Fähre VII. Hans Leip
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Käptn Bauz unterbrach seinen Redestrom. Seit er an Land war, so viele Jahre schon, hatte er das Schweigen der See verlernt. Mines kleine Nase hatte schon ungeduldig gezuckt. Doch so schnell gedachte der Alte die Sonne nicht untergehen zu lassen.
»Ja, was geht dich der Knappen an?« kaute er und spie vorsichtig in den Rinnstein, indem er mit gewichtiger Hand andeutete, daß er noch etwas anderes sagen wolle.
Mine war in Hochachtung vor den Erwachsenen erzogen worden. Sie wußte auch, daß Käptn Bauz mehr bedeute, als er sich den Anschein gab, und sie blieb stehen, obwohl es sie nach Hause und auch nach Fähre VII zog.
»Die Manhattan ist da«, sagte sie.
»Das weiß meine Nachtmütze, der olle Sottpüster«, knurrte Käptn Bauz: »Da freut sich sogar euer Spinatladen! Aber das wollt ich dir sagen, wirklich nett ist es von dir, daß du gleich so bauz heut morgen auf Sparkasse gepeest bist. Kuck mal, da drüben, da ist das kleine Haus, darin ist die Sparkasse, und da auf der Ecke daneben, da ist ein Wettbüro, und das ist schon viel größer, und daneben ist das große Schwoflokal. Mein Kind, du bist ja meine sogenannte Großnichte und ich könnte dein Vater sein, wenn dein Vater nicht deine Mutter, was mein Schwesterkind ist, bauz geheiratet hätte, sondern ich, sühst du, was sie nicht wollte. Die drei Gebäude, kuck mal, das ist das Leben: Du kannst sparen, wetten, verjuren, diese drei. Aber das Sparen ist das Größte unter ihnen.«
Käptn Bauz hob die breite helle Flosse wie ein Parkprediger, und seine verklammerten Seeaugen leuchteten spitz. Es war ihm fast Ernst, aber Mine mußte lachen. »Sparen? Man muß doch auch was riskieren und was ausgeben, sonst ist doch kein Leben!«
Ach, sie lachte so gern, und mit einem eilends gezwitscherten »Tjüs, Onkel Bauz!« entwischte sie zur Balduinstraße hin.
»Bauz schwimmt sie ab!« knurrte er lächelnd hinterdrein: »Wie der Wind. Laß dir man deine süßen Hobelpläne nicht wegwehen, mein Stint!«
Doch halb verlangsamte sie den Schritt. Ein Hauch Bleilot schien ihr in den Knien zu liegen. Die Schuhe waren sicher zu eng, und auf einmal fühlte sie die Blicke der Vorübergehenden deutlicher als sonst. Sie sah zurück. Käptn Bauz war schon um die Ecke.
Von Bäcker Unbescheiden der lange Geselle, mehlbestaubt, trug beide Arme voll kastenförmiger Brote zum Lieferwagen. Es war eine bedeutende Last, aber er machte es wiegend, als sei es ein Daunenspiel, und rollte die Augen genießerisch gen Mines appetitliche Erscheinung, die aber allzu rasch und gänzlich ohne ein Zeichen der Anteilnahme vorüberwandelte.
Und dennoch hatte sie es gemerkt. Der freche Kringelknutscher! dachte sie. Aber es war nicht mehr die halbgeschmeichelte Ungerührtheit wie sonst, es kitzelte sacht an ihr Herz und machte sie erschauern. Nicht daß sie es klar erspürte, aber sie dachte plötzlich wieder an den Artisten und war erbost. Sie stampfte im raschen Gehen mit dem Fuß auf. Es tat weh, aber es schien ihr recht. »Ich bin jetzt mündig«, flüsterte sie dabei, als ob damit eine Erklärung gegeben sei. Und mit jähem Erstaunen fügte sie hinzu: »Und verlobt.«
Sie warf einen halben Spiegelblick in das Schaufenster von Schlachter Schwarz. Ihr bloßes naturgekraustes Haar (von Käptn Bauz Hobelspäne genannte) wehte birkenhell in dem wässerigen Hafenzug, der durch die Straße schwalkte.
Ich bin vielleicht doch hübsch, dachte sie, und zum ersten Mal in ihrem Leben dachte sie es ganz zu Ende, und das in einem einzigen Wimperschlag, so frei und so gefesselt sie seit gestern war, und erschrak darüber zutiefst. Es war, als höbe sich vom Straßenende her aus dem dumpfigen Gespinst der Werfthellinge jenseits vom Strom ein silberner Nebel und sei da im Nu und böge sich um sie und söge sie auf und blase sie hoch über die Dächer als eine silberne Kugel und sie schwebe da ohne Halt eine kleine Ewigkeit lang und stürze doch zur selben Zeit wie aus einem Flugzeug herab zwischen singende, zischende Wirbel hindurch, und dies Schweben und Fallen war zugleich und in eins.
Es schwindelte sie, sie warf den Kopf in den Nacken und blies aus leicht vorgeschobener Unterlippe stirnauf, so daß ein paar lockere gelbe Strähnen gehorsam scheitellängs und hinter die Ohren tanzten.
Bei Eggers an der Ecke — fast an jeder Ecke war hier ein Lokal —, da war schon die kleine Kapelle angetreten, zwei Mann hoch, einer am Klavier, einer mit der Fiedel. Die Manhattan war angekommen, bald würde die Urlaubsmannschaft an Land jumpen, und das waren keine Leute, die allhier beheimatet und bei Muttern oder bei der lieben Braut zu Hause waren, fremd kamen sie daher, aus der fremden Weite und See, ja, es war die Sorte, die ihre Zeit und ihr Geld in der Fremde zu vertreiben gedachte. Denn wo das Zuhause weit ist, muß das Vergnügen herhalten.
Fremde Weite und See! Auf einmal spürte Mine das Hafengefühl, das von ewiger Ausreise unruhig ist. Das große Fernweh.
Oft hatte Mine an der Überseebrücke gestanden, wenn die Passagiere an Bord der Hamburg-Süd gingen, was dort so einfach geschieht, so ohne weiteres vom Ufer und Herzen der Stadt aus, als wenn man etwa vom Jungfernstieg in den Alsterdampfer steigt, der zum Uhlenhorster Fährhaus geht. Nur daß die Schiffsgebilde hier so groß sind wie die größten Hotels des festen Landes. Sie ahnte Ade und Kehrwieder des Hafens von Kind auf, und das, was die Fahrgäste aus Bayern, Schwaben, Schlesien und Sachsen schon beim Baumwall zu bestaunen fanden, war ihr bekannt und verwandt. Doch nie war sie über Helgoland hinausgewesen. Und es war so einfach, es gehörten der Bewegung nach nur ein paar Schritte dazu, und man war in einer anderen Welt, in der man ißt und ruht und plaudert und tanzt und schläft so schön wie nur irgend an Land, und die mit einem gestirnhaft von dannen zieht durch das Tor der Horizonte weit, weit weg, und nur Himmel und See ist dann ringsum. Und taucht Land auf, so ist es Flandern oder England oder Norwegen oder Spanien oder Teneriffa oder Buenos Aires oder Rio de Janeiro.
Und silberner noch glitzerte die Ferne hinter Fähre VII. Die grünen Schaukeldampfer und auch Jonnys Jollenbarkasse waren die Zwischenträger zu den Kuhwärder Häfen, wo die mächtigen Schiffe der Hamburg-Amerika Linie parken, deren Fracht- und Fahrgastdienst um die Erde reicht. Und was in den vielen Hafenschläuchen sonst noch an in- und ausländischen Reedereien verkehrt und den größten Seehandelsplatz des europäischen Festlandes als Füllhorn oder Saugbagger nützt, die Dampfer, Turbinen- und Motorschiffe, ein-, zwei- und dreischlotig, und selbst die paar stillen, märchenhaften Nahsegler, die es noch gab, sie schienen alle nur auf Mine Thormann zu warten, ungeduldig lärmend im Lösch- und Ladebetrieb, umwittert vom würzigen Dunst der fremden Küsten, daher sie kamen und dahin sie wieder auslaufen würden, fort aus dem Gerassel der Kräne und Docks, fort aus dem beizenden Schwalch der gehetzten Hafenwerktage, fort in die Weite, elbab ins Grenzenlose, in die wiegenden Horizonte, in die angebliche Reinheit und gnadenlose Heftigkeit der Meere.
Ach, unermüdlich sang die silberne Ferne in den großen und kleinen Sirenen und lauerte saugend im Westen, wo die Qualmwolken gen See versinken. Und der singende Westwind tupfte an Mines wenig erfahrenes Herz, wie er früher oder später an alle Herzen tupft, die an der Fluttür der Wasserkante wohnen.
Und alle Kneipen waren erwartungsvoll auf Glimmer und Gloria eingestellt, voran der Ausschank bei »Onkel Max«, dem schon sagenhaften Wirt, dessen handfest joviale Gestalt von seiner Witwe »Tante Dolly« im Gedächtnis der Kunden auf Hochglanz gehalten wurde. Schon er war wählerisch gewesen betreffs der Stundenliebchen, die sich in seinem Lokal sozusagen auf Abschußrampe bereithielten, aber außerhalb wohnten. Nur die Polizei kannte deren wirkliche Namen, hier hießen sie die Wuschelmeta,