Gesammelte historische Romane: Quo Vadis? + Die Kreuzritter + Mit Feuer und Schwert + Sintflut + Pan Wolodyjowski. Henryk Sienkiewicz
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In der Herberge trafen sie Tolima, welcher am Tage zuvor eingetroffen war. Dies verhielt sich folgendermaßen: der Starost des Ordens zu Lubowa, welcher gehört hatte, daß es dem Abgesandten, in dem Augenblicke, als man ihn in der Nähe von Brodnica ergriff, gelungen war, einen Teil des Lösegeldes zu verbergen, sandte ihn nach dieser Burg zurück, mit dem Auftrag an den Komtur, daß er ihn zwinge, anzugeben, wo das Geld sich befand. Aber Tolima benützte die günstige Gelegenheit und entfloh auf dem Wege dahin. Als die beiden Ritter sich wunderten, daß ihm die Flucht so gut gelungen war, erklärte er ihnen die Sache auf folgende Weise.
»Ihre Habsucht ist an allem Schuld. Der Komtur von Brodnica wollte mir nicht viele Leute zur Bewachung mitgeben, denn er wünschte keinen Lärm zu machen wegen des Geldes. Vielleicht hatte er mit dem Starosten von Lubowa verabredet, es zu teilen, und sie befürchteten, wenn Lärm gemacht werde, müßten sie einen beträchtlichen Teil davon nach Marienburg schicken oder alles an Arnold und Wolfgang von Baden abgeben. So ließ er mich denn nur durch zwei Männer geleiten, von denen der eine, ein vertrauter Knecht, mit mir die Ruder auf dem Drewenz führen sollte, der andere ein Schreiber war. Aber da sie wünschten, daß niemand uns sehen solle, wurden wir des Nachts weggeschickt und Ihr wißt, daß die Grenze ganz nahe ist. Sie gaben mir auch ein Ruder aus Eichenholz … nun – und Gott hat mir beigestanden … denn nun bin ich hier in Plock.«
»Wohl, aber sind die andern nicht zurückgekehrt?« rief Zbyszko aus.
Da erhellte ein Lächeln Tolimas grimmes Gesicht.
»Der Drewenz fließt in die Weichsel,« entgegnete er. »Wie können sie zurückkehren, wenn sie im Wasser liegen? In Torun werden die Kreuzritter sie vielleicht finden!«
Nach einer Weile fügte er, zu Zbyszko gewendet, hinzu: »Einen Teil des Geldes nahm mir der Komtur aus Lubowa, aber den Rest, welchen ich bei dem Ueberfall verbarg, habe ich wieder erlangt und es jetzt Eurem Knappen, Herr, zur Aufbewahrung übergeben. Er wohnt im Schlosse bei dem Fürsten, und dort ist es sicherer, als bei mir in der Herberge.«
»Mein Knappe ist hier in Plock? Was thut er hier?« fragte Zbyszko voll Verwunderung.
»Als er Zygfryd nach Spychow gebracht hatte, zog er mit der Jungfrau, welche sich dort befand, wieder aus und diese ist jetzt Hoffräulein bei der Fürstin hier. So sagte er mir gestern.«
Und Zbyszko, der durch den Schmerz um Danusia wie betäubt gewesen, der in Spychow nach nichts gefragt hatte und von nichts wußte, erinnerte sich jetzt erst, daß der Böhme mit Zygfryd vorausgesandt worden war – und von Groll und Rachedurst erfüllt, zog sich sein Herz bei diesem Gedanken krampfhaft zusammen.
»Ganz richtig, so ist es gewesen!« antwortete er. »Aber wo befindet sich jener Henker? Was ist mit ihm vorgegangen?«
»Erzählte es Pater Kaleb nicht? Zygfryd erhängte sich, und Ihr, Herr, müßt an seinem Grabe vorüber gekommen sein.«
Ein Augenblick des Schweigens folgte.
»Der Knappe sagte auch,« fügte Tolima hinzu, »daß er sich zu Euch begeben wolle, und daß er es schon längst gethan hätte, wenn es ihm möglich gewesen wäre, die junge Maid zu verlassen, welche erkrankte, als sie von Spychow hier anlangte.«
Gewaltsam die traurigen Erinnerungen von sich abschüttelnd, fragte Zbyszko wiederum wie in einem Traum befangen: »Welche junge Maid?«
»Ei, jene Maid,« entgegnete der Alte, »Euere Schwester oder Blutsverwandte, welche mit Ritter Macko in Männertracht nach Spychow kam und unterwegs unsern Herrn traf, der sich tastend seinen Weg suchte. Wäre nicht sie, wäre nicht Ritter Macko gewesen, so hätte auch Euer Knappe unsern Gebieter nicht erkannt. Unser Gebieter gewann sie nun sehr lieb, denn sie sorgte für ihn wie eine Tochter, und außer Pater Kaleb war sie die Einzige, die ihn verstand.«
Da riß der junge Ritter voll Erstaunen seine Augen weit auf.
»Pater Kaleb sagte mir nichts von einer jungen Maid, und eine Blutsverwandte habe ich nicht.«
»Er sagte nichts, Herr, weil Ihr durch Eueren Kummer alles um Euch her vergaßet und gar nichts mehr von der Gotteswelt wußtet.«
»Und wie nennt sich diese Maid?«
»Sie nennt sich Jagienka.«
Zbyszko glaubte, er träume. Daß Jagienka von dem fernen Zgorzelic nach Spychow gekommen war, vermochte er kaum zu fassen. Und aus welchem Grunde, warum hatte sie es gethan? Wohl war es ihm kein Geheimnis geblieben, daß die Maid ihn liebte, ihm in Zgorzelic ihr Herz zu eigen geworden war, aber er hatte ihr ja gestanden, daß Danusia seine Ehegemahlin werde – daher konnte er nimmermehr voraussetzen, daß Macko sie in der Absicht nach Spychow mitgenommen habe, um sie ihm zum Weibe zu geben. Uebrigens hatte weder Macko noch der Böhme ihm gegenüber Jagienkas Erwähnung gethan. All dies erschien ihm seltsam, ja völlig unbegreiflich. Daher bestürmte er Tolima mit Fragen, gleich einem Menschen, der seinen eigenen Ohren nicht zu trauen vermag und wünscht, daß ihm eine unglaubliche Kunde bestätigt werde.
Tolima konnte ihm indessen nicht mehr sagen, als das, was er schon gesagt hatte, doch begab er sich in das Schloß, um Hlawa aufzusuchen, und kehrte bald, noch vor Sonnenuntergang, mit diesem zurück. Der Böhme begrüßte seinen jungen Herrn voll Freude und doch auch wieder traurig, denn er hatte zuvor schon Kunde von den Ereignissen in Spychow bekommen. Auch Zbyszko war im Herzen froh über dies Wiedersehen, fühlte er doch, daß er hier eine treue Freundesseele vor sich hatte, eine von denen, welche dem Menschen vornehmlich im Unglück so nötig sind. Mit tiefer Wehmut berichtete er ihm von Danusias Tode, und Hlawa nahm wie ein Bruder Anteil an seinem Schmerze, seinem Herzeleid und an seinen Thränen. Sie blieben lange beisammen, zumal schließlich, auf Zbyszkos Bitte hin, Herr de Lorche, das Antlitz und den Blick zu den Sternen emporgerichtet, ihnen am offenen Fenster mit Begleitung der Zither jenen Trauergesang vortrug, den er an die Tote gedichtet hatte.
Als sie sich dann etwas erleichtert fühlten, begannen sie von den Angelegenheiten zu sprechen, die sie nach Plock geführt hatten.
»Ich habe absichtlich diesen Weg nach Marienburg eingeschlagen,« sagte Zbyszko. »Du weißt, daß mein Oheim in Gefangenschaft geraten ist, und daß ich mich mit Lösegeld zu ihm begebe.«
»Ich weiß es,« entgegnete der Böhme. »Ihr thatet wohl daran, Herr! Ich wollte selbst nach Spychow aufbrechen und Euch raten, nach Plock zu kommen. Der König wird in Naciongsch mit dem Großmeister eine Zusammenkunft haben; vor dem König aber wird es leicht sein, eine Beschwerde zu erheben, da in Gegenwart der Majestät die Kreuzritter nicht so hochmütig auftreten, sondern christliche Demut heucheln.«
»Tolima sagte mir, es sei Deine Absicht gewesen, zu mir nach Spychow zu kommen, allein die Krankheit Jagienkas, der Tochter Zychs, habe Dich daran gehindert. Ich hörte, daß mein Oheim sie in diese Gegend gebracht hat, und daß sie auch in Spychow gewesen ist. Darüber wundre ich mich sehr. Nun sprich, aus welchem Grunde hat mein Oheim sie aus Zgorzelic weggeführt?«
»Es waren viele Gründe vorhanden. Ritter Macko befürchtete, wenn er sie ohne Schutz zurücklasse, würden die Ritter Wilk und Cztan in Zgorzelic einfallen, und dadurch könne auch den Brüdern Jagienkas Schaden zugefügt werden. Ist sie aber abwesend, so droht keine Gefahr, denn wie Ihr wißt, kommt es in Polen zuweilen vor, daß ein Edelmann sich mit Gewalt einer Maid bemächtigt, wenn er sie nicht auf andere Weise haben kann. Aber gegen junge Waisen wird niemand die Hand erheben, denn mit dem Schwert des Henkers würde er