Die kleine Stadt. Heinrich Mann
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„Heda, guter Mann, sagt doch . . .“
„Wie?“ fragte der Kaufmann Mancafede und blieb stehen.
„Verzeihen Sie, Herr . . .“
Der junge Mann erwachte verwirrt. Seit einer Stunde lebte er in einer Welt von Abenteuern, denen alles Volk beiwohnte und die doch nur ihm galten. Diese Stadt und das Wunder in ihr hatten ihn erwartet. Er flog von einem zum andern als einziger Fühlender zwischen verzauberten Steinen und fragte nach der wunderbaren Frau.
„Ich wollte nur . . .“ stammelte er. „Mein Herr, ich bin fremd hier.“
„Man weiß“, sagte der Kaufmann. „Der Herr ist einer der Komödianten.“
„Sie werden auch begreifen, mein Herr, daß man in meinem Alter nicht immer . . . daß man . . . O, mein Herr, sie ging in den Dom.“
„Ah! in den Dom ging sie.“
„Sie kennen sie?“
„Das sage ich nicht. Aber um Ihnen gefällig zu sein, will ich mich bei meiner Tochter erkundigen.“
„Sie wollen . . . O!“
Der Kaufmann ging ins Haus. Der junge Mann fragte nicht, wer diese Tochter sei, die das Erlebnis seines Herzens kannte. Er ließ geschehen, daß die Schleier der Verzauberung wieder heraufstiegen. Mit beiden Händen umfaßte er seine Schläfen, tat zwei stürzende Schritte und schüttelte sich ganz.
„O Alba! Süßes Morgenlicht!“
Der Kaufmann kehrte zurück.
„Meine Tochter weiß wohl, wen Sie meinen; aber sie sagt es Ihnen nicht.“
„Warum nicht?“
„Meine Tochter wird auch das wissen.“
„Aber die Frau hat mich angesehen! Sie wandte sich um, noch in der Domtür, und sah mich an, mich allein.“
„Sie hat Sie also angesehen.“
Der junge Mann stampfte auf.
„Wen geht das alles an, als nur mich! Was will Ihre Tochter! Aber sie weiß gar nichts, Ihre Tochter!“
„Oho!“
Der Kaufmann verlor seine Trockenheit.
„Wenn meine Tochter nichts weiß, dann haben Sie geträumt, junger Mann, und es ist nichts geschehen. Was geschehen ist, das weiß sie auch.“
„Warum sagt sies also nicht?“
„Soll sie jener Unglücklichen einen Menschen schicken, der sie verführt? Meine Tochter ist nicht sehr eingenommen für dergleichen. Aber wissen: o, sie weiß alles.“
„Mein Herr“ — und Nellos Stimme schmeichelte. „Hier habe ich einen schönen Ring. Sie sind Kaufmann. Sie werden den Wert dieses Rubins zu bestimmen verstehen. Wissen Sie, zu welchem Preise ich ihn Ihnen gebe? Für den Namen, mein Herr, für den Namen!“
„Lassen Sie doch sehen!“
Mancafede zog den jungen Mann am Ringfinger bis unter die Lampe vor dem Dom. Plötzlich sah er auf, mit schwarzen Runzeln über die Hornränder seines Klemmers hinweg.
„Von wem haben denn Sie einen solchen Ring, junger Mann?“
Nello errötete tief, zog den Finger zurück und machte sich mit einem Gemurmel davon.
„Ich bin ihrer unwürdig! Noch trage ich den Ring von der Frau des Juweliers!“
Und er suchte Dunkel auf.
Aber es blieb nicht dunkel. Aus dem Corso, über den Platz und zum Tor stürmte ein Haufen Jungen mit Kerzen in Papierdüten. Alle schrien:
„Sie kommen! Es kommen noch mehr!“
Sogleich klappten ringsum Fensterläden an die Mauern, und Licht fiel herab. Die Häuser begannen sich wieder zu leeren von Neugierigen, die noch die Münder wischten. Alle sammelten sich am Ausgange des Platzes, reckten die Arme nach dem Tor und lärmten mit. Denn immer lauter ward dorthinten das Gewirr von Lachen und Gekreisch, das Trommeln auf Holz, das Singen . . . Und mit Rasseln, Knallen und Gebell und umtollt von den Windlichtern der Jungen, brach, voll weiblicher Schreistimmen, ein ganz bunter Wagen herein — niemand begriff etwas vor Buntheit — fuhr mitten auf den Platz und war da. Schon standen, rückwärts gebogen, junge Leute darum her und breiteten Arme aus, lauter Arme, die sich wiegten; — und auf allen Seiten des hohen Stellwagens blähten bunte Röcke und Blusen sich auf, wie die Mädchen hinab in die Arme sprangen, mit geschlossenen Augen darauf los, als sei ringsum Wasser. Dann kletterten die Männer herab.
„Die Choristen sind gekommen!“ rief man den Häusern hinan; und die noch droben waren, stiegen auf den Platz. Im Café ward es ganz hell. Der Konditor Serafini im Corso mußte seinen Laden wieder aufgemacht haben, denn der Karren mit dem Gefrorenen klingelte durchs Gedränge. Der Advokat Belotti wand sich hindurch, er keuchte.
„Wir haben Wohnungen, meine Damen, wir sind das Komitee.“
„Wir sind das Komitee“, heulten die Jungen ihm nach.
Der Advokat schwenkte immer krampfhafter seine Liste über den Köpfen. Der Schneider Chiaralunzi und der junge Savezzo riefen ihren Freunden zu, die Musikinstrumente zu holen.
„Gott! Hilf noch dies eine Mal!“ schrie eine Alte, die erdrückt ward; und die Frau des Kirchendieners Pipistrelli:
„Die Welt geht unter: er hat recht, Don Taddeo. O wir Sünder!“
Im Café „zum Fortschritt“ stand man Fuß an Fuß.
„Gevatter Achille! Einen schwarzen Punsch!“ riefen die vordersten; aber der Wirt war hinter seinem Schenktisch eingesperrt und durfte nicht einmal seinen Bauch darüber wegstrecken. Die gefüllten Gläser, die er hinhielt, reichte einer dem andern. Er kam ins Feuer und verkündete dröhnend:
„Für drei Konsumationen eine umsonst!“
Draußen ließ sein Sohn, der schöne Alfò, sich vom Gewühl umherwerfen und konnte nicht mehr zurück. Er lächelte töricht, sooft ihm eine Frau begegnete; aber wie er der kleinen Rina, der Magd des Tabakhändlers Polli, einen Kuß zuwarf, ward er von hinten grob angelassen. Er hatte jemand getreten, den Tenor Nello Gennari, der an der Mauer lehnte, schon im Gäßchen der Hühnerlucia, und im Dunkeln auf seine Lippe biß. Der schöne Alfò entschuldigte sich freundlich.
„Das kommt von all den Mädchen, die hier sind, mein Herr. Man hat so viel zu tun, wenn man schön ist.“
Der Tenor sah ihn an.
„Es muß ein gutes Leben sein,“ sagte er auflachend, „wenn man schön ist.“
„Nicht immer, mein Herr. Denn alle wollen einen heiraten, und ich werde doch nur die Schönste heiraten: Alba Nardini,