Gesammelte historische Romane: Quo Vadis? + Die Kreuzritter + Mit Feuer und Schwert + Sintflut + Pan Wolodyjowski. Henryk Sienkiewicz

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Gesammelte historische Romane: Quo Vadis? + Die Kreuzritter + Mit Feuer und Schwert + Sintflut + Pan Wolodyjowski - Henryk Sienkiewicz

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er in beständiger Erregung gelebt, hatte er stets all seine Kräfte angespornt. Ans Ende der Welt war er gedrungen, er hatte manchen Kampf bestanden, er hatte sein Weib aus der Gefangenschaft befreit, durch Wüsteneien war er gewandert, und plötzlich sollte nun alles zu Ende sein, wie auf einen Schlag. Nichts blieb zurück als die Erkenntnis, daß alles umsonst, daß die erlittenen Mühseligkeiten vergeblich gewesen – und daß er diese zwar überwunden hatte, daß aber zugleich mit ihnen unendlich viel, auch die Hoffnung, alles Gute und die Liebe aus seinem Leben entschwunden waren. Ein jeder Mensch lebt in der Zukunft, ein jeder entwirft Pläne und beschließt manches für die kommenden Tage, für Zbyszko hingegen war das »morgen« gleichgültig geworden, und was die Zukunft anbelangte, so hatte er dasselbe Gefühl wie Jagienka, als sie, von Spychow wegreitend, sagte: »Hinter mir, nicht vor mir liegt das Glück!« Dies Gefühl von Freudlosigkeit, von Schwäche, die Empfindung, daß alles um ihn her öde und leer sei, ward durch den unendlichen Schmerz, den immer wachsenden Gram um Danusia hervorgerufen. Der Schmerz, welcher über ihn gekommen war, nahm ihn ganz gefangen und ward so gewaltig, daß schließlich in Zbyszkos Herzen nichts anderes mehr Raum fand. Er dachte nur noch an sein Leid und versenkte sich förmlich darein. Unempfindlich für alles, zog er sich in sein Inneres zurück, gleichsam in einem Traume umherwandelnd, ohne zu wissen, was um ihn her vorging. All seine Körper-und Geisteskräfte schienen nachgelassen zu haben, seine ehemalige Energie und Kühnheit waren entschwunden und hatten einer gewissen Lässigkeit Platz gemacht. In Blick und Bewegung hatte er jetzt etwas von der Würde eines Greises. Ganze Tage und Nächte saß er entweder in der Gruft am Sarge Danusias oder vor dem Hause, sich während der Nachmittagsstunden in der Sonne wärmend. Zuweilen war er so geistesabwesend, daß er keine Frage beantwortete. Pater Kaleb, der ihn liebte, befürchtete, der Gram, könne an ihm zehren wie der Rost am Eisen zehrt – und voll Betrübnis sagte er sich immer wieder, daß es vielleicht besser gewesen wäre, wenn er Zbyszko mit dem Lösegeld zu den Kreuzrittern geschickt hätte. »Es ist notwendig,« sprach er zu dem Küster des Ortes, mit dem er sich in Ermanglung eines andern über die eigenen Kümmernisse zu unterhalten pflegte, »daß ihn irgend etwas aufrüttle, sonst wird er vollständig zu Grunde gehen.« Und der Küster stimmte ihm bei, indem er den klugen Vergleich anführte: für einen Menschen, der an einem Knochen würge, sei es am besten, ihm einen tüchtigen Schlag in das Genick zu geben.

      Zwar trat nun kein besonderes Ereignis ein, aber einige Wochen später langte unerwarteter Weise Herr de Lorche in Spychow an. Sein Anblick erschütterte Zbyszko tief, mahnte er ihn doch an den Kriegszug mit den Samogitiern und an die Befreiung Danusias. De Lorche selbst scheute sich nicht, diese schmerzlichen Erinnerungen aufzurühren. Im Gegenteil, da er schon von Zbyszkos Verlust gehört hatte, verweilte er beständig an seiner Seite, betete mit ihm am Sarge Danusias und sprach unaufhörlich von ihr. Auch dichtete er, der sich mit Recht ein Minstrel hätte nennen dürfen, ein Lied auf die Dahingeschiedene, das er des Nachts am Gitterfenster der Gruft zur Laute sang, ein so trauriges, rührendes Lied, daß Zbyszko, obwohl er die Worte der Dichtung nicht verstand, durch die Weise allein schon tief bewegt, in einen Strom von Thränen ausbrach, der nicht versiegte bis zum Morgen.

      Erschöpft vom Weinen, von Kummer und Schlaflosigkeit, sank er dann in langen Schlummer, und als er wieder erwachte, war es offenbar, daß die Thränen ihm das Herz erleichtert hatten, da er erfrischt und gestärkt schien, auch vertrauensvoller in die Zukunft schaute. Die Anwesenheit Herrn de Lorches machte ihm Freude, er dankte ihm dafür, daß er gekommen war, und fragte schließlich, wieso er von seinem Unglück gehört habe. De Lorche erwiderte durch Pater Kaleb, daß er Danusias Tod zuerst in Lubowa, von dem alten Tolima erfahren, den er dort im Gefängnisse bei dem Komtur gesehen habe, daß er aber in jedem Falle nach Spychow gekommen wäre, um sich Zbyszko wieder zu stellen.

      Die Kunde von Tolimas Gefangennahme brachte sowohl auf den jungen Ritter als auch auf den Priester einen großen Eindruck hervor. Sie begriffen sofort, daß das Lösegeld als verloren zu betrachten sei, denn nichts auf der ganzen Welt war schwieriger, als den Kreuzrittern eine Summe zu entreißen, die sie einmal in den Klauen hatten. Darum war es nötig, zum zweitenmal mit Lösegeld auszuziehen.

      »Wehe!« rief Zbyszko aus. »Mein armer Oheim wartet sehnsuchtsvoll auf seine Befreiung und denkt wohl, ich hätte seiner vergessen! Ich muß jetzt sogleich zu ihm eilen.«

      Dann wendete er sich zu Herrn de Lorche: »Weißt Du, wie alles gekommen ist? Weißt Du, daß er sich in den Händen der Kreuzritter befindet?«

      »Ich weiß es,« antwortete de Lorche, »denn ich sah ihn in Marienburg, und darum gerade bin ich hierhergekommen.«

      Jetzt aber begann Pater Kaleb laut zu klagen: »Wir haben nicht richtig gehandelt,« sagte er, »und niemand von uns ist vernünftig gewesen. Tolima habe ich auch mehr Klugheit zugetraut. Weshalb begab er sich nicht nach Plock, anstatt sich ohne Geleitsbrief mitten unter diese Räuber zu wagen?«

      Herr de Lorche zuckte die Achseln.

      »Was sind ihnen Geleitsbriefe? Und ward dem Fürsten von Plock, sowohl wie auch Eurem Fürsten nicht genug Schaden durch die Kreuzritter zugefügt? An der Grenze hören ja die Ueberfälle und Kämpfe niemals auf. Denn auch Eure Leute geben keinen Frieden. Jeder Komtur, wahrlich, sogar jeder Vogt thut, was er will, und an Raubsucht übertrifft immer einer den andern.«

      »Um so eher hätte Tolima nach Plock gehen sollen.«

      »Dies wollte er auch thun, aber unterwegs, an der Grenze, nahmen sie ihn bei Nacht fest. Er wäre von ihnen erschlagen worden, hätte er nicht erklärt, daß er für den Komtur Geld nach Lubowa bringe. Dadurch rettete er sich, und der Komtur ruft jetzt Zeugen dafür auf, daß Tolima dies selbst gesagt hat.«

      »Und wie geht es meinem Oheim? Ist er gesund? Trachtet man ihm nach dem Leben?« fragte Zbyszko.

      »Er ist gesund!« antwortete de Lorche. »Aber der Haß gegen ›König‹ Witold und gegen die, welche den Samogitiern beistanden, ist dort groß, und sicherlich hätten sie den alten Ritter getötet, wenn ihnen nicht so viel am Lösegeld gelegen wäre. Wolfgang und Arnold von Baden schützen ihn aus der nämlichen Ursache, und schließlich handelt es sich auch um mein Haupt, denn wollte das Kapitel mich opfern, so würde die Ritterschaft von Geldern, Berg und Flandern sich dagegen auflehnen. Ihr wißt doch, daß ich ein Blutsverwandter des Grafen von Geldern bin.«

      »Und wieso handelt es sich auch um Dein Haupt?« unterbrach ihn Zbyszko voll Verwunderung.

      »Weil ich durch Dich gefangen genommen wurde. Ich sprach folgendermaßen in Marienburg: ›Wenn Ihr den alten Ritter von Bogdaniec töten laßt, wird sein Bruderssohn mein Haupt fordern‹.«

      »Ich fordere es nicht, so wahr mir Gott helfe!«

      »Wohl weiß ich, daß Du es nicht forderst, aber sie befürchten es, und dadurch droht Macko keine Gefahr bei ihnen. Sie sagten mir, auch Du seiest in Gefangenschaft geraten, Wolfgang und Arnold von Baden hätten Dich auf Dein Ritterwort freigelassen, daher sei es nicht nötig, daß ich mich Dir stelle. Doch entgegnete ich ihnen, daß Du noch frei gewesen, als Du mich gefangen nahmst. Und so bin ich zu Dir gekommen! Während ich mich in Deiner Gewalt befinde, werden sie weder Dir noch Macko etwas anhaben. Zahle jenen Brüdern Dein Lösegeld, für mich aber verlange zwei-oder dreimal so viel. Bezahlen müssen sie. Nicht darum spreche ich so, weil ich glaube, ich sei mehr wert als Du, sondern weil ich die Kreuzritter wegen ihrer Geldgier, welche ich verachte, strafen möchte. Einstmals hatte ich eine ganz andere Meinung von ihnen, aber jetzt habe ich einen wahren Abscheu gegen sie und das Leben unter ihnen gefaßt. In das heilige Land nach Abenteuern will ich ausziehen, denn jenen vermag ich nicht länger zu dienen.«

      »Bleibt bei uns, Herr,« sagte Pater Kaleb. »Ich glaube, Ihr werdet wohl bleiben, denn daß sie Lösegeld für Euch bezahlen werden, scheint mir nicht wahrscheinlich.«

      »Wenn sie es nicht bezahlen, so bezahle ich es selbst,« antwortete de Lorche.

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