Sherlock Holmes und die Ohren. Sir Arthur Conan Doyle

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Sherlock Holmes und die Ohren - Sir Arthur Conan Doyle

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wie man an der doppelten Einkerbung sehen kann. Das ist von Wichtigkeit.“

      „Die Wichtig`keit hiervon vermag ich keineswegs einzusehen,“ bemerkte Lestrade.

      „Die Bedeutung liegt in der Tatsache, dass der Knoten nicht verlegt ist und dass dieser Knoten von ganz besonderer Art ist.“

      „Gewiss, gewiss,“ antwortete Lestrade zuvorkommend. „Der Knoten ist sehr schön geschlungen, und ich habe mir bereits früher schon eine Notiz darüber gemacht.“

      „Gut! Das wäre also der Bindfaden, und nun wollen wir mal das Packpapier ansehen. Gewöhnliches braunes Papier mit einem ausgesprochenen Geruch von gebranntem Kaffee. Was, Sie haben das nicht bemerkt? Aber ich denke doch, darüber kann gar kein Zweifel herrschen. Die Adresse in ziemlich ungelenken Buchstaben geschrieben: ,Fräulein S. Cushing, Grossstreet in Croydon‘. Der Schreiber hat eine Feder mit sehr breiter Spitze, vermutlich eine J-Feder, und ganz schlechte Tinte benützt. Das Wort Croydon war ursprünglich mit einem i geschrieben, das dann nachher in ein y umgeändert wurde. Das Paket wurde also adressiert von einem Mann — denn die Schrift ist ganz entschieden männlich — von begrenzter Erziehung, der von der Stadt Croydon nichts wusste. Gut soweit! Die Schachtel ist eine gelbe Zigarettenschachtel für hundert Stück; es ist nichts Besonderes an ihr zu bemerken, ausser den zwei Fingerabdrücken, die da in der linken unteren Ecke zu sehen sind. Sie ist mit grobem Salz ausgefüllt, und es ist von dem Salze, wie man es benützt, um Häute und derartige Sachen zu konservieren. Und darin liegen nun diese äusserst merkwürdigen Einschlüsse.“ Während er dies sprach, nahm er die beiden Ohren heraus; er legte ein Brett über seine Knie und untersuchte die Ohren eingehend, wobei Lestrade und ich uns von beiden Seiten zu ihm herabneigten und abwechselnd diese schrecklichen Fleischstücke und das gedankenvolle ernste Antlitz unseres Freundes betrachteten. Endlich legte er sie wieder in die Schachtel zurück und sass dann einige Zeit in tiefem Nachdenken da.

      „Sie haben ohne Zweifel bemerkt,“ sagte er dann zu Lestrade, „dass diese Ohren kein Paạr bilden.“

      „Natürlich habe ich das bemerkt; aber wenn alles nur ein schlechter Scherz einiger junger Mediziner ist, so war es diesen ebenso leicht gewesen, zwei verschiedene Ohren aus dem Anatomiesaal zu schicken, als ein Paar.“

      „Selbstverständlich! Aber es handelt sich hier gar nicht um einen Scherz.“

      „Sind Sie dessen so sicher?“

      „Der Augenschein spricht sehr dagegen. Die Leichname erhalten für anatomische Zwecke eine Einspritzung mit einer fäulniswidrigen Flüssigkeit. Davon aber zeigen diese Ohren nichts. Sie sind mit einem nicht sehr scharfen Instrument abgeschnitten worden, und so etwas wäre kaum der Fall, wenn es ein Student der Medizin getan hätte. Ausserdem würde einem Mediziner Formol oder Spiritus als Konservierungsmittel viel näher liegen als irgend etwas anderes; am allerwenigsten würde er wohl an Salz denken. Ich wiederhole Ihnen, es handelt sich hier nicht um einen schlechten Witz, sondern wir stehen vor einem Verbrechen, das durchaus ernst aufzufassen ist.“

      Ein leichter Schauder überrieselte mich, als ich den Worten meines Freundes lauschte und den schweren Ernst beobachtete, der sich in seinen Zügen ausdrückte. Diese unvermittelte Einleitung schien mir auf irgendwelche fremdartige und unerklärliche Schrecken hinzuweisen, die im Hintergrunde lauerten. Lestrade aber schüttelte den Kopf, als sei er nur halb überzeugt von Holmes’ Worten.

      „Man kann natürlich Einwendungen gegen meine Anschauung, dass es sich nur um einen Scherz handelt, erheben,“ sagte er; „das unterliegt keinem Zweifel. Aber gegen die andere Anschauung lassen sich doch noch zwingendere Gründe ins Feld führen. Wir wissen, dass diese Frau in Penge sowohl wie hier seit zwanzig Jahren ein sehr stilles und ehrbares Leben geführt hat. Während dieser ganzen Zeit ist sie kaum einmal einen vollen Tag von hier weggewesen. Warum nun ums Himmelswillen sollte irgend ein Verbrecher gerade ihr die Beweise seiner Schuld zuschicken, vollends wenn sie von der ganzen Sache so gar nichts weiss, wie sie vorgibt? Sie müsste denn geradezu die raffinierteste Schauspielerin sein!“

      „Das ist gerade das Problem, das wir zu lösen haben,“ antwortete Holmes, „und ich für meinen Teil werde dem Problem auf den Leib gehen, indem ich zunächst einmal überzeugt bin, dass meine Annahmen richtig sind, und dass es sich um einen Doppelmord handelt. Eines von diesen Ohren ist das einer Frau, es ist klein, zierlich geformt und weist ein Loch für einen Ohrring auf. Das andere hat einem Mann gehört; es ist sonngebräunt, gröber in den Formen und gleichfalls am Ohrläppchen durchlocht. Diese beiden Leute sind wahrscheinlich tot, oder wir würden inzwischen von ihnen gehört haben. Heute haben wir Freitag; das Paket wurde am Donnerstag morgen zur Post gegeben. Die Tat hat sich also am Mittwoch oder Dienstag oder noch früher zugetragen. Wenn diese beiden Leute ermordet worden sind, wer anders als der Mörder sollte diese Zeichen seiner Tat an Fräulein Cushing geschickt haben? Der Absender des Pakets ist der Mann, den wir suchen müssen. Aber er muss irgend einen starken Grund dafür gehabt haben, dies Paket an Fräulein Cushing zu schicken. Welchen Grund nun? Ich kann mir kaum einen andern denken, als den, ihr auf diese Weise zu sagen, dass die Tat vollbracht ist; oder schliesslich, um ihr eine Dual zu bereiten. Aber in beiden Fällen müsste sie wissen, wer der Täter ist. Weiss sie das? Ich glaube nicht. Wenn sie es wüsste, warum hätte sie dann die Polizei benachrichtigt? Sie hätte ganz einfach die Ohren in ihrem Garten vergraben können, und kein Mensch würde irgend etwas davon erfahren haben. Das würde sie sicherlich getan haben, wenn sie gewünscht hätte, den Verbrecher zu schützen. Aber wenn sie diesen Wunsch nicht hat, so würde sie der Polizei auch sogleich seinen Namen verraten haben, wenn sie ihn wüsste. Hier gehen die Fäden so durcheinander, dass wir sie notwendig erst entwirren müssen.“

      Er hatte rasch und mit erhobener Stimme gesprochen, wobei er über den Gartenzaun hinweg ins Leere blickte. Nun aber sprang er hastig auf und schritt nach dem Hause zu.

      „Ich möchte einige Fragen an Fräulein Cushing richten,“ sagte er.

      „In diesem Falle kann ich Sie ja allein lassen,“ bemerkte Lestrade, „ich habe noch eine andere Sache hier zu erledigen. Ich glaube auch nicht, dass ich aus Fräulein Cushing noch irgend etwas Neues herausbringen werde. Wenn Sie fertig sind, so treffen Sie mich bitte nachher auf der Polizeistation.“

      „Auf unserem Rückweg nach dem Bahnhof werden wir vorsprechen,“ antwortete Holmes. Einen Augenblick später standen wir wieder in dem Vorderzimmer, wo die Dame immer noch ruhig an ihrem Sofakissen weiterstickte. Sie legte es in den Schoss, als wir eintraten, und sah uns mit ihren offenen blauen Augen fragend an.

      „Ich bin überzeugt,“ sagte sie, „dass es sich hier um einen Irrtum handelt, und das Paket gar nicht für mich bestimmt war. Ich habe dies dem Herrn vom Scotland Yard schon wiederholt erklärt, aber er hat dafür nur ein Lächeln übrig. Auf der ganzen Welt habe ich, soviel ich weiss, keinen einzigen Feind, warum also sollte mir jemand diesen Streich spielen?“

      „Ich komme zur selben Ansicht wie Sie, Fräulein Cushing,“ entgegnete Holmes und setzte sich neben sie. „Ich glaube, dass dies mehr als wahrscheinlich ist —“ Er hielt plötzlich inne, und wie ich aufsah, war ich überrascht, zu bemerken, dass er mit sonderbarem Interesse das Profil der Dame beobachtete. Ueberraschung und Befriedigung, beides konnte man einen Augenblick in seinem angespannten Gesichte lesen, obgleich es wieder ebenso ausdruckslos wie immer war, als Fräulein Cushing sich zu ihm wandte, um die Ursache seines plötzlichen Schweigens zu ergründen. Ich selbst starrte auf ihr flach geordnetes, von grauen Fäden durchzogenes Haar, ihren Kamm, ihre kleinen goldenen Ohrringe, ihre freundlichen Gesichtszüge; aber ich konnte nichts entdecken, was die offensichtliche Aufregung meines Freundes hätte erklären können.

      „Dann hätte ich noch zwei Fragen . . .“

      „O, ich habe jetzt genug,“ rief Fräulein Cushing ungeduldig.

      „Sie

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