Über Toleranz. Voltaire

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Über Toleranz - Voltaire страница 5

Über Toleranz - Voltaire Reclams Universal-Bibliothek

Скачать книгу

weil Sixtus V. 1585 allen Franzosen, die gegen ihren Souverän die Waffen erhoben, auf neun Jahre Ablass garantierte? Reicht es nicht, wenn wir Rom davon abhalten, sich je wieder zu solchen Exzessen hinreißen zu lassen?

      Der Furor, den der dogmatische Geist und der Missbrauch einer fehlgedeuteten christlichen Religion eingeben, hat vielerorts Blut vergossen und Unheil bewirkt, in Deutschland, England und sogar in Holland ebenso sehr wie in Frankreich; heute jedoch verursacht die Verschiedenheit der Religionen in diesen Staaten keine Unruhe [29]mehr: der Jude, der Katholik, der Griechisch-Orthodoxe, der Lutheraner, der Calvinist, der Anabaptist, der Sozinianer, der Mennonit, der Herrnhuter und noch viele andere leben in diesen Ländern wie Brüder zusammen und tragen alle gleichermaßen zum Wohle der Gesellschaft bei.

      Man fürchtet in Holland nicht mehr, dass Streitereien, die ein Gomar9 anfacht, einem Ratspensionär den Kopf kosten. Man fürchtet in London nicht mehr, dass Zwistigkeiten zwischen Presbyterianern und Episkopalen um eine Liturgie und ein Chorhemd das Blut eines Königs auf ein Schafott vergießen.10 Das dichter bevölkerte und reichere Irland wird nie mehr sehen müssen, wie seine katholischen Bürger zwei Monate lang seine protestantischen Bürger opfern, was so geschah: Man begrub sie lebendig; man hängte Mütter an Galgen, die Töchter an deren Hals und schaute dann zu, wie sie gemeinsam verendeten; man öffnete schwangeren Frauen die Bäuche, riss die erst halb gebildete Leibesfrucht heraus und gab sie den Schweinen und Hunden zu fressen; man steckte einen Dolch in die gefesselten Hände von Gefangenen und führte ihre Arme dergestalt, dass der Stahl sich in die Brust ihrer Frauen, ihrer Väter, ihrer Mütter und ihrer Kinder bohrte, weil man sich einbildete, sie damit zu Verwandtenmördern zu machen – auf die Art, so glaubte man, könne man sie gleichzeitig vernichten und der Verdammnis überantworten. Dies berichtet uns Rapin-Thoyras, der als Offizier in Irland diese Ereignisse fast noch selbst miterlebt hatte. Dies berichten alle Annalen, alle Geschichten Englands – Handlungen, die zweifellos nie eine Nachahmung finden. Die Philosophie, allein die Philosophie, diese Schwester der Religion, hat die Hände entwaffnet, die der Aberglauben so lange mit Blut [30]besudelt hatte, und der Menschengeist erwachte aus seinem Rausch und staunte über die Exzesse, zu denen ihn der Fanatismus hingerissen hatte.

      Wir selbst haben in Frankreich eine wohlhabende Provinz, in der das Lutheranertum stärker ist als der Katholizismus. Die Universität des Elsass ist in den Händen der Lutheraner; sie besetzen einen Teil der städtischen Ämter. Niemals hat der kleinste Religionszwist die Ruhe dieser Provinz gestört, seit sie unseren Königen gehört. Warum? Man hat dort niemanden verfolgt. Trachtet nicht, die Herzen zu bedrängen, und alle Herzen werden euer sein.

      Ich will gar nicht sagen, dass diejenigen, die anderer Religion sind als der Landesfürst, sich die Ämter und Ehrenposten mit jenen teilen sollen, die der herrschenden Religion angehören. In England können Katholiken nicht in den höheren öffentlichen Dienst gelangen; sie zahlen sogar die doppelte Steuer; ansonsten aber genießen sie alle Bürgerrechte.

      Man hat einige französische Bischöfe verdächtigt, sie vermeinten, es gereiche ihnen weder zur Ehre noch zum Vorteil, in ihrer Diözese Calvinisten zu haben, und darin, wurde behauptet, liege das größte Hindernis für die Toleranz. Ich kann das nicht glauben. Das Corps der Bischöfe in Frankreich besteht aus Männern von Stand, und sie denken und handeln mit der Noblesse, die ihrer hohen Geburt würdig ist; sie sind mildtätig und großherzig; dies muss man ihnen gerechtigkeitshalber attestieren. Sie sollten eben nur einsehen, dass geflüchtete Andersgläubige im Ausland bestimmt nicht zum Katholizismus konvertieren werden; wenn sie aber zu ihren Pastoren zurückkehren dürfen, könnten sie durch deren Lehren erleuchtet und [31]durch deren Beispiel beeindruckt werden. Sie zu konvertieren wäre eine Ehre, die Temporalien würden darunter nicht leiden: je mehr Bürger, desto mehr Einnahmen für die Prälaten, denen die Grundstücke gehören.

      Ein Bischof von Ermland in Polen hatte einen Anabaptisten als Pächter und einen Sozinianer als Einnehmer; man legte ihm nahe, beide hinauszuwerfen und zu verfolgen – den einen, weil er nicht an die Konsubstantialität glaubte, den anderen, weil er seinen Sohn erst mit fünfzehn taufen ließ. Der Bischof antwortete, in der anderen Welt seien die zwei auf ewig verdammt; in dieser jedoch brauche er sie dringend.

      Verlassen wir einmal unsere eigene kleine Sphäre und betrachten den restlichen Teil unseres Erdenballs. Der türkische Großherr regiert friedlich über zwanzig Völker verschiedener Religionen; zweihunderttausend Griechen leben sicher in Konstantinopel; der Mufti selbst ernennt den griechischen Patriarchen und stellt ihn dem Kaiser vor; man duldet auch einen lateinischen Patriarchen. Der Sultan ernennt die lateinischen Bischöfe einiger griechischer Inseln11, und zwar mit der Formel: »Ich befehle ihn zum Bischof der Insel Chios, wo er handeln möge nach den alten Gebräuchen der Bewohner und ihrer eitlen Zeremonien.« Das Reich ist angefüllt mit zahllosen Konfessionen, so mit Jakobiten, Nestorianern, Monotheleten; daneben gibt es Kopten, Johanneschristen, Juden, Guebern, Banianen. Die türkischen Annalen verzeichnen keine Revolte, die eine dieser Religionen angestachelt hätte.

      Oder geht nach Indien, nach Persien, in die Tatarei; dort findet ihr die gleiche Toleranz und die gleichen ruhigen Verhältnisse. Peter der Große ist allen Konfessionen in [32]seinem riesigen Reich freundlich begegnet; Handel und Ackerbau haben davon profitiert, und der Staat hat keinen Augenblick dadurch Schaden genommen.

      Die Regierung von China hat während der mehr als viertausend Jahre, über die wir Informationen besitzen, keine andere Religion gehabt als die der Noachiden, die schlichte Anbetung eines einzigen Gottes. Sie duldet jedoch den Aberglauben des Fo (oder Buddha) und den einer Vielzahl von Bonzen, die gefährlich werden könnten, wenn die Weisheit der Gerichte nicht stets Kontrolle über sie hielte.

      Zugegeben, der große Kaiser Yong Zheng, vielleicht der weiseste und großmütigste Herrscher, der China jemals regierte, hat die Jesuiten vertrieben; aber dies geschah nicht, weil er intolerant gewesen wäre, sondern ganz im Gegenteil die Jesuiten es waren. Sie geben in ihren Neugierigen Briefen selbst die Worte wieder, die der gute Fürst zu ihnen sagte: »Ich weiß, dass eure Religion intolerant ist. Ich weiß, was ihr auf den Philippinen und in Japan tatet. Ihr habt meinen Vater betrogen; hoffet nicht, auch mich zu betrügen.« Wenn man die ganze Rede liest, die er an die Jesuiten richtete, muss man ihn für einen äußerst weisen und gutmütigen Menschen halten. Konnte er denn europäische Physiker bei sich belassen, die unter dem Vorwand, dem Hofe Thermometer und Dampfturbinen zu zeigen, schon einen blutsverwandten Prinzen zur Auflehnung angestachelt hatten? Und was hätte dieser Kaiser wohl gesagt, wenn er von unserer weiteren Geschichte gelesen, wenn er unsere Zeiten der Liga und der Pulververschwörung gekannt hätte?

      Es wusste schon genug, wenn er von den ungehörigen Streitereien zwischen Jesuiten, Dominikanern, [33]Kapuzinern und Säkularpriestern hörte, die vom anderen Ende der Welt in seine Länder gesandt wurden; sie kamen, um die Wahrheit zu predigen, und anathematisierten einander. Der Kaiser tat also nicht mehr, als fremde Unruhestifter heimzuschicken; aber mit welcher Güte schickte er sie heim! Welche Sorge trug er nicht um ihre Reise, wie bedachtsam stellte er sicher, dass sie unterwegs nicht beschimpft wurden! Noch ihre Verbannung selbst war ein Beispiel von Toleranz und Menschlichkeit.

      Die Japaner12 waren die tolerantesten aller Völker; zwölf Religionen hatten sich friedlich in ihrem Reich eingerichtet. Als die Jesuiten kamen, waren sie die dreizehnte. Aber sie wollten keine andere neben sich dulden, und das Ergebnis kennt man: Ein Bürgerkrieg, nicht weniger grässlich als der Krieg der Liga, verheerte jenes Land. Am Ende wurde die christliche Religion in Strömen von Blut ertränkt. Die Japaner verschlossen ihr Reich dem Rest der Welt; sie sahen in uns nur noch wilde Bestien, ähnlich jenen, von denen die Engländer ihre Insel gesäubert haben. Vergebens versuchte Minister Colbert, der wusste, dass wir die Japaner brauchen, die uns aber keineswegs brauchen, neue Handelsbeziehungen mit ihrem Reich aufzubauen; sie ließen sich von ihm nicht dazu bewegen.

      So beweist unser ganzer Kontinent, dass man Intoleranz weder androhen noch ausüben soll.

      Richten wir nun die Augen auf die andere Hemisphäre.

Скачать книгу