Der Untertan. Roman. Heinrich Mann

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Der Untertan. Roman - Heinrich Mann Reclams Universal-Bibliothek

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      Diederich brachte sich in Ordnung und verließ das Haus in guter Haltung. Um so schlimmer für Mahlmann, wenn er sich so aufführte! Diederich hatte sich nichts vorzuwerfen; vor einem Ehrengericht wäre er glänzend dagestanden. Etwas höchst Anstößiges blieb es, daß ein einzelner sich so viel erlauben konnte; Diederich war gekränkt im Namen sämtlicher Korporationen. Andererseits war es nicht zu leugnen, daß Mahlmann Diederichs alte Hochachtung wieder beträchtlich aufgefrischt hatte. »Ein ganz gemeiner Hund«, dachte Diederich. »Aber so muß man sein …«

      Zu Hause lag ein eingeschriebener Brief.

      »Nun können wir fortmachen«, sagte Hornung.

      »Wieso wir? Ich brauch mein Geld selbst.«

      »Du machst wohl Spaß. Ich kann hier doch nicht allein sitzen bleiben.«

      »Dann such’ dir Gesellschaft!«

      Diederich schlug ein solches Gelächter auf, daß Hornung ihn für verrückt hielt. Darauf reiste er wirklich.

      Unterwegs sah er erst, daß der Brief von seiner Mutter adressiert war. Das war ungewöhnlich … Seit ihrer letzten Karte, sagte sie, sei es mit seinem Vater noch viel schlimmer geworden. Warum Diederich nicht gekommen sei.

      »Wir müssen uns auf das Entsetzlichste gefaßt machen. Wenn du unsern innigst geliebten Papa noch einmal sehen willst, o dann säume nicht länger, mein Sohn!«

      Bei dieser Ausdrucksweise ward es Diederich ungemütlich. Er entschloß sich, seiner Mutter einfach nicht zu glauben. »Weibern glaub ich überhaupt nichts, und mit Mama ist es nun mal nicht richtig.«

      [48]Trotzdem tat Herr Heßling bei Diederichs Ankunft gerade die letzten Atemzüge.

      Von dem Anblick überwältigt, brach Diederich gleich auf der Schwelle in ein ganz formloses Geheul aus. Er stolperte zum Bett, sein Gesicht war im Augenblick naß wie beim Waschen; und mit den Armen tat er lauter kurze Flügelschläge und ließ sie machtlos gegen die Hüften klappen. Plötzlich erkannte er auf der Decke des Vaters rechte Hand, kniete hin und küßte sie. Frau Heßling, ganz still und klein selbst noch bei den letzten Atemzügen ihres Herrn, tat drüben dasselbe mit der linken. Diederich dachte daran, wie dieser verkümmerte schwarze Fingernagel auf seine Wange zugeflogen war, wenn der Vater ihn ohrfeigte; und er weinte laut. Die Prügel gar, als er von den Lumpen die Knöpfe gestohlen hatte! Diese Hand war schrecklich gewesen; Diederichs Herz krampfte sich, nun er sie verlieren sollte. Er fühlte, daß seine Mutter das gleiche im Sinn hatte, und sie ahnte seine Gedanken. Auf einmal sanken sie einander, über das Bett hinweg, in die Arme.

      Bei den Kondolenzbesuchen hatte Diederich sich zurück. Er vertrat vor ganz Netzig, stramm und formensicher, die Neuteutonia, sah sich angestaunt und vergaß darüber fast, daß er trauerte. Dem alten Herrn Buck ging er bis zur äußeren Tür entgegen. Die Beleibtheit des großen Mannes von Netzig ward majestätisch in seinem glänzenden Gehrock. Würdevoll trug der den umgewendeten Zylinderhut vor sich her; und die andere, vom schwarzen Handschuh entblößte Hand, die er Diederich reichte, fühlte sich überraschend zartfleischig an. Seine blauen Augen drangen warm in Diederich ein und er sagte:

      »Ihr Vater war ein guter Bürger. Junger Mann, werden Sie [49]auch einer! Haben Sie immer Achtung vor den Rechten Ihrer Mitmenschen! Das gebietet Ihnen Ihre eigene Menschenwürde. Ich hoffe, wir werden hier in unserer Stadt noch zusammen für das Gemeinwohl arbeiten. Sie werden jetzt wohl fertig studieren?«

      Diederich konnte kaum das Ja herausbringen, so sehr verstörte ihn die Ehrfurcht. Der alte Buck fragte in leichterem Ton:

      »Hat mein Jüngster Sie in Berlin schon aufgesucht? Nein? O, das soll er tun. Er studiert jetzt auch dort. Wird aber wohl bald sein Jahr abdienen. Haben Sie das schon hinter sich?«

      »Nein« – und Diederich ward sehr rot. Er stammelte Entschuldigungen. Es sei ihm bisher ganz unmöglich gewesen, das Studium zu unterbrechen. Aber der alte Buck zuckte die Achseln, als sei der Gegenstand unerheblich.

      Durch das Testament des Vaters war Diederich neben dem alten Buchhalter Sötbier zum Vormund seiner beiden Schwestern bestimmt. Sötbier belehrte ihn, daß ein Kapital von siebzigtausend Mark da sei, das als Mitgift der Mädchen dienen solle. Nicht einmal die Zinsen durften angegriffen werden. Der Reingewinn aus der Fabrik hatte in den letzten Jahren durchschnittlich neuntausend Mark betragen. »Mehr nicht?« fragte Diederich. Sötbier sah ihn an, zuerst entsetzt, dann vorwurfsvoll. Wenn der junge Herr sich vorstellen könnte, wie sein seliger Vater und Sötbier das Geschäft heraufgearbeitet hätten! Gewiß war es ja noch ausdehnungsfähig …

      »Na, is jut«, sagte Diederich. Er sah, daß hier vieles geändert werden müsse. Von einem Viertel von neuntausend Mark sollte er leben? Diese Zumutung des Verstorbenen [50]empörte ihn. Als seine Mutter behauptete, der Selige habe auf dem Sterbebette die Zuversicht geäußert, in seinem Sohn Diederich werde er fortleben und Diederich werde sich niemals verheiraten, um immer für die Seinen zu sorgen, da brach Diederich aus. »Vater war nicht so krankhaft sentimental wie du«, schrie er, »und er log auch nicht.« Frau Heßling glaubte den Seligen zu hören und duckte sich. Dies benutzte Diederich, um seinen Monatswechsel um fünfzig Mark erhöhen zu lassen.

      »Zunächst«, sagte er rauh, »hab ich mein Jahr abzudienen. Das kostet, was es kostet. Mit euren kleinlichen Geldgeschichten könnt ihr mir später kommen.«

      Er bestand sogar darauf, in Berlin einzutreten. Der Tod des Vaters hatte ihm wilde Freiheitsgefühle gegeben. Nachts freilich träumte er, der alte Herr trete aus dem Kontor, mit dem ergrauten Gesicht, das er als Leiche gehabt hatte, – und schwitzend erwachte Diederich.

      Er reiste, versehen mit dem Segen der Mutter. Gottlieb Hornung und ihre gemeinsame Rosa konnte er fortan nicht brauchen und zog um. Den Neuteutonen zeigte er in angemessener Form seine veränderten Lebensumstände an. Die Burschenherrlichkeit war vorüber. Der Abschiedskommers! Trauersalamander wurden gerieben, die für Diederichs alten Herrn bestimmt waren, aber die auch ihm und seiner schönsten Blütezeit gelten konnten. Vor lauter Hingabe gelangte er unter den Tisch, wie am Abend seiner Aufnahme als Konkneipant; und war nun Alter Herr.

      Arg verkatert stand er Tags darauf, inmitten anderer jungen Leute, die alle, wie er selbst, ganz nackt ausgezogen waren, vor dem Stabsarzt. Dieser Herr sah angewidert über all das männliche Fleisch hin, das ihm unterbreitet war; an [51]Diederichs Bauch aber ward sein Blick höhnisch. Sofort grinsten alle ringsum, und Diederich blieb nichts übrig, als auch seinerseits die Augen auf seinen Bauch zu senken, der errötet war … Der Stabsarzt hatte seinen vollen Ernst zurück. Einem, der nicht so scharf hörte, wie es Vorschrift war, erging es schlecht, denn man kannte die Simulanten! Ein anderer, der noch dazu Levysohn hieß, bekam die Lehre: »Wenn Sie mich wieder mal hier belästigen, dann waschen Sie sich wenigstens!« Bei Diederich hieß es:

      »Ihnen wollen wir das Fett schon wegkurieren. Vier Wochen Dienst und ich garantiere Ihnen, daß Sie aussehen wie ein Christenmensch.«

      Damit war er angenommen. Die Ausgemusterten fuhren so schnell in ihre Kleider, als brennte die Kaserne. Die für tauglich Befundenen sahen einander prüfend von der Seite an und entfernten sich zaudernd, als erwarteten sie, daß eine schwere Hand sich ihnen auf die Schultern lege. Einer, ein Schauspieler mit einem Gesicht, als sei ihm alles eins, kehrte um, stellte sich nochmals vor den Stabsarzt hin und sagte laut, mit sorgfältiger Aussprache: »Ich möchte noch hinzufügen, daß ich homosexuell bin.«

      Der Stabsarzt wich zurück, er war ganz rot. Stimmlos sagte er: »Solche Schweine können wir allerdings nicht brauchen.«

      Diederich drückte den künftigen Kameraden seine Entrüstung aus über

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