entweder wichtige Einzelheiten weglassen und so ein falsches Bild von dem Problem geben zu müssen, oder nur solche Fälle auszuwählen, die zufällig nicht zugleich auch »sensationell« sind. Nach dieser kurzen Vorrede greife ich nun zu meinen Notizen über einen Fall, der sich als eine besonders seltsame und zugleich schreckliche Folge von Ereignissen herausgestellt hat.

      Es war ein sengend heisser Tag im August. Die Bakerstreet glühte wie ein Backofen, und das blendende Sonnenlicht auf der Backsteinwand des dem unseren gegenüberliegenden Hauses tat dem Auge weh. Man konnte nicht glauben, dass dies dieselben Mauern seien, welche sonst so furchtbar düster durch den Winternebel zu uns herüberblickten. Unsere Vorhänge waren halb geschlossen, und Holmes lag ausgestreckt auf dem Sofa; er las einen Brief, den er mit der Morgenpost erhalten hatte, nun zum zweitenmal durch. Was mich selbst betrifft, so hatte mich mein Dienst in Indien daran gewöhnt, grosse Hitze besser denn Kälte zu ertragen, und so war es mir bei einem Thermometerstand von 30 Grad ganz behaglich zumute. Aber die Morgenzeitung bot nichts Interessantes. Das Parlament war vertagt worden; alle Welt hatte die Stadt verlassen, und ich selbst sehnte mich nach der fühlen Dämmerung des Waldes oder nach der frischen Seeluft. Mein Guthaben auf der Bank war erschöpft; dies bildete den einzigen Grund, warum ich meine Ferien noch verschoben hatte, und was meinen Freund betraf, so übten weder das Meer noch der Wald die geringste Anziehung auf ihn aus. Er liebte es, im Mittelpunkt von fünf Millionen Leuten zu sitzen und seine Fühlfäden überallhin über sie auszuspannen, stets gewärtig, bei dem geringsten Verdacht eines unaufgeklärten Verbrechens in Tätigkeit zu treten. Die Wertschätzung der Natur war unter seinen verschiedenen Gaben keineswegs anzutreffen, und aufs Land kam er nur dann, wenn er den Uebeltäter der Stadt zeitweilig verliess, um den Spuren seines Genossen auf dem Lande zu folgen.

      Da ich fand, dass Holmes zu eifrig mit seinem Brief beschäftigt war, als dass ich ihn hätte unterbrechen mögen, warf ich die langweilige Zeitung beiseite und lehnte mich in meinen Stuhl zurück, worauf ich bald in Träumerei verfiel. Plötzlich riss mich die Stimme Sherlock Holmes’ aus meinen Gedanken.

      „Du hast recht, Watson,“ sagte er, „dies scheint auch mir eine ganz unsinnige Art zu sein, Streitigkeiten zu erledigen.“

      „Ganz sinnlos!“ rief ich aus. Aber dann wurde mir plötzlich klar, dass Sherlock Holmes den innersten Gedanken meiner Seele ausgesprochen hatte. Ich fuhr in meinem Stuhl in die Höhe und sah ihn mit unverhohlenem Erstaunen an.

      „Wie kamst du darauf, Holmes?“ rief ich aus, „das übersteigt doch alles, was ich je für möglich gehalten hätte.

      Er lachte herzlich über mein Erstaunen. „Du wirst dich erinnern,“ sagte er, „dass vor einiger Zeit, als ich dir jene Stelle aus einer von Poes Erzählungen vorlas, in der ein scharfer kritischer Denker den unausgesprochenen Gedanken seines Freundes folgt, dass du damals grosse Luft zeigtest, diesen Fall lediglich als einen gewandten Trick des Verfassers aufzufassen. Als ich dir damals bemerkte, dass ich die ständige Gewohnheit habe, ganz dasselbe zu tun, drücktest du mir unverkennbar deinen Zweifel an meiner Behauptung aus.“

      „O, nein!“

      „Vielleicht nicht mit der Stimme, mein lieber Watson, aber ganz sicherlich mit deinen Augenbrauen. So hatte ich jetzt, als ich sah, dass du deine Zeitung wegwarfest, und in deinem Stuhle anfingest, deine Gedanken wandern zu lassen, eine selten gute Gelegenheit, deinem Gedankenzug zu folgen und ihn dann plötzlich zu unterbrechen, wodurch ich dir mit grösster Klarheit beweisen konnte, dass ich genau von deinen Gedanken unterrichtet war.“

      Aber ich war noch lange nicht befriedigt. „In dem Beispiel, das du mir vorgelesen hast,“ sagte ich, „schloss jener scharfe Denker nach den Handlungen des Mannes, den er beobachtete. Wenn ich mich recht erinnere, so stolperte er über einen Haufen Steine, blickte dann zum Himmel empor usw., ich dagegen bin hier ganz ruhig in meinem Stuhl gesessen — was kann ich dir da überhaupt für Anhaltspunkte gegeben haben?“

      „Du tust dir selbst unrecht. Der Gesichtsausdruck ist dem Menschen als das Mittel gegeben, seine Gemütsbewegungen zu offenbaren, und deine Gesichtszüge folgen jeder Regung aufs willigste.“

      „Willst du damit sagen, dass du mir die Gedanken vom Gesicht abgelesen hast?“

      „Vom Gesicht und ganz besonders von den Augen! Vielleicht kannst du dich gar nicht mehr besinnen, wie deine Träumerei begonnen hat.“

      „Nein, das kann ich nicht.“

      „Dann will ich es dir sagen. Nachdem du die Zeitung zu Boden geworfen hast, — und das war es, was meine Aufmerksamkeit auf dich lenkte — sassest du etwa eine halbe Minute lang mit ausdruckslosem Gesichte da. Dann richteten sich deine Augen auf das neugerahmte Porträt des Generals Gordon, und ich sah an der Veränderung in deinem Gesicht, dass eine Kette von Gedanken in deinem Gehirn zu entstehen begonnen hatte; aber sie führte mich nicht weit. Deine Augen streiften das nichteingerahmte Porträt des Henry, Ward Beecher, das da oben über deinen Büchern hängt. Dann schautest du an der Wand hinauf, und was du dabei dachtest, war ganz offensichtlich: Wenn, dachtest du, auch dieses Porträt gerahmt wäre, würde es gerade die leere Fläche dort füllen und so ein hübsches Pendant zu dem Gordon bilden.“

      „Du bist meinen Gedanken wunderbar gefolgt!“ rief ich aus.

      „Soweit hatte ich kaum fehlgehen können. Aber nun kehrten deine Gedanken wieder zu Beecher zurück, und du schautest das Bild scharf an, wie wenn du den Charakter des Mannes in seinen Gesichtszügen hättest studieren wollen. Dann lösten sich die Falten über deinem Auge, aber immer noch sahst du nach dem Bilde hinüber, und dein Gesicht war sehr ernsthaft und gedankenvoll. Du riefest dir zweifellos die Einzelheiten aus Beechers Leben ins Gedächtnis zurück; nun war es ganz klar, dass du das nicht konntest, ohne dabei auch an die Mission zu denken, die er zurzeit des Bürgerkrieges im Interesse der amerikanischen Nordstaaten erfüllt hatte, denn ich erinnere mich noch ganz genau, wie leidenschaftlich du damals deiner Missbilligung über die Art und Weise Ausdruck gegeben hast, in welcher dieser würdige

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