Der Untertan. Roman. Heinrich Mann

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Der Untertan. Roman - Heinrich Mann Reclams Universal-Bibliothek

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und Eisernem Kreuz war auch wieder da, er drückte Diederich die Hand.

      »Brav, junger Mann, brav!«

      »Soll man da nicht wütend werden«, erklärte Diederich, noch keuchend. »Wenn der Mensch uns den historischen Moment verekeln will?«

      »Sie haben gedient?« fragte der alte Herr.

      »Ich wäre am liebsten ganz dabei geblieben«, sagte Diederich.

      »Na ja, Sedan ist nicht alle Tage«, – der alte Herr betupfte sein Eisernes Kreuz. »Das waren wir

      Diederich reckte sich, er zeigte auf das bezwungene Volk und den Kaiser.

      »Das ist doch gerade so gut, wie Sedan!«

      »Na ja«, sagte der alte Herr.

      »Gestatten Sie mal, sehr geehrter Herr«, rief jemand und schwenkte sein Notizbuch. »Wir müssen das bringen. Stimmungsbild, verstehnse? Sie haben wohl einen Genossen verwalkt?«

      »Kleinigkeit«, – Diederich keuchte noch immer. »Meinetwegen könnt es jetzt gleich losgehen gegen den inneren Feind. Unsern Kaiser haben wir mit.«

      »Fein«, sagte der Reporter und schrieb. »In der wildbewegten Menge hört man Leute aller Stände der treuesten Anhänglichkeit und dem unerschütterlichen Vertrauen zu der Allerhöchsten Person Ausdruck geben.«

      »Hurrah!« schrie Diederich, denn alle schrien es; und [68]inmitten eines mächtigen Stoßes von Menschen, der schrie, gelangte er jäh bis unter das Brandenburger Tor. Zwei Schritte vor ihm ritt der Kaiser hindurch. Diederich konnte ihm ins Gesicht sehen, in den steinernen Ernst und das Blitzen; aber ihm verschwamm es vor den Augen, so sehr schrie er. Ein Rausch, höher und herrlicher als der, den das Bier vermittelt, hob ihn auf die Fußspitzen, trug ihn durch die Luft. Er schwenkte den Hut hoch über allen Köpfen, in einer Sphäre der begeisterten Raserei, durch einen Himmel, wo unsere äußersten Gefühle kreisen. Auf dem Pferd dort, unter dem Tor der siegreichen Einmärsche und mit Zügen steinern und blitzend, ritt die Macht! Die Macht, die über uns hingeht und deren Hufe wir küssen! Die über Hunger, Trotz und Hohn hingeht! Gegen die wir nichts können, weil wir alle sie lieben! Die wir im Blut haben, weil wir die Unterwerfung darin haben! Ein Atom sind wir von ihr, ein verschwindendes Molekül von etwas, das sie ausgespuckt hat! Jeder einzelne ein Nichts, steigen wir in gegliederten Massen als Neuteutonen, als Militär, Beamtentum, Kirche und Wissenschaft, als Wirtschaftsorganisationen und Machtverbände kegelförmig hinan, bis dort oben, wo sie selbst steht, steinern und blitzend! Leben in ihr, haben Teil an ihr, unerbittlich gegen die, die ihr ferner sind, und triumphierend, noch wenn sie uns zerschmettert: denn so rechtfertigt sie unsere Liebe! … Einer der Schutzleute, deren Kette das Tor absperrte, stieß Diederich vor die Brust, daß ihm der Atem ausblieb; er aber hatte die Augen so voll Siegestaumel, als reite er selbst über alle diese Elenden hinweg, die gebändigt ihren Hunger verschluckten. Ihm nach! Dem Kaiser nach! Alle fühlten wie Diederich. Eine Schutzmannskette war zu schwach gegen [69]so viel Gefühl; man durchbrach sie. Drüben stand eine zweite. Man mußte abbiegen, auf Umwegen den Tiergarten erreichen, einen Durchschlupf finden. Wenige fanden ihn; Diederich war allein, als er auf den Reitweg hinausstürzte, dem Kaiser entgegen, der auch allein war. Ein Mensch im gefährlichsten Zustand des Fanatismus, beschmutzt, zerrissen, mit Augen wie ein Wilder: der Kaiser vom Pferd herunter, blitzte ihn an, er durchbohrte ihn. Diederich riß den Hut ab, sein Mund stand weit offen, aber der Schrei kam nicht. Da er zu plötzlich anhielt, glitt er aus und setzte sich mit Wucht in einen Tümpel, die Beine in die Luft, umspritzt von Schmutzwasser. Da lachte der Kaiser. Der Mensch war ein Monarchist, ein treuer Untertan! Der Kaiser wandte sich nach seinen Begleitern um, schlug sich auf den Schenkel und lachte. Diederich aus seinem Tümpel sah ihm nach, den Mund noch offen.

      [70]II.

      Er reinigte sich notdürftig und kehrte um. Auf einer Bank saß eine Dame; Diederich ging ungern vorüber. Noch dazu starrte sie ihm entgegen. »Gans«, dachte er zornig. Da sah er, daß sie ein tief erschrockenes Gesicht hatte, und dann erkannte er Agnes Göppel.

      »Eben bin ich dem Kaiser begegnet«, sagte er sofort.

      »Dem Kaiser?« fragte sie, wie aus einer anderen Welt. Er begann, unter großen, ungewohnten Gesten herauszujagen, was ihn erstickte. Unser herrlicher junger Kaiser, ganz allein unter rasenden Aufrührern! Ein Café hatten sie demoliert, Diederich selbst war dringewesen! Unter den Linden hatte er blutige Kämpfe bestanden für seinen Kaiser! Kanonen sollte man auffahren!

      »Die Leute hungern wohl«, sagte Agnes schüchtern. »Es sind ja auch Menschen.«

      »Menschen?« Diederich rollte die Augen. »Der innere Feind sind sie!«

      Da er Agnes wieder erschrecken sah, beruhigte er sich etwas.

      »Wenn es Ihnen Vergnügen macht, daß wegen des Packs alle Straßen abgesperrt werden müssen.«

      Nein, das kam Agnes sehr ungelegen. Sie hatte in der Stadt Besorgungen gehabt, und wie sie zurück nach der Blücherstraße wollte, ging kein Omnibus mehr, und nirgends kam man durch. Sie war zurückgedrängt worden bis hierher. Es war kalt und naß, ihr Vater würde sich ängstigen; was sollte sie tun? Diederich verhieß ihr, er werde es schon machen. Sie gingen zusammen weiter. Er wußte auf einmal nichts mehr zu sagen und wendete den Kopf [71]umher, als suchte er den Weg. Sie waren allein zwischen kahlen Bäumen und nassem alten Laub. Wo waren die männlichen Hochgefühle von vorhin? Diederich empfand Beklommenheit, wie auf seinem letzten Spaziergang mit Agnes, als er, von Mahlmann gewarnt, auf einen Omnibus sprang, ausriß und verschwand. Gerade sagte Agnes: »Sie haben sich aber sehr, sehr lange nicht bei uns sehen lassen. Papa hat Ihnen doch geschrieben?«

      Sein eigener Vater sei gestorben, sagte Diederich, betreten. Jetzt mußte Agnes zuerst ihr Beileid ausdrücken, dann fragte sie weiter: warum er damals plötzlich fortgeblieben sei, vor drei Jahren.

      »Nicht wahr? Es sind schon fast drei Jahre.«

      Diederich bekam Festigkeit. Das Verbindungsleben habe ihn völlig in Anspruch genommen. Dort herrsche nämlich eine verdammt strenge Zucht. »Und dann habe ich meiner Wehrpflicht genügt.«

      »Oh!« – Agnes sah ihn an, »was aus Ihnen alles geworden ist! Und jetzt sind Sie wohl schon Doktor?«

      »Das soll jetzt kommen.«

      »Sie haben sich fast gar nicht verändert.«

      Er sah unzufrieden geradeaus. Seine Schmisse, seine stattliche Breite, alle seine wohlerworbene Männlichkeit: für sie war das nichts? Sie bemerkte es gar nicht?

      »Aber Sie«, sagte er plump. In ihr blasses, so schmales Gesicht stieg eine ganz dünne Röte, bis auf den Sattel der kleinen eingedrückten Nase, mit den Sommersprossen.

      »Ja. Mir geht es manchmal nicht gut, aber es wird schon wieder besser werden.«

      Diederich bereute.

      »Ich meinte doch natürlich, daß Sie noch hübscher [72]geworden sind«; – und er betrachtete ihr rotes Haar, das unter dem Hut hervorquoll, noch dicker als früher, weil ihr Gesicht so klein geworden war. Dabei erinnerte er sich seiner Demütigungen von damals und wie anders die Dinge jetzt lagen. Herausfordernd sagte er:

      »Wie geht es denn Herrn Mahlmann?«

      Agnes bekam eine wegwerfende Miene.

      »Denken Sie an den noch? Wenn ich den mal wiedersähe,

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