Die letzte Analyse. Amanda Cross
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»Im Gegenteil«, sagte Kate unbeschwert. »Dann hätten sie den Fall doch im Kasten. Ich könnte mir vorstellen, dass sie sogar darauf hoffen und damit der letzte Zweifel weggewischt wäre, denn auch sie haben, auf ihre blässliche methodische Art, wohl tief in sich die Vermutung, dass Emanuel es vielleicht nicht gewesen sein könnte.« Emanuels Blick traf den ihren, dann schlug sie die Augen nieder, aber er hatte das Vertrauen in ihnen gesehen, und das hatte ihn gestärkt.
»Die Ironie der Geschichte, die selbst einen Shakespeare zum Heulen brächte«, sagte Emanuel, »ist, dass das Mädchen vor kurzem sehr wütend wurde, es fand also eine Übertragung statt. Als sie die heutige Stunde absagte, nahm ich an, dass es deswegen sei, und war nicht weiter überrascht. Wie schlau wir uns manchmal vorkommen!«
»Hat sie dich angerufen, um den Termin abzusagen?«
»Ich habe nicht mit ihr selbst gesprochen, aber das ist bei normalem Verlauf der Dinge auch nicht verwunderlich. Jedenfalls erfuhr ich um fünf vor elf, dass beide, sie und der Zwölf-Uhr-Patient – der dann später doch auftauchte und Nicki in die Situation brachte, die Leiche zu finden – ihre Termine abgesagt hatten.«
»Ist das nicht etwas ungewöhnlich?«
»Eigentlich nicht. Normalerweise passiert es zwar selten, dass gleich zwei Patienten hintereinander absagen, aber es kann vorkommen. Manchmal treffen Patienten auf solch eine Masse schwieriger Probleme, dass sie ihnen für eine Weile ausweichen. Das kommt im Verlauf jeder Analyse vor. Oder sie reden sich ein, dass sie sich zu müde fühlen, dass sie zu beschäftigt sind oder zu aufgeregt. Freud hat das schon sehr früh erkannt. Das ist einer der Gründe, warum wir unseren Patienten die verabredeten Stunden berechnen, auch wenn sie scheinbar – oder wirklich – eine ganz und gar einleuchtende Entschuldigung haben. Leute, die von der Psychiatrie nichts wissen, sind immer ganz schockiert und glauben, wir wollten nur Geld scheffeln, aber dieser ganze Mechanismus des Bezahlens und sogar der finanziellen Opfer, die für eine Analyse zu bringen sind, bilden einen wichtigen Teil der Therapie.«
»Wie hast du denn um fünf vor elf erfahren, dass beide abgesagt hatten?«
»Ich habe das Fernsprechamt angerufen, und sie haben es mir gesagt.«
»Das Fernsprechamt macht für dich den Auftragsdienst? Rufst du jede Stunde dort an?«
»Nein, nur wenn ich weiß, dass ein Anruf eingegangen ist.«
»Du meinst, während du mit einem Patienten sprachst, hat das Telefon geläutet, und du bist nicht drangegangen?«
»Das Telefon läutet nicht; es hat ein gelbes Lämpchen, das stattdessen aufleuchtet. Der Patient kann das von der Couch aus nicht sehen. Wenn ich nach dreimal Läuten bzw. Aufleuchten nicht abhebe, meldet sich der Auftragsdienst. Natürlich unterbreche ich nie einen Patienten, um ans Telefon zu gehen.«
»Konntest du erfahren, wer mit dem Auftragsdienst gesprochen und die Termine abgesagt hat? Waren es ein Mann und eine Frau, oder war es einer für beide oder was?«
»Ich habe natürlich als Erstes daran gedacht, aber als ich mit dem Auftragsdienst sprach, hatte jemand anders Dienst, und sie zeichnen die Anrufe nicht auf, sondern notieren nur die Nachricht und die Zeit. Zweifellos wird die Polizei dem noch genauer nachgehen.«
Nicola, die während dieses Wortwechsels schweigend dagesessen hatte, drehte sich mit einem Ruck zu Kate und sah sie an. »Bevor du deine nächste Frage stellst, möchte ich dich etwas fragen. Das ist es nämlich, woran sich die Polizei festbeißt; ich weiß es, aber vielleicht hat Emanuel ja mit genügend Leuten darüber gesprochen, dass sie herausfinden, es ist wahrscheinlich die Wahrheit, und zudem kennen wir andere Psychiater, die genau das Gleiche machen, weil sie sich so eingeschlossen fühlen.«
»Nicki, Liebes«, sagte Kate, »mal abgesehen davon, dass du in unvollständigen Sätzen redest, habe ich nicht die leiseste Ahnung, wovon du sprichst.«
»Natürlich nicht, ich habe dir ja auch meine Frage noch gar nicht gestellt: Wenn ein Patient von Emanuel abgesagt hat, was, meinst du, macht Emanuel dann in dieser Stunde?«
»Er geht hinaus. Egal wohin, nur hinaus.«
»Siehst du«, sagte Nicola. »Jeder weiß das. Ich schätze, er würde zu Brentano’s gehen und dort in den Taschenbüchern stöbern, und meine Mutter meinte, als ich ihr die Frage stellte, er würde eine Besorgung machen, irgendwo, aber der entscheidende Punkt ist, dass die Polizei nicht versteht, wie ein Psychiater, der den ganzen Tag stillsitzen und zuhören muss, sich erholt, indem er sich bewegt. Sie glauben, wenn er nicht irgendwelche ruchlosen Pläne gehegt hätte, dann wäre er schlicht und einfach in seiner Praxis geblieben, wie jeder andere normale Mensch, und hätte sich um seine Korrespondenz gekümmert. Und um es ganz verwerflich zu machen, sind sie auch noch überzeugt, dass er dann eben eine Freundin angerufen und sich mit ihr zum Lunch verabredet hätte, mit zwei Wodka-Cocktails vorneweg. Es ist zwecklos, ihnen zu erzählen, dass Emanuel nie mittags isst und ganz sicher niemals mit jemand anderem, und dass er in keinem Fall darauf eingestellt ist, Leute anzurufen und sich mit ihnen zum Lunch zu verabreden, weil er niemals – es sei denn, durch solch einen Zufall –, und jetzt, da ich darüber nachdenke, war das gar kein Zufall, sondern geplant – über Mittag die Zeit hätte, zum Lunch zu gehen.«
»Was hast du also unternommen, Emanuel?«, fragte Kate.
»Ich bin um den See im Park gegangen, immer rundherum, eine Art Trab.«
»Ich weiß. Ich habe dich dort einmal gesehen. Ich bin auch getrabt.« Das war lange her, noch vor Nicolas Zeit, als sie noch jung genug war, für nichts und wieder nichts herumzurennen.
»Es war Frühling. Ich hatte den Frühling im Blut.« Kate fiel der Schriftzug aus Kreide ein. Es kam ihr vor, als hätte sie ihn in einem anderen Leben gesehen. Plötzlich fühlte sie sich hundemüde, als fiele sie in sich zusammen wie eine von diesen Comic-Figuren aus ihrer Kindheit, die auf einmal bemerkten, dass sie auf gar nichts saßen und dann zu Boden plumpsten. Vom ersten Schock, den die Bemerkung des Kriminalbeamten Stern ausgelöst hatte – Sie ist ermordet worden –, bis zu diesem Moment hatte sie sich nicht gestattet, ihre Gedanken um Emanuels Situation kreisen zu lassen. Vor allem hatte sie die Frage noch ausgeklammert, wer für diese Situation verantwortlich sein könnte. Sie dachte noch logisch genug, sogar jetzt in diesem Zustand physischer und psychischer Erschöpfung, um sich nicht die ganze Schuld zu geben. Sie konnte nicht wissen, dass das Mädchen ermordet werden würde, konnte nicht gedacht – nein, nicht einmal sich vorgestellt – haben, dass der Mord in Emanuels Praxis geschehen würde. Wenn ihr solch ein Gedanke durch den Kopf gegangen wäre, hätte Kate ihn, um mit Nicolas Worten zu sprechen, für eine »Halluzination« gehalten.
Auch wenn Kate nicht mehr war als ein Glied in der Kette von Ereignissen, die zu dieser Katastrophe geführt hatten, so hatte sie dennoch eine Verantwortung nicht nur Emanuel und Nicola gegenüber, sondern auch sich selbst und vielleicht auch Janet Harrison gegenüber.
»Erinnert ihr euch an diesen Witz vor ein paar Jahren?«, sagte sie zu ihnen. »Über die beiden Psychiater auf der Treppe, und der eine fällt über den anderen her und macht ihn fertig. Der Unterlegene ist zuerst ziemlich wütend, aber dann zuckt er mit den Schultern und tut den Vorfall ab. ›Im Grunde‹, soll er gesagt haben, ›ist es sein Problem.‹ Aber ich kann es nicht so machen wie er. Es ist auch mein Problem, selbst wenn ihr nicht meine Freunde wärt.«
An der Art, wie Emanuel und Nicola es vermieden, sich oder sie anzuschauen, merkte sie, dass dieser Punkt zwischen ihnen zumindest erwähnt worden war. »In der Tat«, fuhr sie fort, »bin ich, aus einem bestimmten Blickwinkel gesehen, sagen wir,