Ausgewählte Erzählungen. Oscar Wilde

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Ausgewählte Erzählungen - Oscar Wilde

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der südafrikanischen Missionen und über die Zweckmäßigkeit schwarzer Bischöfe in jeder Provinz –, und der aus irgendeinem Grunde ein tiefes Vorurteil gegen die Evening News hatte. Aber keine der Zeitungen enthielt die geringste Anspielung auf Chichester, und Lord Arthur fühlte, daß das Attentat mißlungen sein müsse. Das war ein furchtbarer Schlag für ihn, und eine Zeitlang fühlte er sich ganz niedergedrückt. Herr Winckelkopf, den er am nächsten Tage aufsuchte, erging sich in Entschuldigungen und bot ihm zum Ersatz ganz kostenlos eine andere Uhr an oder eine Schachtel mit Nitroglyzerinbomben zum Selbstkostenpreis. Aber Lord Arthur hatte alles Vertrauen zu den Sprengstoffen verloren, und Herr Winckelkopf selbst gab zu, daß heutzutage alles so verfälscht werde, daß man selbst Dynamit kaum in gutem Zustande erhalten könne. Der kleine deutsche Herr räumte zwar ein, daß etwas in der Maschinerie nicht gestimmt haben müsse, aber er gab die Hoffnung doch nicht auf, daß die Uhr noch losgehen könnte, und zitierte als Beispiel ein Barometer, das er einmal an den Militärgouverneur von Odessa geschickt habe und das so eingestellt worden war, daß es in zehn Tagen explodieren sollte, aber erst nach etwa drei Monaten losging. Allerdings wurde, als das Barometer endlich losging, nur ein Hausmädchen in Stücke zerrissen, denn der Gouverneur hatte die Stadt bereits seit sechs Wochen verlassen. Aber es war dadurch doch wenigstens festgestellt, daß Dynamit als zerstörende Kraft unter der Kontrolle der Maschine ein mächtiger, wenn auch etwas unpünktlich wirkender Faktor ist. Lord Arthur war durch die Bemerkung einigermaßen getröstet, aber auch hier drohte ihm bald eine Enttäuschung, denn als er zwei Tage später die Treppe hinaufstieg, rief ihn die Herzogin in ihr Boudoir und zeigte ihm einen Brief, den sie aus dem Dechanat erhalten hatte. »Jane schreibt entzückende Briefe«, sagte die Herzogin. »Du mußt wirklich ihren letzten lesen. Er ist genauso gut wie die Romane, die wir aus der Leihbibliothek bekommen.«

      Lord Arthur riß ihr den Brief aus der Hand. Er lautete folgendermaßen:

      »Dechanat Chichester,

      den 27. Mai.

       Teuerste Tante!

      Ich danke Dir vielmals für den Flanell für die Dorcas-Gesellschaft und auch für das Baumwollzeug. Ich bin ganz Deiner Meinung, daß es Unsinn ist, wenn die Leute hübsche Sachen tragen wollen, aber alle sind nun einmal heute so radikal und unreligiös, daß es ihnen schwer begreiflich zu machen ist, wie unpassend es ist, sich so zu kleiden wie die besseren Klassen. Ich weiß wirklich nicht, wohin wir noch kommen werden. Wie Papa so oft in seinen Predigten sagt: wir leben in einer Zeit des Unglaubens.

      Wir haben großen Spaß mit einer Uhr gehabt, die ein unbekannter Verehrer am letzten Donnerstag Papa geschickt hat. Sie kam in einer frankierten Holzschachtel aus London. Papa meint, der Absender müsse jemand sein, der seine bemerkenswerte Predigt: ›Ist Zügellosigkeit Freiheit?‹ gelesen hat, denn auf der Uhr steht die Figur eines Frauenzimmers, und Papa sagte, daß sie die Freiheitsmütze auf dem Kopfe trage. Ich fand die Figur nicht gerade sehr passend, aber Papa sagte, sie sei historisch, und so ist wohl alles in Ordnung. Parker packte die Uhr aus, und Papa stellte sie auf den Kaminsims im Bibliothekszimmer. Dort saßen wir alle Freitag vormittag, und gerade, als die Uhr zwölf schlug, hörten wir ein schnarrendes Geräusch. Eine kleine Rauchwolke kam aus dem Postament der Figur, die Göttin der Freiheit fiel herunter, und ihre Nase zerbrach am Kaminvorsetzer. Marie war ganz außer sich, aber die Sache war so komisch, daß James und ich in Lachen ausbrachen und auch Papa seinen Spaß daran hatte. Als wir die Geschichte näher untersuchten, fanden wir, daß die Uhr eine Art Weckuhr ist. Wenn man sie auf eine bestimmte Stunde einstellt und ein bißchen Schießpulver und ein Zündhütchen unter einen kleinen Hammer legt, geht sie los, wann man will. Papa sagte, sie dürfe nicht im Bibliothekszimmer bleiben, weil sie zuviel Lärm mache. So nahm sie Reinhold mit ins Schulzimmer und macht dort den ganzen Tag nichts als kleine Explosionen. Glaubst Du, daß Arthur sich über so eine Uhr als Hochzeitsgeschenk freuen würde? Ich glaube, daß diese Uhren in London jetzt in Mode sind. Papa meint, daß sie sehr viel Gutes stiften könnten, denn sie zeigten, daß die Freiheit keinen Bestand habe, sondern fallen müsse. Papa sagt, daß die Freiheit zur Zeit der Französischen Revolution erfunden worden ist. Wie schrecklich!...

      Ich gehe jetzt in die Dorcas-Gesellschaft, wo ich den Leuten Deinen sehr lehrreichen Brief vorlesen werde. Wie wahr, liebe Tante, ist doch Dein Gedanke, daß sie in ihrer Lebensstellung keine gutsitzenden Kleider zu tragen brauchen. Ich muß wirklich sagen, daß ihre Sorge für die Kleidung einfach unsinnig ist, da es doch so viele wichtigere Dinge gibt, sowohl in dieser Welt wie in jener. Ich freue mich sehr, daß der geblümte Popelin so gut gehalten hat und daß Deine Spitzen nicht zerrissen sind. Ich werde jetzt die gelbe Seide tragen, die Du so lieb warst mir zu schenken – bei Bischofs am Mittwoch –, und ich glaube, sie wird sich sehr gut machen. Meinst Du, daß ich Schleifen nehmen soll oder nicht? Jennings sagt, daß jetzt alle Welt Schleifen trägt und daß der Jupon plissiert sein müsse. Gerade hat Reinhold wieder eine Explosion gemacht, und Papa hat befohlen, daß die Uhr in den Stall geschafft wird. Ich glaube, daß Papa sie nicht mehr so gern hat wie anfangs, obwohl er sich sehr geschmeichelt fühlt, daß man ihm solch ein hübsches und geistvolles Spielzeug geschickt hat. Es zeigt eben wieder, daß die Leute seine Predigten lesen und Nutzen aus ihnen ziehen.

      apa schickt beste Grüße, ebenso James, Reinhold und Maria. Ich hoffe, daß es Onkel Cecil mit seiner Gicht besser geht, und bleibe, teure Tante, Deine Dich innigst liebende Nichte

       Jane Percy.

      P.S. Bitte sage mir Deine Meinung über die Schleifen. Jennings bleibt dabei, daß sie Mode sind.«

      Lord Arthur blickte so ernst und unglücklich auf den Brief, daß die Herzogin in Lachen ausbrach.

      »Mein lieber Arthur«, rief sie. »Ich werde dir nie wieder Briefe von jungen Damen zeigen. Was soll ich aber zu der Uhr sagen? Das ist ja eine großartige Erfindung, ich möchte auch so eine haben.«

      »Ich halte nicht viel davon«, sagte Lord Arthur mit einem traurigen Lächeln, küßte seiner Mutter die Hand und verließ das Zimmer.

      Als er oben in seinem Zimmer war, streckte er sich auf das Sofa, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Er hatte getan, was in seinen Kräften stand, um einen Mord zu begehen, aber beide Male war es ihm mißlungen, und nicht durch seine Schuld. Er hatte versucht, seine Pflicht zu tun, aber es schien, als ob das Schicksal sich selbst untreu geworden wäre. Ihn bedrückte die Erkenntnis, daß gute Vorsätze nutzlos waren, daß jeder Versuch, korrekt zu sein, vergeblich war. Vielleicht wäre es besser, das Verlöbnis ein für allemal zu lösen? Gewiß – Sybil würde leiden, aber Leid konnte einer so edlen Natur wie der ihren nichts anhaben. Und er selbst? Es gibt immer einen Krieg, in dem ein Mann sterben kann, immer eine Sache, für die ein Mann sein Leben opfern kann, und da das Leben keine Freude mehr für ihn hatte, hatte der Tod keinen Schrecken mehr für ihn. Das Schicksal sollte nur selbst sein Urteil vollziehen – er würde keinen Finger mehr rühren, ihm dabei zu helfen!...

      Um halb acht kleidete er sich an und ging in den Klub. Surbiton war da mit einer Menge junger Leute, und er mußte mit ihnen speisen. Ihr triviales Gespräch und ihre faulen Witze interessierten ihn nicht, und als der Kaffee aufgetragen worden war, erfand er eine Verabredung, um fortzukommen. Als er den Klub verlassen wollte, übergab ihm der Portier einen Brief. Er war von Herrn Winckelkopf, der ihn einlud, ihn am nächsten Abend zu besuchen und sich einen Explosivschirm anzusehen, der losging, wenn man ihn öffnete. Es sei die allerneueste Erfindung und eben erst aus Genf gekommen. Er riß den Brief in Stücke. Er war entschlossen, keine weiteren Versuche mehr zu machen. Dann ging er hinunter zum Themseufer und saß stundenlang am Fluß. Der Mond blickte durch eine Mähne lohfarbener Wolken wie das Auge eines Löwen, und zahllose Sterne funkelten im weiten Raum wie Goldstaub, ausgestreut über eine purpurne Kuppel. Dann und wann schaukelte eine Barke auf dem trüben Strom und schwamm dahin mit der Flut, und die Eisenbahnsignale wechselten von Grün zu Rot, wenn die Züge ratternd über die Brücke fuhren. Nach einiger Zeit schlug es zwölf Uhr vom hohen Westminsterturm,

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