Perry Rhodan Neo 244: Iratio. Rüdiger Schäfer
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Wieder nickte Iratio. Er trug einen kratzigen, aber warmen Overall, wie man ihn manchmal bei Handwerkern sah und der ihm viel zu groß war. Er roch ein bisschen muffig, aber keineswegs unangenehm. Überhaupt war die Behausung seiner Retterin zwar mit Gerümpel überfüllt, aber bemerkenswert sauber. Der Ausgang, wenig mehr als ein Schlitz im Zeltstoff, war mit einer grünen Gardine verhängt, die wohl irgendwann mal das Fenster eines Hauses geziert hatte. In der gegenüberliegenden Ecke stand ein primitiver Heizofen, durch dessen Sichtscheibe Iratio eine Handvoll rot glühender Kohlestücke erkennen konnte.
»Ich bin Maylin«, stellte sich die Frau vor. »Verrätst du mir auch deinen Namen?«
»Iratio«, antwortete er.
Maylin nickte. »Gut«, sagte sie zufrieden. »Nachdem wir uns nun kennengelernt haben, sollten wir etwas essen. Wie sieht es aus, Iratio? Hast du Hunger?«
Sein diesmaliges Nicken fiel wesentlich heftiger aus als die beiden Male zuvor. Sein Magen fühlte sich tatsächlich an wie eine tiefe Grube, aus der das gefährliche Knurren einer Bestie erklang. Er hatte keine Ahnung, wie lange er schon in diesem Zelt lag, wusste nicht mal, ob es draußen Tag oder Nacht war. Und er hatte großes Glück gehabt, dass ihn die alte Frau nicht nur mitgenommen, sondern vor allem nicht einfach den Behörden übergeben hatte.
Sekundenlang verspürte er nagendes Misstrauen, doch dann kam die Scham. Er war undankbar. Maylin wirkte ganz und gar nicht wie jemand, der Böses im Schilde führte. Sie hatte bestimmt einfach Mitleid mit ihm gehabt, und was tat er? Er vergalt es ihr mit Argwohn und Zweifeln an ihrer Integrität.
Die Frau war währenddessen in den Hintergrund des Zelts geschlurft und kramte in einer Reihe von Plastiktüten. Wenig später kam sie mit zwei dampfenden Schalen, einem Stück Brot, einem Daumenbreit Käse und einem Apfel zurück. Sowohl das Brot als auch der Käse waren ziemlich hart, und der Apfel wies einige braune Druckstellen auf. Für Iratio war es trotzdem die köstlichste Mahlzeit, die er seit Langem zu sich genommen hatte. Wenn er das Brot zuvor in die scharfe Suppe tunkte, konnte er es wunderbar kauen.
Maylin begnügte sich mit ihrer Schale, an der sie ab und an nippte und sah ihm ansonsten beim Essen zu. Ihr freundliches Lächeln wärmte Iratio dabei mehr als der bullernde Heizofen in seinem Rücken.
Als er Maylin drei Tage später fragte, ob er bei ihr bleiben könne, sah sie ihn nur traurig an, und er wusste sofort, dass sie ihn nicht haben wollte. Obwohl er solcherlei Ablehnung gewohnt war, versetzte es ihm dennoch wie jedes Mal einen Stich ins Herz. Es dauerte nicht lange, bis die Enttäuschung dem Zorn wich. Iratio hatte früh gelernt, dass Zorn eine gute und logische Reaktion auf die zahlreichen Wunden war, die das Leben schlug, weil Zorn nicht nur den Schmerz betäubte, sondern zusätzlich die Gedanken in eine andere Richtung lenkte.
»Iratio ...« Maylin kam auf ihn zu und wollte ihn an sich ziehen, doch er entwand sich ihrem Griff. »Iratio«, sagte sie erneut. »Wenn es allein nach mir ginge, würde ich dich gern bei mir behalten. Aber sieh mich an. Ich bin alt. Ich kann mich nicht um dich kümmern.«
»Das musst du auch nicht«, stieß der Junge trotzig hervor. »Das hat auch bisher niemand getan. Ich dachte nur, dass du ... dass du ... anders bist.«
Maylin seufzte. Wahrscheinlich tat er ihr unrecht, aber das war ihm in diesem Moment egal. Die Wut fühlte sich richtig an, also hieß er sie willkommen und ließ sich auf sie ein.
»Man sucht sicher schon nach dir«, sprach die alte Frau weiter. »Es gibt immer wieder Kontrollen im Lager. Und gerade bei Kindern schauen die Oficiales, die Ordnungshüter, besonders genau hin. Ecuador ist erst vor ein paar Jahren Mitglied der Terranischen Union geworden, und die Regierung bemüht sich intensiv darum, die damit verbundenen humanitären Auflagen zu erfüllen.«
Iratio verstand nicht in vollem Umfang, wovon Maylin da redete. Aus dem Trivid wusste er, dass die Terranische Union eine Art Zusammenschluss von Ländern war, der von einem Mann namens Perry Rhodan angeführt wurde. Sein Vater bezeichnete ihn als pendejo sin cabeza, aber das hatte nicht viel zu sagen. Vater beleidigte praktisch jeden, der ihm noch keinen Drink spendiert hatte.
Ein paarmal hatte Iratio den sogenannten Protektor im heimischen Holowürfel gesehen. Ein schlanker Mann mit graublauen Augen und dunkelblonden Haaren, dessen Gesicht zu leuchten schien, wenn er von einer aufregenden und großartigen Zukunft sprach, die auf die Menschen wartete. Auf alle Menschen. Iratio hatte das gefallen; sein Vater dagegen hatte nur hämisch gelacht und eine neue Flasche Aguardiente entkorkt.
»Das verstehst du doch, oder?«, riss ihn Maylin aus seinen Gedanken.
Er sah sie an – immer noch wütend und verletzt. »Soll ich gleich verschwinden?«, fragte er laut. »Ich will dich auf keinen Fall von wichtigen Dingen abhalten. Schließlich hast du schon genug Zeit und Mühe in mich investiert ...«
Während des Sprechens war seine Stimme immer leiser geworden, und die letzten Wörter hatte er nur noch unter Tränen herausgebracht.
Hör auf zu flennen, giftete Vater in seinem Kopf. Was bist du? Ein Mann oder ein verdammter Schwächling?
Diesmal ließ Iratio Hondro zu, dass ihn Maylin in die Arme nahm und an sich drückte. Es fühlte sich so unglaublich gut an. Für einen winzigen Augenblick konnte man alles andere um sich herum vergessen. Aber er wusste auch, dass die harte Realität danach nur umso brutaler zurückkehren und ihren Preis für jeden Moment des Glücks und der Geborgenheit einfordern würde.
»Ist schon gut, mein Kleiner«, drang die Stimme der alten Frau an seine Ohren und zerriss seinen Hass und seine Wut in winzige Fetzen. »Natürlich bleibst du erst mal bei mir. Um alles andere kümmern wir uns später.«
3.
Quito
In den folgenden Monaten war Iratio Hondro zum ersten Mal in seinem Leben wirklich glücklich. Der Alltag der Desamparados war alles andere als einfach, aber die Frauen und Männer im Lager hatten ihn schnell in ihre Herzen geschlossen und kümmerten sich geradezu rührend um ihn.
Iratio machte sich nützlich, so gut er konnte. Trotz seiner erst sieben Jahre konnte er bereits ausgezeichnet schreiben und lesen, eine Qualifikation, über die die meisten Obdachlosen in La Floresta nicht oder nur eingeschränkt verfügten. Also half er seinen neuen Freunden beim Ausfüllen der Formulare, wenn sie ihre staatlichen Beihilfen abholten, oder las ihnen abends am Feuer aus den Zeitungen vor.
Seinen Vater hatte es nie geschert, was Iratio tagsüber trieb. Am liebsten war es Vater gewesen, wenn er gar nicht daran erinnert wurde, dass er überhaupt einen Sohn hatte. Erst als Iratio älter wurde, begriff er den Grund dafür, nämlich dass er Vater jedes Mal an dessen verstorbene Frau erinnerte, einen Verlust, den dieser nie verkraftet hatte. Seine zweite Ehe war er deshalb mit einem Partner eingegangen, der ihn zwar langsam zerstörte, dafür aber jederzeit verfügbar war: dem Alkohol.
Vater war es von Anfang an egal gewesen, ob Iratio zur Schule ging oder sich lieber – wie so viele andere Kinder des Viertels – auf der Straße herumtrieb. Für ihn war lediglich wichtig, dass er seine Ruhe hatte und sich den wirklich bedeutsamen Aufgaben widmen konnte. Dem Trinken, dem Selbstmitleid und den damit verbundenen Wutausbrüchen, bei denen Iratio jedes Mal als Blitzableiter herhalten musste.
Iratio war gern zur Schule gegangen. Denjenigen, die ihn deshalb verspotteten, hatte er ein- oder zweimal die Nase blutig geschlagen; dann hatten sie es kapiert und ihn in Ruhe gelassen. Dass er dafür hatte nachsitzen müssen, hatte er eher als Belohnung denn als Strafe empfunden. Lesen lernte er schneller