Vergeltung. Karl May

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Vergeltung - Karl May

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Und Frieder, so legt sich der Erzgebirgler den Namen Friedrich gern zurecht, konnte kein Auge von der Zerstörung wenden, die dem Gesicht des Vaters den einst so freundlichen und intelligenten Ausdruck geraubt hatte. Es wallte in ihm von Gefühlen, die ihm heiß und feucht in das Auge traten und ihm die Hände ballten, als müsse er den Urheber solcher Leiden zwischen ihnen zermalmen. In diesem lautlosen Zorn lag eine Art unheimlicher Drohung, denn Frieder besaß, wie der Knecht vorhin ganz richtig bemerkt hatte, die Gestalt des Vaters und war diesem an jugendlicher Gewandtheit ja weit überlegen. Zwischen den Bergen rechnet man mehr mit den körperlichen Kräften als in der städtereichen Ebene, wo das geistige Vermögen den Ausschlag gibt.

      „So hast also den Brief erhalten?“, fragte endlich der Bauer, als der Wagen schon längst die Stadt verlassen hatte und beinah geräuschlos zwischen den bewaldeten Höhen dahinfuhr.

      „Ja, ein fürchterlicher Brief!“

      „Er war kurz, aber schlimm. Ich konnte ihn nicht schreiben, weil das Augenlicht nicht mehr vorhanden ist, und so hat ihn die Mutter aufs Papier gesetzt, die mit der Feder nicht viel zu Wege gebracht hat.“

      „Aber warum habt ihr mir nicht vorher gemeldet, dass der Bruder gestorben ist?“

      „Gestorben? Ja, gestorben ist er, aber wie und woran? Ich hab es dir nicht kundgetan, weil ich dir das Leid auf kurze Zeit ersparen wollte und weil ich andre Dinge im Kopf trug als Feder und Papier. Aber jetzt sollst du alles erfahren, jetzt bist du daheim und der Mund kann sagen, was die Tinte nicht zu erzählen versteht.“

      Des Sprechenden ausdrucksloses Auge starrte leer in die Weite, seine Lippen zitterten unter der Qual des Erlebten und doch nicht Überstandenen und seine Hände drückten sich auf die hochgehende Brust, als wolle er den darin wütenden Schmerz gewaltsam niederdrücken. Dann fuhr er fort:

      „Vom Waldschwarzen hast du gehört?“

      „Nein! In den fünf Jahren hab ich in der weiten Welt wenig von zu Haus vernommen, bis die letzte Botschaft kam, die mich veranlasste, schleunigst heimzukehren.“

      „So muss ich die Geschichte von vorn anfangen. Du weißt von Kind her, dass vor langen Jahren der ,Schmugglerfürst‘ mal hier in den Bergen sein Wesen trieb. Er hatte alle Wilderer und Pascher unter sich, die ihn nicht verrieten, weil sie selber nicht wussten, wer er eigentlich war, und weil sie die Strafe fürchteten, die er jedem gab, den er für seinen Feind hielt. Nachher ist es aber doch herausgekommen, wer er war. Weißt noch die Geschichte?“

      „Ja. Die Schmuggelei ist eine von jenen Sünden, die vom Volk durch allerhand Trugschlüsse und Spitzfindigkeiten beschönigt werden, sodass man die Pascher mit dem Heldennimbus umgibt und vorzieht, ihnen allen möglichen Vorschub zu leisten, statt sie der wohlverdienten Strafe zu überliefern.“

      „Hast Recht, Frieder, und wenn es auf mich ankäm, so müssten sie alle am Strick baumeln. Aber tu mir doch den Gefallen und sprich nicht so vornehm wie bisher, sondern red die Sprache, die wir daheim sprechen, sonst kommst mir fremd vor und ich weiß nicht, ob du auch wirklich der Frieder bist! Also grad wie damals mit dem Grenzmeister ist’s auch jetzt mit dem ,Waldschwarzen‘, nur dass dieser noch viel schlimmer ist als jener. Was jetzt in einer Woche über die Grenze geschafft wird, das ist sonst in vielen Jahren nicht hinüber- und herübergekommen, und das Wild ist beinah ganz ausgestorben, weil der Waldschwarze es hinwegputzt. Große Schmuggelzüge gehn hin und her, die Kerle sind bewaffnet bis an die Zähne. Der Grenzer, der es wagt, mit ihnen anzubinden, ist verloren, und wer ihnen unglücklicherweise begegnet, wird unschädlich gemacht. Wie und womit, das siehst du an mir.“

      „Schrecklich! Und die Obrigkeit, Vater?“

      „Die Obrigkeit, ha, ha! Die gibt sich alle Mühe, aber vergebens. Sie versteht’s nicht! Hat sie mir das Auge beschützt? Kann sie mir das Licht zurückgeben in der Finsternis, die mich umgibt wie das weite Meer den Mann, der am Strohhalm hängt? Wo soll man den Hauptmann der Pascher suchen und wo soll man ihn greifen und packen? Niemand weiß, wer er ist und wo er wohnt; er ist nirgends und doch überall und seine Leute sind ihm untertan und gehorsam aufs Wort und auf den Wink. Die Förster und die Grenzer haben sich zusammengetan und ihm Feindschaft geschworen, er lacht sie alle miteinander aus. Niemand hat solche List und Stärke wie er; er ist der Fuchs und der Tiger zugleich; das ist der Grund, warum ihn keiner fängt.“

      „Sollte es wirklich niemand geben, der ihm die Faust auf den Nacken legt, Vater?“, fragte Frieder mit einem selbstbewussten Lächeln.

      „Keinen! Die Bachbauern sind seit Menschengedenken ein stark Geschlecht gewese, auch ich hab mir auf meine Kraft viel zugut getan. Und doch sind wir, dein Bruder Franz und ich, dem Waldschwarzen unterlegen! Freilich weiß ich nicht, auf welche Weise sie über mich gekommen sind, und bei mir sind es gar viele gewesen, sonst hätte meine Faust sich schon Raum verschafft.“

      „Wie ist’s gekommen, Vater?“

      „Das war so: Dein Bruder, der Franz, hatte stets gute Freundschaft mit dem Förster gehalten und sie sind beide oft miteinander auf die Pirsch gegangen. Eines Nachts nun kommen sie nicht wieder heim und am Morgen findet man sie an einen Baum gebunden, der eine hüben, der andre drüben, und jeder tot, die Kugel in der Brust! Die Erde und das Gestrüpp waren ringsumher zerstampft und zertreten, als hätte ein gewaltiger Kampf stattgefunden, und in der Tasche steckte bei ihnen ein Zettel, darauf stand geschrieben: ,Zur Strafe vom Waldschwarzen‘. Als sie mir nachher den Franz herbeibrachten, ist mir’s gewesen, als ob mich einer mit der Keule erschlüge, ich hab alle Sinne verloren, mich eingeschlossen und nichts gewusst von dem, was um mich vorgegangen ist. Erst nach dem Begräbnis hat mich die Mutter wieder hervorgebracht und ich bin hinausgegangen auf den Friedhof zu meinem Sohn, der tief unter der Erde gelegen hat, wo ihn mein Auge nicht erreichen konnte. Da hab ich das Gelübde getan, nicht zu ruhn und zu rasten, bis der Waldschwarze vernichtet ist!“

      Die letzten Worte waren pfeifend zwischen den knirschenden Zähnen hervorgestoßen worden und über das Gesicht des Erzählers zuckte ein Grimm, der ihm alle Glieder erbeben machte. Frieder hatte seine beiden Hände ergriffen.

      „Vater“, rang es sich aus seiner hochgehenden Brust hervor, „grad so denk und fühl auch ich in diesem Augenblick, und was dir nicht gelungen ist, das werde ich umso sichrer erreichen. Hier hast du meine Hand darauf!“

      „Du? Geh, Bub! Was denkst denn von dir und ihm? Du bist der kleine Student, der mir nicht an die Schulter reicht und dem das Studium das Mark aus Leib und Seele genommen hat. Ich hab es nimmer gern gehabt, dich als hochgelehrt zu sehn, aber du hast gute Worte gegeben und die Mutter auch und so ist euch euer Wille geschehn. Jetzt bin ich blind und der Franz ist tot und das Geschlecht der Bachbauerriesen stirbt aus. Ich war der stärkste von allen, darum nennt man mich den Goliath. Wie aber wird man dich heißen, Knirps?“

      Trotz der nichts weniger als lustigen Stimmung des Augenblicks zuckte ein heiteres Lächeln um das Bärtchen, das Frieders Lippen beschattete.

      „Fünf Jahre, hast’s gehört, Vater, fünf volle Jahre war ich nicht daheim! Denkst nicht, dass ich in dieser Zeit ein wenig gewachsen bin?“

      „Ein wenig, ja. Aber der echte Bachbauer wirst nicht sein, der Bücherwurm hat dir die Kraft verzehrt und den Mut dazu.“

      „So werde ich wieder stark zu Haus, denn nun der Franz tot ist, nehm ich die Arbeit auf mich. Der Bachhof steht mir höher als die Gelehrsamkeit, denn er ist ja meine Heimat, und die hält man hoch!“

      „Frieder“, rief der Bauer entzückt, „so hör ich’s gern, und niemand wird sich mehr darüber freun als die Mutter! Du sollst das Auge werden, mit dem ich schau, und wirst auch die Hand sein, mit der ich schaffe und arbeite. Hab Dank für dieses

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