Die kleine Stadt. Heinrich Mann

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Die kleine Stadt - Heinrich Mann

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„Dann benutzen Sie doch die Gartenpforte!“

      „Sie haben recht“ — und der Advokat kehrte um. „Man muß bei seinen ruhigen Gewohnheiten bleiben. Seit siebenundzwanzig Jahren habe ich meinen Morgengang nicht sechsmal versäumt, und ich hoffe ihn noch weitere siebenundzwanzig Jahre zu machen.“

      Hinter dem Hause ging er den Weinhügel hinab, erreichte drunten die Straße — noch übergitterten die Schatten der Platanen sie dicht — und nahm den Hut ab, um sich zu trocknen. „Ah, hier atmet man. Solche Luft haben sie nicht in den großen Städten, unsere braven Künstler . . . Der Baron weiß diese Weiber zu nehmen, wie es scheint. Man sagt, daß er als Offizier —. In Rondone soll er ein Kind haben . . . Aber schließlich, was ist dabei? Alles wohl bedacht, könnte es sein, daß auch ich —. Der Junge der Andreina, mag sie es mit der Treue auch niemals genau genommen haben, der Junge wird mir jedes Jahr ähnlicher . . . soweit ein Bauer mir ähneln kann. Damals warf ich die Andreina einfach in das Korn. Mit der Komödiantin muß man es ebenso machen.“

      Er hielt an, sah angstvoll umher, wie nach einem passenden Platz, und trocknete sich nochmals. Unter der Straße stiegen die Ölbäume, schwachsilbern, die Erdstufen hinab und setzten über den Fluß, der um ihre dunkeln Wurzeln glänzende Schleifen wand. Die letzten dahinten und die weißen Gehöfte zwischen ihnen schienen vom Meer bespült: so tief blaute schon die heiße Ebene. Über ihm blickte dem Advokaten die Stadt nach, aus blinkenden Scheiben, Mauern, die zwischen zwei Zypressen ein wenig klafften, und ganz schwarzen Torbogen. „Wo dieser Tenor steckt! Denn sagen wir nur die Wahrheit: in einem Winkel der Stadt wird er wohl die Nacht verbracht haben. Zu denken, daß er bei der Frau eines meiner Freunde ist, — der einen sehr guten Schlaf haben muß. Sollte es nicht der Polli sein, mit seinem Schnarchen? Vergangenen Herbst hat er sogar beim Erdbeben weiter geschnarcht! Vielleicht läßt sichs ihm ansehen. Das müßte man einem Manne doch ansehen! Eh, eh, es hat sein gutes, als Junggeselle zu leben. In jedem der Häuser dort oben kann jetzt der Komödiant seine Dinge treiben: nur in meinem treibt er sie sicher nicht . . . Und beim Camuzzi? Wie steht es beim Camuzzi?“ Das aufgeblühte Gesicht des Advokaten fiel ein, da er an seinen Feind, den Gemeindesekretär dachte.

      „Er verdient es wie kein zweiter, dieser Ignorant, dieser Unverschämte! Ah! setze noch einmal dein höhnisches Lächeln auf, Freund, — und aus deiner Stirne sieht man es indessen keimen!“

      Der Advokat tat einen tiefen, glücklichen Atemzug.

      „Das ist wirklich ein sehr schöner Morgen.“

      „Aber leider“, bemerkte er dann, „scheint diese kleine Frau Camuzzi zufrieden. Dem Severino Salvatori, der sie in seinem Korbwagen umherfahren wollte, hat sie geantwortet: nicht einmal über den Platz bis vor die Domtür! Und doch sollte ihre Mutter dabei sein. Aber die Camuzzi ist bescheiden und stolz, sieht niemand an, geht immer nur zur Kirche. Nicht viel, und sie gehört zu der Garde des Don Taddeo . . . Nein,“ mußte der Advokat erkennen, „von ihr läßt sich nur wenig hoffen.“

      Er richtete sich sogleich wieder auf.

      „Aber auch andere wären nicht zu verachten, und ich meinesteils hätte nichts dagegen, wenn die Frau des Doktors —. Ah! die da ist eine Lasterhafte: das fühlt man. Denn erstens ist sie zu dick, um tugendhaft zu sein. Und hat sichs erst gezeigt, daß sie dem Komödianten Gefälligkeiten erweist: — denn was ist der Komödiant und sind andere etwa weniger gut? Wenn ichs recht bedenke, hatte ich in betreff ihrer schon längst meine Vorsätze gefaßt. Ihr Gatte soll sehen, daß der Zucker, den er bei mir feststellen wollte, so etwas nicht verhindert. Zucker, wenn noch so wenig, bei einem Mann wie mir! Und ich soll etwas dagegen tun! Der Doktor wird sehen, was ich tue! Ah! Ah!“

      Er rieb die Hände, schwenkte sich herum und lachte keuchend nach der Stadt hinauf. Dann fiel er in Nachdenken: sie sah ganz anders aus. Noch gestern hätte man manches nicht für möglich gehalten. Natürlich gab es in ihr die Dinge, die es überall gibt. Abgesehen von dem Hause in der Via Tripoli: auch die Wäscherinnen auf dem Bäckerberg kannte jeder; und der Advokat war persönlich besonders gut unterrichtet über die Witwe eines städtischen Zollbeamten, die vorgeblich Hüte aufputzte. Ferner bestanden die Gerüchte bezüglich der Mama Paradisi und des alten Mancafede; neuerdings und halblaut auch die über Frau Malandrini und den Baron Torroni, — die der Advokat seit heute früh für unwahrscheinlich hielt. Jetzt aber handelte es sich nicht mehr um die oder jene. Kaum eine blieb, nun der Komödiant umging, noch unerreichbar; und das Prickelndste wäre vielleicht dennoch gewesen, wenn im selben Augenblick, wo der Baron Torroni seine Frau mit jenem Mädchen hinterging, die Baronin es ihm mit dem Tenor vergolten hätte! Der Advokat ward erfinderisch, sein Geist schweifte aus und verwandelte die Stadt in sein freies Jagdgebiet. Dem Komödianten folgte er selbst auf dem Fuße, in jedes Schlafzimmer. Vor dem der Baronin hatte er eine alte Scheu zu überwinden; aber dann hüpfte er, mit einem Schnippchen, auch über diese Schwelle.

      Von seiner Phantasie verjüngt, war er dahingeeilt, ohne zu merken, wie seine Arme ruderten und wie es unter seiner Perücke hervortroff. Auf einmal, schon hinter dem öffentlichen Waschhause und auf halbem Weg nach Villascura, sah er sich dem Komödianten gegenüber: ihm selbst. Jener grüßte und wollte langsam vorbei; aber der Advokat fuhr auf, nach Luft schnappend.

      „Das ist doch . . . da sind Sie: also, da sind Sie.“

      „Da bin ich, zu Ihrer Verfügung“, bestätigte der Tenor.

      „Das heißt,“ — und das lederfarbene Gesicht des Advokaten ging in ein zynisches Lächeln auseinander, „wer weiß, zu wessen Verfügung Sie hier sind.“

      „Was wollen Sie sagen?“ fragte der junge Mann. Unvermittelt ward er drohend aussehend.

      „Nichts, o nichts. Sie gehen spazieren, wie ich bemerke, Herr Gennari. Sie sind früh auf. Ich habe, müssen Sie wissen, die kleine Eitelkeit, jeden Morgen der erste draußen zu sein: aber was tut es einem Manne Ihres Alters, auch einmal um fünf das Bett zu verlassen, wo er eine glänzende Nacht verbracht hat.“

      „Meine Nacht“, sagte der Tenor mit feindseliger Zurückhaltung, „war sehr wenig glänzend. Gestern abend empfand ich ein Bedürfnis spazieren zu gehen und wich dabei von der Straße ab. Dann bedeckte sich, wie Sie wissen, der Himmel, ich fand nicht mehr zurück und habe irgendwo dort unten in den Weinfeldern mich schlafen gelegt. Sie sehen die Erde an meinen Kleidern.“

      Der Advokat wandte ihn um und musterte alles.

      „Das ist erstaunlich.“

      Darauf machte er eine gleichgültige Miene.

      „Sie haben also ausgeruht. Dann schlage ich Ihnen vor, mich zu begleiten. Ich zeige Ihnen unsere Gegend, mein Herr. An Villascura werden Sie vorbeigekommen sein, wie?“

      „Ich weiß nicht, mein Herr, was Sie meinen. Ich sagte Ihnen schon, ich war dort unten.“

      Der Advokat sah ihn vorwurfsvoll an, zog schweigend einen Taschenspiegel heraus und hob ihn vor das Gesicht des andern.

      „Was soll das?“ fragte der Tenor, aber er sah hinein, — und er fand seine Augen darin noch finsterer, als er sie gewollt hätte, denn sie waren umrändert und das Gesicht sehr blaß. Aus seiner körnigen Marmorblässe war die Wärme gewichen, und die schwarze Haarwelle über der Stirn, die Barren der Brauen, der dickrote Mund sprangen gewaltsam hervor aus dem grellen Weiß.

      „Ich sage nicht,“ erklärte der Advokat, „daß es Ihnen schlecht stehe, übernächtig auszusehen. Der Schönheit von euch Jungen schlagen die Strapazen eurer Nächte gut an. Wehe uns reifen Männern! Aber was ich andeuten wollte: ein ruhiger Schlaf auf der weichen Erde des Weinackers, in lauer Nachtluft, hätte Sie schwerlich so zugerichtet.“

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