Die Leiden des jungen Werther. Johann Wolfgang von Goethe
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Читать онлайн книгу Die Leiden des jungen Werther - Johann Wolfgang von Goethe страница 4
Ich sage Dir, mein Schatz, wenn meine Sinne gar nicht mehr halten wollen, so lindert all den Tumult der Anblick eines solchen Geschöpfs, das in glücklicher Gelassenheit den engen Kreis seines Daseins hingeht, von einem Tag zum andern sich durchhilft, die Blätter abfallen sieht, und nichts dabei denkt, als dass der Winter kommt.
Seit der Zeit bin ich oft draussen. Die Kinder sind ganz an mich gewöhnt, sie kriegen Zucker, wenn ich Kaffee trinke, und teilen das Butterbrot und die saure Milch mit mir des Abends. Sonntags fehlt ihnen der Kreuzer nie; und wenn ich nicht nach der Betstunde da bin, so hat. die Wirtin Order, ihn auszuzahlen.
Sie sind vertraut, erzählen mir allerhand, und besonders ergötze ich mich an ihren Leidenschaften und simpeln Ausbrüchen des Begehrens, wenn mehr Kinder aus dem Dorfe sich versammeln.
Viel Mühe hat mir’s gekostet, der Mutter ihre Besorgnis zu nehmen: sie möchten den Herrn inkommodieren.
Am 30. Mai.
Was ich Dir neulich von der Malerei sagte, gilt gewiss auch von der Dichtkunst; es ist nur, dass man das Vortreffliche erkenne und es auszusprechen wage, und das ist freilich mit wenigen viel gesagt. Ich habe heute eine Szene gehabt, die, rein abgeschrieben, die schönste Idylle von der Welt gäbe; doch was soll Dichtung, Szene und Idylle? muss es denn immer gebosselt sein, wenn wir Teil an einer Naturerscheinung nehmen sollen?
Wenn Du auf diesen Eingang viel Hohes und Vornehmes erwartest, so bist Du wieder übel betrogen; es ist nichts, als ein Bauernbursche, der mich zu dieser lebhaften Teilnehmung hingerissen hat. — Ich werde, wie gewöhnlich, schlecht erzählen, und Du wirst mich, wie gewöhnlich, denk’ ich, übertrieben finden; es ist wieder Wahlheim, und immer Wahlheim, das diese Seltenheiten hervorbringt.
Es war eine Gesellschaft draussen unter den Linden, Kaffee zu trinken. Weil sie mir nicht ganz anstand, so blieb ich unter einem Vorwande zurück.
Ein Bauernbursche kam aus einem benachbarten Hause und schäftigte sich an dem Pfluge, den ich neulich gezeichnet hatte, etwas zurecht zu machen. Da mir sein Wesen gefiel, redete ich ihn an, fragte nach seinen Umständen, wir waren bald bekannt, und wie mir’s gewöhnlich mit dieser Art Leuten geht, bald vertraut. Er erzählte mir, dass er bei einer Witwe in Diensten sei, und von ihr gar wohl gehalten werde. Er sprach so viel von ihr, und lobte sie dergestalt, dass ich bald merken konnte, er sei ihr mit Leib und Seele zugetan. Sie sei nicht mehr jung, sagte er, sie sei von ihrem ersten Mann übel gehalten worden, wolle nicht mehr heiraten, und aus seiner Erzählung leuchtete so merklich hervor, wie schön, wie reizend sie für ihn sei, wie sehr er wünsche, dass sie ihn wählen möchte, um das Andenken der Fehler ihres ersten Mannes auszulöschen, dass ich Wort für Wort wiederholen müsste, um Dir die reine Neigung, die Liebe und Treue dieses Menschen anschaulich zu machen. Ja, ich müsste die Gabe des grössten Dichters besitzen, um Dir zugleich den Ausdruck seiner Geberden, die Harmonie seiner Stimme, das heimliche Feuer seiner Blicke lebendig darstellen zu können. Nein, es sprechen keine. Worte die Zartheit aus, die in seinem ganzen Wesen und Ausdruck war; es ist alles nur plump, was ich wieder vorbringen könnte. Besonders rührte mich, wie er fürchtete, ich möchte über sein Verhältnis zu ihr ungleich denken, und an ihrer guten Aufführung zweifeln. Wie reizend es war, wenn er von ihrer Gestalt, von ihrem Körper sprach, der ihn ohne jugendliche Reize gewaltsam an sich zog und fesselte, in kann ich mir nur in meiner innersten Seele wiederholen. Ich hab’ in meinem Leben die dringende Begierde, und das heisse, sehnliche Verlangen nicht in dieser Reinheit gesehen, ja wohl kann ich sagen, in dieser Reinheit nicht gedacht und geträumt. Schelte mich nicht, wenn ich Dir sage, dass bei der Erinnerung dieser Unschuld und Wahrheit mir die innerste Seele glüht, und dass mich das Bild dieser Treue und Zärtlichkeit überall verfolgt, und dass ich, wie selbst davon entzündet, lechze und schmachte.
Ich will nun suchen, auch sie ehstens zu sehen, oder vielmehr, wenn ich’s recht bedenke, ich will’s vermeiden. Es ist besser, ich sehe sie durch die Augen ihres Liebhabers; vielleicht erscheint sie mir vor meinen eignen Augen nicht so, wie sie jetzt vor mir steht, und warum soll ich mir das schöne Bild verderben.
Am 16. Juni.
Warum ich Dir nicht schreibe? — Fragst Du das, und bist doch auch der Gelehrten einer? Du solltest raten, dass ich mich wohl befinde, und zwar — Kurz und gut, ich habe eine Bekanntschaft gemacht, die mein Herz näher angeht. — Ich habe — ich weiss nicht.
Dir in der Ordnung zu erzählen, wie’s zugegangen ist, dass ich eines der liebenswürdigsten Geschöpfe habe kennen lernen, wird schwer halten. Ich bin vergnügt und glücklich, und also kein guter Historienschreiber.
Einen Engel! — Pfui! das sagt jeder von der Seinigen, nicht wahr? Und doch bin ich nicht imstande, Dir zu sagen, wie sie vollkommen ist, warum sie vollkommen ist; genug, sie hat all meinen Sinn gefangen genommen.
So viel Sorgfalt bei so viel Verstand, so viele Güte bei so viel Festigkeit, und die Ruhe der Seele bei dem wahren Leben und der Tätigkeit. —
Das ist alles garstiges Gewäsch, was ich da von ihr sage, leidige Abstraktion, die nicht einen Zug ihres Selbst ausdrücken. Ein andermal — Nein, nicht ein andermal, jetzt gleich will ich Dir’s erzählen. Tu’ ich’s jetzt nicht, so geschäh’ es niemals. Denn, unter uns, seit ich angefangen habe zu schreiben, war ich schon dreimal im Begriffe, die Feder niederzulegen, mein Pferd satteln zu lassen und hinaus zu reiten; und gehe doch alle Augenblick’ ans Fenster, zu sehen, wie hoch die Sonne noch steht. — — —
Ich hab’s nicht überwinden können, ich musste zu ihr hinaus. Da bin ich wieder, Wilhelm, will mein Butterbrot zu Nacht essen und Dir schreiben. Weich eine Wonne das für meine Seele ist, sie in dem Kreise der lieben muntern Kinder, ihrer acht Geschwister zu sehen! —
Wenn ich so fortfahre, wirst Du am Ende so klug sein, wie im Anfange. Höre denn, ich will mich zwingen ins Detail zu gehen.
Ich schrieb Dir neulich, wie ich den Amtmann S. habe kennen lernen, und wie er mich gebeten habe, ihn bald in seiner Einsiedelei, oder vielmehr seinem kleinen Königreiche zu besuchen. Ich vernachlässigte das, und wäre vielleicht nie hingekommen, hätte mir der Zufall nicht den Schatz entdeckt, der in der stillen Gegend verborgen liegt.
Unsere jungen Leute hatten einen Ball auf dem Lande angestellt, zu dem ich mich denn auch willig finden liess. Ich bot einem hiesigen guten, schönen, übrigens unbedeutenden Mädchen die Hand, und es wurde ausgemacht, dass ich eine Kutsche nehmen, mit meiner Tänzerin und ihrer Base nach dem Orte der Lustbarkeit hinausfahren, und auf dem Wege Charlotten S. mitnehmen sollte. — Sie werden ein schönes Frauenzimmer kennen lernen, sagte meine Gesellschafterin, da wir durch den weiten, ausgehauenen Wald nach dem Jagdhause fuhren. Nehmen Sie sich in acht, versetzte die Base, dass Sie sich nicht verlieben! — Wieso? sagte ich. — Sie ist schon vergeben, antwortete jene, an einen sehr braven Mann, der weggereist ist, seine Sachen in Ordnung zu bringen, weil sein Vater gestorben ist, und sich um eine ansehnliche Versorgung zu bewerben. Die Nachricht war mir ziemlich gleichgültig.
Die Sonne war noch eine Viertelstunde vom Gebirge, als wir vor dem Hoftore anfuhren. Es war sehr schwül, und die Frauenzimmer äusserten ihr Besorgnis wegen eines Gewitters, das sich in weissgrauen, dumpfigen Wölkchen rings am Horizonte zusammenzuziehen schien. Ich täuschte ihre Furcht mit anmasslicher Wetterkunde, ob mir gleich selbst zu ahnen anfing, unsere Lustbarkeit werde einen Stoss leiden.
Ich war ausgestiegen, und eine Magd, die ans Tor kam, bat uns einen Augenblick zu verziehen, Mamsell Lottchen würde gleich kommen. Ich ging durch den Hof nach dem wohlgebauten Hause, und da ich die vorliegende Treppe