Bodies. Im Kampf mit dem Körper. Susie Orbach
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Den Fallout dieser Veränderung sehen wir in den Sprechzimmern von Psychotherapeut*innen, Psycholog*innen, Psychoanalytiker*innen und Ärzt*innen. Hier finden wir immer häufiger das, was ich Körperinstabilität und Körperscham nenne. Es wird immer offensichtlicher, dass unser Körperverständnis auf neue Erklärungen und Theorien angewiesen ist. Ob es um die Bereitschaft und den Wunsch so vieler Menschen geht, die Größe oder Form ihres Penis, ihrer Brüste, ihres Gesäßes oder Bauchs zu verändern, ob wir uns bemühen, das Erleben eines Mannes mit einem Phantomglied zu verstehen, quälende psychosomatische Symptome zu decodieren, mit Anorexie, Bulimie oder einer der sonstigen Körperdysmorphien umzugehen – das kartesianische und freudianische Konzept des Körpers erscheint heute unzulänglich. Das Psyche-Körper-Verhältnis verändert sich. Orthodoxe psychoanalytische Theorie über die Fähigkeit der Psyche, den Körper zu beeinflussen, reicht nicht mehr aus. In dieser Zeit der Körperinstabilität wird immer klarer, dass der natürliche Körper eine Fiktion ist.
Wenn man sich in der Welt umschaut und die vielen verschiedenen Arten von Körpersprache und Körperschmuck sieht,[22] wird klar, dass Körper immer Ausdruck einer zeitlichen, geografischen, geschlechtsspezifischen, religiösen und kulturellen Einbindung sind. Halsringe, Gesichtsbemalung, Verschleierung, entblößte Fußgelenke, Businessanzüge, gefärbte Haare, Tätowierungen, absichtlich deformierte Füße, Goldzähne, Kopfbedeckungen, Beschneidung, lackierte Fingernägel sind allesamt Formen der Kennzeichnung oder Selbstkennzeichnung von Individuen als Mitglieder einer bestimmten Gruppe. Unsere Körper charakterisieren sich durch die Kleidung, den Gang und/oder sonstige Zeichen, die der Gruppe entsprechen, aus der wir kommen, zu der wir gehören oder mit der wir uns identifizieren wollen. Unsere Körpercodes und unser Körperverhalten konstituieren, wer wir sind. Ob wir die jeweiligen Codes für sinnvoll halten oder nicht, zeigen sie doch in jedem Fall, dass unser Körper weder naturgegeben noch unverfälscht ist, sondern geformt und geprägt durch das Zusammenspiel von Myriaden kleiner kultureller Praktiken. Es gab nie so etwas wie einen simplen, »natürlichen« Körper, sondern immer schon nur einen Körper, der sozial und kulturell geformt ist. Doch der derzeitige kulturelle Diskurs über den Körper verweist auf eine neue Epoche der Destabilisierung des Körpers und eine neue obsessive Beschäftigung mit ihm, beides induziert durch gesellschaftliche Kräfte und vermittelt in der Familie – dort, wo wir unser Körpergefühl erwerben.
Das heißt nicht, dass wir unsere Körperpraktiken als fremd erleben. Wenn wir Sport machen, uns frisieren und kleiden, unterstreichen wir, wie wir gesehen werden wollen und wie wir uns selbst sehen. Wir machen uns mit Vergnügen zurecht. Unsere Körperpraktiken werden uns nicht von oben vorgegeben wie eine Art Katechismus, den es zu befolgen gilt. Kulturelle Identität wird in der ganz alltäglichen, elementaren Interaktion zwischen Babys und Eltern vermittelt. Sie ist das Eltern-Kind-Verhältnis. Die Art, wie Babys getragen, gehätschelt, gefüttert werden, wie man mit ihnen spricht und schmust, sich mit ihnen beschäftigt, ist nicht nur die Summe jener kulturellen Praktiken, die Mütter, Väter, Kinderfrauen und Großeltern selbst als Kinder absorbiert haben und jetzt weitergeben, sie ist auch entscheidend dafür, wie das Kind seinen eigenen Körper erlebt. Körper werden im Säuglingsalter geformt, je nach den gesellschaftlichen und individuellen Gebräuchen der Familie, in die sie hineingeboren werden, sodass sie zu der Sorte Körper werden, die das vor ihnen liegende Leben erfordert.
Das war immer schon so und lief weitgehend unreflektiert ab. Jungen, die zu Kriegern erzogen wurden, entwickelten die dazu nötigen physischen und psychischen Eigenschaften, während Mädchen dazu erzogen wurden, brav und sittsam zu sein, still und nett mit übereinandergeschlagenen Beinen dazusitzen. Die Körper nahmen automatisch den entsprechenden Ausdruck an. Ein englischer Schuljunge der 1960er-Jahre war auf den ersten Blick zu erkennen und von seinem deutschen oder chinesischen Gegenstück zu unterscheiden: durch seine Haltung, seine Kleidung und das räumliche Feld, das sein Körper einnahm. Der Verkörperungsprozess eines jeden Jungen war konstitutiv für sein Selbstgefühl. Schichtzugehörigkeitsmarker wiesen ihn als Angehörigen der Ober-, Mittel-, der Arbeiterschicht aus. Kleidung war in Großbritannien einst in dieser Hinsicht ein ebenso schnell zu deutendes Signal wie die Sprechweise. Heute jedoch ändert sich das, da der globale Körper uns alle auf neue Weise zu erfassen scheint. Wir sehen einen rapiden Rückgang der reichen Vielfalt an Körperexpressionen. Einige wenige idealisierte Körpertypen, auf die hinzuarbeiten sich alle aufgefordert fühlen, treten an die Stelle verschiedener Verkörperungsformen in den verschiedenen Ländern. So wie wir derzeit etwa alle drei Monate eine Sprache verlieren, weil 9,2 Prozent der Sprachen der Welt nur noch von weniger als zehn Menschen gesprochen werden,[23] geht uns, fürchte ich, auch die Vielfalt der Körper verloren.
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