Ausgewählte Erzählungen. Oscar Wilde

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Ausgewählte Erzählungen - Oscar Wilde

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Arm durch die Kirche schritt, keinen stolzeren Mann in ganz England gab als ihn.

      Der Herzog und seine junge Frau kamen nach den Flitterwochen auf Schloß Canterville, und am Tage nach ihrer Ankunft gingen sie des Nachmittags zu dem kleinen einsamen Friedhof unter den Tannen. Man hatte erst über die Inschrift auf Sir Simons Grabstein nicht schlüssig werden können, und nach vielen Schwierigkeiten war dann entschieden worden, nur die Initialen seines Namens und den Vers vom Fenster der Bibliothek eingravieren zu lassen. Die Herzogin hatte wundervolle Rosen mitgebracht, die sie auf das Grab streute, und nachdem sie eine Zeitlang stillgestanden hatten, schlenderten sie weiter zu der halbverfallenen Kanzel in der alten Abtei. Dort setzte sich Virginia auf eine der umgestürzten Säulen; ihr Mann legte sich ihr zu Füßen in das Gras, rauchte eine Zigarette und blickte ihr verliebt und glücklich in die schönen Augen. Plötzlich warf er seine Zigarette weg, ergriff ihre Hand und sagte: »Virginia, eine Frau sollte keine Geheimnisse vor ihrem Mann haben!«

      »Aber lieber Cecil! ich habe doch keine Geheimnisse vor dir.«

      »Doch, das hast du,« antwortete er lächelnd, »du hast mir nie gesagt, was dir begegnet ist, als du mit dem Gespenst verschwunden warst.«

      »Das habe ich niemandem gesagt«, erwiderte Virginia ernst.

      »Das weiß ich, aber du könntest es mir jetzt doch sagen.«

      »Bitte, verlange das nicht von mir, Cecil, denn ich kann es dir nicht sagen … Der arme Sir Simon! Ich bin ihm zu so großem Danke verpflichtet. Ja, da brauchst du nicht zu lachen, Cecil, es ist wirklich wahr. Er hat mich einsehen gelehrt, was das Leben ist und was der Tod bedeutet und warum die Liebe stärker ist als beide zusammen.«

      Der Herzog stand auf und küßte seine junge Frau sehr zärtlich. »Du kannst dein Geheimnis behalten, solange mir nur dein Herz gehört«, sagte er leise.

      »Das Herz hat dir schon immer gehört, Cecil.«

      »Aber unsern Kindern wirst du einst dein Geheimnis sagen, nicht wahr?«

      Virginia errötete …

      EINE STUDIE ÜBER DIE PFLICHT

       Inhaltsverzeichnis

      I

      Es war Lady Windermeres letzter Empfang vor Ostern, und Bentinck House war noch voller als gewöhnlich. Sechs Kabinettsminister waren direkt vom Morgenempfang des Unterhauspräsidenten gekommen mit allen ihren Sternen und Ordensbändern, alle die hübschen Frauen trugen ihre schönsten Toiletten, und am Ende der Gemäldegalerie stand die Prinzessin Sophia von Karlsruhe, eine gewichtige Dame mit einem Tatarenkopf, kleinen schwarzen Augen und wundervollen Smaragden, die sehr laut ein schlechtes Französisch sprach und maßlos über alles lachte, was man zu ihr sagte. Es war gewiß ein wundervolles Gemisch von Menschen. Peersfrauen in all ihrer Pracht plauderten liebenswürdig mit extremen Radikalen, volkstümliche Prediger sah man neben hervorragenden Skeptikern, ein ganzer Trupp von Bischöfen folgte Schritt für Schritt einer dicken Primadonna von Zimmer zu Zimmer, auf der Treppe standen einige Mitglieder der Königlichen Akademie, die sich als Künstler gaben, und es hieß, daß zeitweise der Speisesaal mit Genies geradezu vollgepfropft sei. Alles in allem war es einer von Lady Windermeres schönsten Abenden, und die Prinzessin blieb bis fast halb zwölf Uhr.

      Kaum war sie fort, kehrte Lady Windermere in die Gemäldegalerie zurück, wo gerade ein berühmter Nationalökonom einem unwillig zuhörenden ungarischen Virtuosen einen feierlichen Vortrag über die theoretische Musikwissenschaft hielt, und begann mit der Herzogin von Paisley zu plaudern. Sie sah wundervoll aus mit ihrem herrlichen elfenbeinweißen Hals, ihren großen Vergißmeinnichtaugen und den schweren Flechten ihres goldenen Haares. Or pur war ihr Haar, nicht die blasse Strohfarbe, die sich heute den edlen Namen des Goldes anmaßt, nein, es war Gold, wie es in Sonnenstrahlen verwebt ist oder in seltenem Bernstein ruht. Und dieses Haar gab ihrem Gesicht gleichsam die Umrahmung eines Heiligenbildes, doch nicht ohne den berückenden Zauber einer Sünderin. Sie war ein interessantes psychologisches Studienobjekt. Sie hatte sehr früh die große Wahrheit entdeckt, daß nichts so sehr nach Unschuld aussieht wie ein leichtfertiges Benehmen. Und durch eine Reihe von leichtsinnigen Streichen, von denen die Hälfte ganz harmlos war, hatte sie sich alle Vorrechte einer Persönlichkeit erworben. Sie hatte mehr als einmal ihren Gatten gewechselt, und der Adelskalender belastete ihr Konto mit drei Ehen. Da sie aber niemals ihren Liebhaber wechselte, hatte die Welt längst aufgehört, über sie zu klatschen. Sie war nun vierzig Jahre alt, hatte keine Kinder, aber die ausschweifende Freude am Vergnügen, die das Geheimnis ist, jung zu bleiben.

      Plötzlich sah sie sich eifrig im Zimmer um und sagte mit ihrer klaren Altstimme: »Wo ist mein Chiromant?«

      »Ihr was, Gladys?« rief die Herzogin und sprang unwillkürlich auf.

      »Mein Chiromant, Herzogin. Ich kann jetzt ohne ihn nicht leben.«

      »Liebe Gladys, Sie sind immer so originell«, murmelte die Herzogin und versuchte sich zu erinnern, was ein Chiromant eigentlich sei, wobei sie hoffte, es sei nicht dasselbe wie Chiropodist.

      »Er kommt regelmäßig zweimal in der Woche, um meine Hand anzusehen«, fuhr Lady Windermere fort. »Und interessiert sich sehr dafür.«

      ›Großer Gott!‹ sagte die Herzogin zu sich selbst. ›Es ist also doch eine Art Chiropodist, wie schrecklich! Hoffentlich ist er wenigstens Ausländer – dann wäre es doch nicht ganz so schlimm.‹

      »Ich muß ihn Ihnen vorstellen.«

      »Ihn mir vorstellen?« rief die Herzogin. Ist er denn hier?« Und sie suchte ihren kleinen Schildpattfächer und einen sehr ramponierten Spitzenschal, um im gegebenen Augenblick zum Fortgehen bereit zu sein.

      »Natürlich ist er hier, ich würde nicht daran denken, ohne ihn eine Soiree zu geben. Er behauptet, ich hätte eine rein psychische Hand und daß ich, wenn mein Daumen nur ein ganz kleines Stückchen kürzer wäre, eine unverbesserliche Pessimistin geworden wäre und heute in einem Kloster säße.«

      »Ach so«, sagte die Herzogin und atmete erleichtert auf. »Er ist ein Wahrsager, nicht wahr? Und prophezeit er Glück?«

      »Auch Unglück«, antwortete Lady Windermere. »Und zwar eine ganze Menge. Nächstes Jahr zum Beispiel bin ich in großer Gefahr, sowohl zu Wasser als zu Lande. Ich habe also die Absicht, in einem Ballon zu leben, und werde jeden Abend mein Essen in einem Korb heraufziehen. Das steht alles auf meinem kleinen Finger geschrieben oder in meiner Handfläche, ich weiß nicht mehr genau.« »Aber das heißt doch die Vorsehung versuchen, Gladys.«

      »Meine liebe Herzogin, die Vorsehung kann heutzutage sicher schon der Versuchung widerstehen. Ich glaube, daß jeder Mensch einmal im Monat in seiner Hand lesen lassen müßte, um zu wissen, was er nicht tun darf. Natürlich tut man es doch, aber es ist so hübsch, wenn man gewarnt wird. Und wenn jetzt nicht gleich jemand Mr. Podgers holt, so werde ich ihn wohl selbst holen müssen.«

      »Gestatten Sie, daß ich ihn hole«, sagte ein schlanker, hübscher junger Mann, der in der Nähe stand und dem Gespräch mit heiterem Lächeln zugehört hatte.

      »Ich danke Ihnen vielmals, Lord Arthur, aber ich fürchte, Sie werden ihn nicht erkennen.«

      »Wenn er ein so wunderbarer Mensch ist, wie Sie sagen, Lady Windermere, kann

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