Der Librettist. Niklas Rådström
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»Aber ihr fehlt die Leichtigkeit, der weiche Klang. Sie spielt die ganze Zeit ohne Variation«, sagte der Schreiber. »Man kann Pfeifen wählen und Klappen einstellen, aber es gibt keinen individuellen Ausdruck, nur die Ornamentik der Musik.«
Aber Amadeo, ein starrköpfiger Zehnjähriger, blieb bei seiner Meinung, dass die Orgel das höchste aller Instrumente sei, das einzige, das der Mensch nicht ganz überblicken könne, obwohl es seine eigene Schöpfung sei, das einzige, in dem man sich verirren könne und das einzige, das so groß wie die Musik selbst sei. Der Junge, Sigmund oder Sebastian oder wie er nun hieß, sagte nichts, er sah sie nur mit scheuen Augen an und nickte, um kundzutun, dass er einer Meinung mit Amadeo war. Dann bot er Amadeo mit einer zagen Geste an, das Instrument auszuprobieren, das leise fauchte und grunzte, wie ein wildes Tier, kurz bevor es aus dem Winterschlaf erwacht. Der Junge strahlte einen stillen Ernst aus, wahrscheinlich weil er seit Jahren unter Mönchen gelebt hatte, wie Amadeo meinte – Schweigen und Gebet, die eintönigen Tage, einer wie der andere: Messe und Gottesdienst, Matutine und Vesper ... Amadeo testete die Klaviatur und die Pfeifen mit einem kleinen Präludium und verinnerlichte danach den Klang mit einigen Variationen von Fischer, die er weiterführte, ohne sich in mechanischer Kontrapunktik zu verfangen. Er sagte immer, dass der Kontrapunkt von selbst seine natürliche Form fände, und dass man ihn weder zu studieren noch sich ihm zu unterwerfen brauche.
Als er die Hände sinken ließ und von der Orgelbank aufstand, fragte der junge Bachmann, ob Amadeo ihm eine Aufgabe zum Extemporieren geben wolle. Als er das bleiche, traurige Gesicht des Jungen sah, bat er ihn, etwas in g-Moll zu spielen. Diese Tonart gab ihm das traurige Gefühl der Vollendung, wenn alles erfüllt war und es nichts mehr zu tun gab. Bachmann nickte düster, setzte sich auf die Orgelbank und spielte ein paar wunderschöne Phrasen in der gewünschten Tonart, die Amadeos Gemüt erweichten und ihn ergriffen. Dann wuchsen die Phrasen zu Stimmen und Gegenstimmen an, wie wenn zwei Freunde einander in spielerischem Streit anspornen und scherzhaft beschimpfen. Es war, als kehre der Junge plötzlich eine verborgene, verspielte Seite nach außen, die Eingebung floss ungezwungen und schelmisch aus ihm heraus, wie ein artesischer Brunnen, dessen kristallklares Wasser perlend an die Oberfläche tritt und alles überschwemmt. Mitten in der Fuge wechselte er in eine Dur-Tonart, spielerisch leicht und im selben Tempo, drehte das ursprüngliche Thema um und wiederholte es in noch mehr Variationen. Seine Finger jagten über die Tasten, während die Spitzen seiner Holzschuhe tänzerisch über die Pedale klapperten, als er das improvisierte Stück abschloss, indem er die ersten Phrasen der Fuge triumphierend umspielte.
»Neid«, sagte Amadeo. »Niemals zuvor hatte ich Neid und Rivalität empfunden. Überall war man mir mit Liebe und Bewunderung begegnet, auf unserer langen Reise hatten Monarchen und Adlige meinen Geist bewundert, als hätte der Herr mir etwas gegeben, das er keinem anderen gönnte. Und dann kommt dieser Junge, schüchtern und täppisch, nur wenige Jahre älter als ich, aber mir völlig ebenbürtig. Ich gestehe dir, Lorenzo mio, dass ich innerlich vor Wut kochte. Ich hätte ihn am liebsten in seine verdammten Stiefelschäfte gedrückt, als er mich mit seinen schlechten Zähnen angrinste und mich fragte, ob ich etwas spielen wollte. Spielen! Ich würde es ihm schon zeigen! Ich stieß ihn fast von der Orgelbank. Ich würde in allen Tonarten spielen, in allen Taktarten und Tempi. Ich würde ihm das Grinsen aus seinem Gesicht spielen. Alles, was ich in der Musik beherrschte, wollte ich ihm zeigen, jeden kleinen Knecht und Knappen aus meinem Reich der Töne. Ich bemerkte, dass Vater, Mama und Nannerl mich anstarrten. Stolz oder erschrocken? Nervös oder zuversichtlich? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich es ihnen zeigen wollte, diesen Mönchen ... diesen Wichsern und höfischen Geldsäcken.«
Dann setzte er sich an die Klaviatur, mein Amadeo. Alle seine Kräfte würde er brauchen. Wie alt war er? Zehn? Hundert? War er ein Neugeborener? Ein tausendjähriges Gespenst? Jeden einzelnen Landsknecht, jedes Peloton, jedes berittene Heer und jede marschtaugliche Division, jedes kampfwillige Regiment und jede segelbereite Flotteneinheit, Artillerie-Stoßtrupps sowie Nachhut, alle musterte er und vereinte sie unter dem Befehl des Violin- und des Bassschlüssels. Sie waren bereit zum Angriff: Pizzicatos Patrouillen, Battutas Bataillone, Diminuendos Divisionen, Calmatos Kolonnen, Briosos Brigaden, Fortissimos Vortruppen, ein Kadenzen-Korps, Ritardandos Regiment, Crescendos Kavallerie und Tranquillos Tross. Zuerst rückte er in einer zerstreuten Formation aus, aber dann, wie aus dem Nichts, griff er mit allen Stärken auf einmal an. Die Töne stritten mit Hieb- und Stichwaffen, eine ganze Note richtete ihre Mündung auf eine Gruppe flüchtender Triolen, ein Trupp Sechzehntelnoten hieb seine Hellebarden in einem hemmungslosen Marcato in eine gefallene Generalpause. Auf dem Schlachtfeld der Improvisation schlossen sich Ton, Takt, Tempo, Tremolo, Timbre, Thema und Terzen zu einem gewaltigen Espressivo zusammen, und dort, zwischen flatternden Fahnen und Fanfaren, wehenden Wimpeln, brennenden Bannern, steifen Standarten, fechtenden Floretts und sausenden Säbeln, streckte die Harmonik schließlich die Waffen für eine Lärche, die kreiselnd zum Himmel aufstieg, für das Gras, das langsam und still wuchs, für das Rascheln der Blätter im Wind und das Plätschern eines Baches. Der andere, Bachmann, der findige Junge mit den dicken Fingern und den fettigen Haaren, Johann oder Joseph, hatte sich neben ihn auf die Bank gesetzt, aber er leistete keinen Widerstand gegen Amadeos Angriff. Er weckte nur das Trillern der Lärche, brachte das Gras zum Wachsen, liebkoste die Blätter und watete durch den Bach. Dort gingen sie, Seite an Seite, über ein wogendes Feld, durch riesige Laubwälder, unter dem Blattwerk der Baumkronen und über steinige Strände, während die Musik die Waffen streckte und in sich selbst ruhte. In langen Wellen rollte sie an den Strand, in sanften Brisen raschelte sie in den Bäumen, war in schäumenden Schauern, in Flügelschlägen, im rauschenden Wind über wogenden Feldern.
So saßen sie den Rest des Tages dort und spielten, füreinander, miteinander. Manchmal schwiegen sie auch gemeinsam, während der Schreiber und das Gefolge des Bischofs mit Amadeos Vater über die jeweiligen Verdienste der Knaben zankten. Ich fragte Amadeo, ob er wisse, was aus dem Jungen geworden sei, aber er hatte nie wieder von ihm gehört. Das Gerücht ging um, dass er bei den Mönchen geblieben und selbst zum Bruder geworden sei.
»Es wurde also nichts aus seinem Talent«, sagte ich.
Amadeo sah mich verwundert an. »Seine Musik«, versuchte ich, »es ist nichts aus ihr geworden.«
»Orgeln stehen in Kirchen«, antwortete er trocken. »Und da gehören auch Mönche hin.«
»Aber er ist in Vergessenheit geraten«, sagte ich. »Es ist nicht mehr aus ihm geworden, meine ich.«
Amadeo fragte, was denn aus ihm hätte werden sollen?
»Mehr? Was könnte es mehr geben?«
Ich zeigte mit der ganzen Hand auf Amadeo und dann auf das Notenblatt, das vor uns auf dem Tisch lag, und auf mein Libretto, das er in eine Partitur umsetzte, auf das Hammerklavier in der Ecke und die Geige, die im flackernden Kerzenschein auf einer Kommode lag. Amadeo kicherte, als wäre er tief in Gedanken versunken oder als würde ich die Sache nicht begreifen.
»Er lehrte mich das Wichtigste. Das einzig Wichtige«, sagte er, und ich fragte, ob er die Technik meinte, oder vielleicht die Zurückhaltung, oder irgendetwas Abstraktes über die Natur der Schönheit.
»Nein, nein«, sagte Amadeo. »Technik hatte er, obwohl sein Fingersatz noch ein wenig Hilfestellung gebraucht hätte. Und die Zurückhaltung kann sowohl gut als auch schlecht sein. Manchmal muss man sich ein bisschen zurückhalten mit der Zurückhaltung. Und die Schönheit ... Was können wir schon über die Schönheit sagen, außer dass wir wissen, wenn sie da ist?« Er tauchte den Stift ins Tintenhorn und