Tropenkoller. Georges Simenon
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Die Glocke einer Faktorei schlug halb zwei. Im Lokal waren nur noch vier Personen, kurz darauf drei anwesend. Timar, der immer noch an seinem Tisch saß, blickte zu Boden.
Dann leerte der letzte Gast sein Glas und nahm seinen Tropenhelm vom Garderobenständer, während Timars Herz schneller zu schlagen begann und er sich beklommen fragte, was er oder sie wohl sagen würden.
Die Schritte entfernten sich. Mühsam hob er den Kopf. Er hatte beschlossen, sich auch einen Schnaps zu bestellen, auf die Gefahr hin, für den Rest des Tages unbrauchbar zu sein.
Doch in dem Augenblick, in dem er den Beschluss fasste, seufzte Adèle wie jemand, der sich ohne Energie an die Arbeit macht. Er hörte, wie sie die Kasse schloss. Dann ging sie hinaus, ohne ihm etwas zu sagen, ohne ihn anzusehen. In der Durchreiche sah er sie noch einen Augenblick in der Küche, wo sie mit leiser Stimme Anweisungen gab. Schließlich ging sie die Treppe hinauf, und ihre Schritte hallten über Timars Kopf.
3
Das Abendessen verlief ähnlich wie das Mittagessen, mit dem einzigen Unterschied, dass der Tote oben nicht mehr in seinem Bett, sondern in einem geschlossenen Sarg lag, den man auf zwei Stühle gestellt hatte.
Außerdem wechselten die Stammgäste vielsagende Blicke, als wollten sie einander an einen gemeinsam gefassten Beschluss erinnern, und nachdem er seine Mahlzeit beendet hatte, ging der Holzfäller mit dem Metzgergesicht zur Theke.
»Sag mal, Adèle, meinst du nicht, es wäre besser, zu schließen?«
»Genau das habe ich vor.«
»Und … ich nehme an … wird jemand bei ihm wachen? In dem Fall kannst du natürlich auf uns zählen.«
Sein grobes Gesicht bildete einen komischen Kontrast zu dem kindlichen Ausdruck, der an einen um Erlaubnis bittenden Schuljungen erinnerte.
»Warum bei ihm wachen? Er wird nicht entwischen.«
Die Augen des Holzfällers funkelten. Er musste ein Lächeln unterdrücken, und weniger als fünf Minuten später waren alle draußen, auch Timar. Der allgemeine Aufbruch hatte sich mit einer vorgetäuschten Lässigkeit, einer gespielten Unentschlossenheit vollzogen.
»Wir werden vor dem Schlafengehen noch ein Stündchen spazieren gehen. Bis morgen, Adèle.«
Ein paar verstohlene Blicke. Der Holzfäller tippte Timar auf die Schulter.
»Komm mit uns. Sie möchte lieber allein sein.«
Das Lokal war leer. Sechs Männer standen im Dunkeln auf der Straße, und der eine von ihnen drehte an der Kurbel eines Lieferwagens. Der Mond schien hell, und hinter dem Vorhang aus Kokospalmen rauschte das silbern glänzende Meer, genauso, wie Timar sich in Europa die afrikanischen Nächte auf den Inseln in seiner Phantasie vorgestellt hatte.
Er blickte zu dem Lokal hin, dessen Leere ihn traurig stimmte. Der Boy räumte die Tische ab, und Adèle gab ihm von der Theke aus Anweisungen.
Timar bemerkte, dass der stellvertretende Direktor der Bank bei ihnen war. Er stand direkt neben ihm in dem Lieferwagen, der sich in Bewegung setzte. Schon seufzte jemand:
»Uff! Adèle übertreibt! Vorhin beim Essen dachte ich schon, ich müsste ersticken.«
»Warte. Halt bei mir an«, sagte ein anderer und beugte sich zu dem Chauffeur. »Ich will eine Flasche Pernod holen.«
Die Gesichter waren nur undeutlich zu erkennen, der helle Mondschein entstellte sie. Die sechs Gestalten schwankten und wurden von den unebenen Fahrspuren nach Lust und Laune hin- und hergeworfen.
»Wohin fahren wir?«, fragte Timar den stellvertretenden Direktor leise.
»Wir wollen den Abend in einer Hütte verbringen.«
Timar fiel auf, dass er anders wirkte als sonst. Er war ein hochgewachsener, sehr schlanker junger Mann mit feinen Gesichtszügen, blondem Haar und verhaltenen Gesten. Aber an diesem Abend lagen ein verdächtiges Funkeln und eine seltsame Unentschlossenheit in seinem Blick.
Während sie auf den Pernod warteten, wechselte Timar halblaut ein paar Worte mit seinem Nachbarn. Er erfuhr, dass Bouilloux, der Mann mit dem Metzgergesicht, in seinem Leben nie Metzger, sondern einst Lehrer in einem Dorf im Morvan gewesen war.
Mitten in einem Satz erinnerte sich der Bankier plötzlich an seine gute Erziehung. Er verbeugte sich und streckte die Hand aus:
»Darf ich mich Ihnen vorstellen, Gerard Maritain.«
»Joseph Timar von der Sacova.«
Der Wagen fuhr weiter. Sie folgten einem Weg, den Timar nicht kannte, und der Lärm des Motors erlaubte keine weitere Unterhaltung. Das Auto war nur noch ein klappriges Gefüge aus Eisenteilen, was den Fahrer aber nicht daran hinderte, die Kurven so kühn zu nehmen, dass die Passagiere jedes Mal gegeneinanderfielen.
Zu beiden Seiten des Weges sah man einige Lichter, dann irgendwann nichts mehr. Weiter entfernt tauchte ein Feuer auf, in dessen Schein die schwarzen Kegel der Eingeborenenhütten zu erkennen waren.
»Zu Maria?«, fragte jemand.
»Zu Maria.«
Mit einem Mal fühlte sich Timar wie in einem Albtraum. Es war das erste Mal, dass er in der Nacht durch Libreville fuhr. Der Mond gab den Dingen ein fremdartiges Aussehen. Er wusste weder, wo er war, noch, wohin er fuhr. Im Vorbeifahren tauchten Schatten auf, zweifellos Schwarze, die sofort mit dem Wald verschmolzen. Die Bremsen quietschten. Bouilloux stieg als Erster aus, ging auf eine in Dunkelheit getauchte Hütte zu und trat mit dem Fuß gegen die Tür.
»Maria! … He, Maria! … Steh auf!«
Die anderen stiegen nun ebenfalls aus. Timar hielt sich weiter an Maritain, der ihm ähnlicher war als die anderen.
»Wer ist Maria? Eine Prostituierte?«
»Nein. Sie ist eine Schwarze wie alle anderen. Die wollen nichts weiter, als von den Weißen besucht zu werden. Da es in Libreville kein Lokal gibt, blieb uns heute Abend nichts anderes übrig.«
Trotz der nächtlichen Stunde war es immer noch heiß. In den anderen Hütten rührte sich nichts. Die Tür besagter Hütte öffnete sich, und ein nackter schwarzer Mann tauchte auf, deutete eine Verbeugung an und verschwand in das tiefe Dunkel des Dorfs.
Timar begriff erst später, dass es der Ehemann war, Marias Ehemann, der weggeschickt wurde, während man seine Frau besuchte.
Ein Streichholz flammte auf, mit dem eine Petroleumlampe in der Hütte entzündet wurde.