Über Toleranz. Voltaire

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Über Toleranz - Voltaire Reclams Universal-Bibliothek

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öffnen und gutgesinnte Herzen rühren.

      [23]Kapitel III

      Der Reformgedanke im 16. Jahrhundert

      Als mit der Wiedergeburt der Wissenschaften die Geister sich zu erhellen begannen, beschwerte man sich allgemein über Missbräuche; jeder muss zugeben, dass diese Klage berechtigt war.

      Papst Alexander VI. hatte die Tiara öffentlich gekauft, und seine fünf Bastarde teilten sich, was sie einbrachte. Sein Sohn, der Kardinalherzog von Borgia, ließ mit dem Einverständnis des päpstlichen Vaters eine Reihe hochgestellter Persönlichkeiten eines gewaltsamen Todes sterben, um ihre Herrschaftsbereiche an sich zu reißen, darunter Vitelli, Urbino, Gravina, Oliverotto und noch hundert andere mehr. Julius II., vom gleichen Geist beseelt, exkommunizierte Ludwig XII. und überließ dessen Gebiete dem nächstbesten Okkupanten. Und er selber, Helm auf dem Kopf und Panzer vor der Brust, verwüstete mit Flamme und Schwert einen Teil Italiens. Leo X. verschacherte Ablassbriefe, wie andere Leute Lebensmittel auf einem öffentlichen Markt verkaufen; damit finanzierte er seine Vergnügungen. Jene, die gegen so viel Räuberei aufbegehrten, hatten zumindest hinsichtlich der Moral nicht unrecht. Sehen wir nun, ob sie hinsichtlich der Politik gegen uns recht hatten.

      Sie machten geltend, dass Jesus Christus nie Annaten oder Reservation verlangt und weder Dispensationen für diese noch Ablässe für die andere Welt verkauft habe; also bestehe keine Notwendigkeit, einem ausländischen Fürsten all diese Dinge zu bezahlen. Nehmen wir an, die [24]Annaten, die Prozesse am römischen Gerichtshof sowie die Dispensationen – was es ja alles bis zum heutigen Tage gibt – kosteten uns jährlich nur 500 000 Francs, so haben wir seit den Zeiten Franz’ I. innerhalb von 250 Jahren 125 Millionen bezahlt; berücksichtigt man den geänderten Preis der Silbermark, beträgt diese Summe nach jetzigem Geld etwa 250 Millionen. Man kann also ohne Blasphemie einräumen, dass die Häretiker, als sie die Streichung dieser merkwürdigen Abgaben, über welche die Nachwelt sich wundern wird, vorschlugen, dadurch dem Reich keinen Schaden zuzufügen gedachten, und dass sie eher gute Rechner denn schlechte Untertanen waren. Hinzu kommt noch, dass allein sie Griechisch konnten und sich in der Antike auskannten. Bestreiten wir nicht, dass wir, trotz ihrer Irrtümer, ihnen die Entwicklung des menschlichen Geistes verdanken, der lange Zeit unter einer sehr dicken Schicht Barbarei gelegen hatte.

      Aber sie leugneten das Fegefeuer, an dem man nicht zweifeln darf und das obendrein den Mönchen eine Menge einbrachte. Ebenso wenig verehrten sie die Reliquien, die man jedoch verehren muss und die den Mönchen noch mehr einbrachten. Weil sie also höchst respektierte Dogmen attackierten,7 antwortete man ihnen gleich zu Beginn bloß dadurch, dass man sie verbrennen ließ. In Deutschland beschützte der König sie und nahm sie in Lohn und Brot. Anders in Frankreich: Da ging der König an der Spitze einer Prozession, nach der man mehrere dieser Unglücklichen hinrichtete. Und diese Exekution ging so: Man steckte einen langen Balken horizontal durch einen Baum, so dass eine Art große Wippe entstand, und an einem Ende der Bohle befestigte man die Delinquenten; unter ihnen [25]entzündete man ein Feuer, tauchte sie hinein und zog sie wieder hoch, eins ums andere Mal. Sie verspürten die Qualen des Sterbens stufenweise, bis sie endlich ihr Leben aushauchten, gepeinigt durch die längste und scheußlichste Marter, welche die Barbarei jemals erfunden hat.

      Kurz vor dem Tode Franz’ I. beschlossen einige Mitglieder des Parlaments der Provence, von den Geistlichen angestachelt, gegen die Einwohner von Mérindol und Cabrières vorzugehen. Sie baten den König um Truppen; diese sollten die Hinrichtung von neunzehn Personen absichern, die in jener Region, über die sie die Verdammnis verhängt hatten, beheimatet waren. Die Truppen kamen und metzelten sechstausend, und sie schonten dabei weder Frau noch Greis noch Kind. Dreißig Ortschaften legten sie in Schutt und Asche. Jene Leute, von denen zuvor kaum jemand wusste, hatten sich zweifellos schuldig gemacht; sie waren nämlich als Waldenser geboren; darin lag allerdings ihr einziges Vergehen. Sie siedelten seit dreihundert Jahren in Wüsteneien und auf Gebirgen, die sie mit unglaublichem Fleiß in fruchtbare Landschaften verwandelten. Ihr stilles Hirtenleben gemahnte an die Unverdorbenheit, die man den ersten Zeitaltern der Welt nachsagt. Die benachbarten Städte kannten sie nur flüchtig, weil sie hin und wieder dort ihre Früchte verkauften. Weder Prozesse noch Krieg waren ihnen geläufig. Sie wehrten sich nicht. Man tötete sie wie flüchtende Tiere, die man in einem Gehege stellt.8

      Nach dem Tod Franz’ I. – eines Fürsten, der allgemein bekannt ist für seine Galanterien und seine Missgeschicke, von seinen Grausamkeiten weiß man weniger – geschah einiges, das die Gegenseite zu den Waffen greifen ließ: [26]darunter die Hinrichtung von tausend Häretikern, namentlich die des Parlamentsrats Dubourg, dann das Massaker von Wassy. Das Flackern der Scheiterhaufen und der Stahl der Henker hatte der Sekte erheblichen Zulauf beschert. Nun trat der Zorn an die Stelle der Geduld: Die Verfolgten ahmten die Grausamkeiten ihrer Feinde nach. Neun Bürgerkriege erfüllten Frankreich mit Gemetzeln; dann führte ein Frieden, der noch verhängnisvoller war als der Krieg, zur Bartholomäusnacht, einem in den Annalen des Verbrechens beispielloses Ereignis.

      Die Heilige Liga ermordete Heinrich III. und Heinrich IV.; in dem einen Fall war ein Dominikanermönch der Täter, im anderen ein ungeheuerlicher ehemaliger Feuillant. Es gibt Leute, die halten Menschlichkeit, Milde und Gewissensfreiheit für ganz furchtbar; aber nun einmal ehrlich: Hätten diese wohl je solche Schrecknisse hervorgebracht?

      [27]Kapitel IV

      Ist Toleranz gefährlich?

      Und bei welchen Völkern besteht sie?

      Es ist verschiedentlich behauptet worden, dass, wenn wir unseren irrenden Brüdern, die in schlechtem Französisch zu Gott beten, mit väterlicher Milde begegnen, dies hieße, ihnen Waffen in die Hände zu geben, und dann hätten wir bald neue Schlachten nach dem Muster Jarnac, Moncontour, Coutras, Dreux, Saint-Denis etc. Ich weiß nicht, ob das stimmt, denn ich bin kein Prophet; aber es scheint mir nicht schlüssig argumentiert, wenn man sagt: »Diese Leute haben aufbegehrt, als ich ihnen Übles tat – also werden sie auch aufbegehren, wenn ich ihnen Gutes tue.«

      Ich möchte mir doch einmal die Freiheit nehmen, jene, die an der Spitze der Regierung stehen, und jene, die zu hohen Posten vorgesehen sind, zur reiflichen Prüfung zu ermutigen, ob man wahrhaft fürchten muss, dass Sanftheit dieselben Revolten erzeugt, die Grausamkeit hervorgebracht hat; ob, was unter bestimmten Umständen geschehen ist, auch unter anderen geschehen muss; ob die Zeiten, die Meinungen, die Sitten und Gebräuche immer dieselben bleiben.

      Die Hugenotten waren einmal genauso vom Fanatismus berauscht wie wir und haben sich genauso mit Blut besudelt wie wir; aber ist denn die aktuelle Generation noch so barbarisch wie ihre Väter? Sind denn die gewandelte Zeit, die Vernunft, die so gewaltige Fortschritte macht, sind denn gute Bücher und die Mäßigung im gesellschaftlichen Umgang nicht zu denen vorgedrungen, die den Sinn jener [28]Völker lenken? Bemerken wir denn nicht, dass sich das Antlitz fast ganz Europas seit etwa fünfzig Jahren geändert hat?

      Die Regierung hat überall mehr Stärke erreicht, wo sich der gesellschaftliche Umgang milderte. Angesichts der Generalpolizei, die von zahlreichen immer noch existenten Armeen unterstützt wird, muss man auch nicht befürchten, dass die anarchischen Zeiten wiederkehren, da calvinistische Bauern gegen katholische Bauern kämpften, die man zwischen Saat und Ernte hastig eingezogen hatte.

      Andere Zeiten, andere Sorgen. Es wäre heute absurd, die Sorbonne zu dezimieren, weil sie vor Jahrhunderten ein Ersuchen vorbrachte, die Jungfrau von Orléans zu verbrennen, weil sie erklärte, dass Heinrich III. kein Recht mehr habe zu regieren, weil sie ihn exkommunizierte, weil sie über den großen Heinrich IV. den Bann verhängte. Ebenso wenig wird man andere Körperschaften des Reichs verfolgen, die in den Zeiten der Raserei ähnliche Exzesse begingen; dies wäre nicht nur ungerecht, sondern ebenso wahnsinnig wie die Idee, heute alle Einwohner Marseilles zu purgieren, weil 1720 die Pest in der Stadt gewütet hatte.

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