Die Leiden des jungen Werther. Johann Wolfgang von Goethe

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Die Leiden des jungen Werther - Johann Wolfgang von Goethe

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zwei Jahren, um ein Mädchen von schöner Gestalt, mittlerer Grösse, die ein simples weisses Kleid, mit blassroten Streifen an Arm und Brust anhatte. — Sie hielt ein schwarzes Brot und schnitt ihren Kleinen rings herum, jedem sein Stück, nach Proportion ihres Alters und Appetits ab, gab’s jedem mit solcher Freundlichkeit und jedes rufte so ungekünstelt sein: Danke! indem es mit den kleinen Händchen lange in die Höhe gereicht hatte, ehe es noch abgeschnitten war, und nun mit seinem Abendbrote vergnügt entweder wegsprang, oder nach seinem stilleren Charakter davonging, nach dem Hoftore zu, um die Fremden und die Kutsche zu sehen, darinnen ihre Lotte wegfahren sollte. — Ich bitte um Vergebung, sagte sie, dass ich Sie hereinbemühe, und die Frauenzimmer warten lasse. Über dem Anziehen und allerlei Bestellungen fürs Haus in meiner Abwesenheit, habe ich vergessen, meinen Kindern ihr Vesperbrot zu geben, und sie wollen von niemandem Brot geschnitten haben als von mir. — Ich machte ihr ein unbedeutendes. Kompliment; meine ganze Seele ruhte auf der Gestalt, dem Tone, dem Betragen, und ich hatte eben Zeit; mich von der überraschung zu erholen, als sie in die Stube lief, ihre Handschuhe und Fächer zu holen. Die Kleinen sahen mich in einiger Entfernung so von der Seite an, und ich ging auf das jüngste los, das ein Kind von der glücklichsten Gesichtsbildung war. Es zog sich zurück, als eben Lotte zur Tür herauskam und sagte: Louis, gib dem Herrn Vetter eine Hand. Das tat der Knabe sehr freimütig, und ich konnte mich nicht enthalten, ihn, ungeachtet seines kleinen Rotznäschens herzlich zu küssen. — Vetter? sagte ich, indem ich ihr die Hand reichte, glauben Sie, dass ich des Glückes wert sei, mit Ihnen verwandt zu sein? — O! sagte sie, mit leichtsinnigem Lächeln: unsere Vetterschaft ist sehr weitläuftig, und es wäre mir leid, wenn Sie der schlimmste drunter sein sollten. — Im Gehen gab sie Sophien, der ältesten Schwester nach ihr, einem Mädchen von ungefähr elf Jahren, einen Auftrag, wohl auf die Kinder acht zu haben, und den Papa zu grüssen, wenn er vom Spazierritte nach Hause käme. Den Kleinen sagte sie, sie sollten ihrer Schwester Sophie folgen, als wenn sie’s selber wäre, das denn auch einige ausdrücklich versprachen. Eine kleine naseweise Blondine aber, von ungefähr sechs Jahren, sagte: du bist’s doch nicht, Lottchen; wir haben dich doch lieber. — Die zwei ältesten Knaben waren auf die Kutsche geklettert, und auf mein Vorbitten erlaubte sie ihnen, bis vor den Wald mitzufahren, wenn sie versprächen, sich nicht zu necken, und sich recht fest zu halten.

      Wir hatten uns kaum zurecht gesetzt, die Frauenzimmer sich bewillkommnet, wechselsweise über den Anzug, vorzüglich über die Hüte ihre Anmerkungen gemacht, und die Gesellschaft, die man erwartete, gehörig durchgezogen, als Lotte den Kutscher halten, und ihre Brüder herabsteigen liess, die noch einmal ihre Hand zu küssen begehrten, das denn der älteste mit aller Zärtlichkeit, die dem Alter von fünfzehn Jahren eigen sein kann, der andere mit viel Heftigkeit und Leichtsinn tat. Sie liess die Kleinen noch einmal grüssen, und wir fuhren weiter.

      Die Base fragte, ob sie mit dem Buche fertig wäre, das sie ihr neulich geschickt hätte? Nein, sagte Lotte, es gefällt mir nicht, Sie können’s wieder haben. Das vorige war auch nicht besser. — Ich staunte, als ich fragte, was es für Bücher wären? und sie mir antwortete: 2 ) — Ich fand so viel Charakter in allem was sie sagte, ich sah mit jedem Worte neue Reize, neue Strahlen des Geistes aus ihren Gesichtszügen hervorbrechen, die sich nach und nach vergnügt zu entfalten schienen, weil sie an mir fühlte, dass ich sie verstand.

      Wie ich jünger war, sagte sie, liebte ich nichts so sehr, als Romane. Weiss Gott, wie wohl mir’s war, wenn ich mich Sonntags so in ein Eckchen setzen, und mit ganzem Herzen an dem Glück und Unstern einer Miss Jenny teilnehmen konnte. Ich leugne auch nicht, dass die Art noch einige Reize für mich hat. Da ich doch so selten an ein Buch komme, so müssen sie auch recht nach meinem Geschmack sein. Und der Autor ist mir der liebste, in dem ich meine Welt wiederfinde, bei dem es zugeht, wie um mich, und dessen Geschichte mir doch so interessant und herzlich wird, als mein eigen häuslich Leben, das freilich kein Paradies, aber doch im ganzen eine Quelle unsäglicher Glückseligkeit ist.

      Ich bemühte mich, meine Bewegung über diese Worte zu verbergen. Das ging freilich nicht weit: denn da ich sie mit solcher Wahrheit im Vorbeigehen vom Landpriester von Wakefield, von 3 ) — reden hörte, kam ich ganz ausser mich, sagte ihr alles was ich wusste, und bemerkte erst nach einiger Zeit, da Lotte das Gespräch an die anderen wendete, dass diese die Zeit über mit offenen Augen, als sässen sie nicht da, dagesessen hatten. Die Base sah mich mehr als einmal mit einem spöttischen Näschen an, daran mir aber nichts gelegen war.

      Das Gespräch fiel aufs Vergnügen am Tanze. Wenn diese Leidenschaft ein Fehler ist, sagte Lotte, so gestehe ich Ihnen gern, ich weiss mir nichts übers Tanzen. Und wenn ich was im Kopfe habe, und mir auf meinem verstimmten Klavier einen Kontretanz vortrommle, so ist alles wieder gut.

      Wie ich mich unter dem Gespräche in den schwarzen Augen weidete! wie die lebendigen Lippen, und die frischen muntern Wangen meine ganze Seele anzogen! wie ich, in den herrlichen Sinn ihrer Rede ganz versunken, oft gar die Worte nicht hörte, mit denen sie sich ausdrückte! — davon hast Du eine Vorstellung, weil Du mich kennst. Kurz, ich stieg aus dem Wagen wie ein Träumender, als wir vor dem Lusthause still hielten, und war so in Träumen rings in der dämmernden Welt verloren, dass ich auf die Musik kaum achtete, die uns von dem erleuchteten Saal herunter entgegenschallte.

      Die zwei Herren von Adrian und ein gewisser N. N. — wer behält alle die Namen! — die der Base und Lottens Tänzer waren, empfingen uns am Schlage, bemächtigen sich ihrer Frauenzimmer, und ich führte die meinige hinauf.

      Wir schlugen uns in Menuetts umeinander herum; ich forderte ein Frauenzimmer nach dem andern auf, und i just die unleidlichsten konnten nicht dazu kommen, einem die Hand zu reichen und ein Ende zu machen. Lotte und ihr Tänzer fingen einen Englischen an, und wie wohl mir’s war, als sie auch in der Reihe die Figur mit uns anfing, magst Du fühlen. Tanzen muss man sie sehen! Siehst Du, sie ist so mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele dabei, ihr ganzer Körper eine Harmonie, so sorglos, so unbefangen, als wenn sie sonst nichts dächte, nichts empfände; und in dem Augenblick gewiss schwindet alles andere von ihr.

      Ich bat sie um den zweiten Kontretanz; sie sagte mir den dritten zu, und mit der liebenswürdigsten Freimütigkeit von der Welt versicherte sie mir, dass sie herzlich gern deutsch tanze. Es sei hier so Mode, fuhr sie fort, dass jedes Paar, das zusammen gehört, beim Deutschen zusammenbleibt, und mein Chapeau walzt schlecht, und dankt mir’s, wenn ich ihm die Arbeit erlasse. Ihr Frauenzimmer kann’s auch nicht, und mag nicht, und ich habe im Englischen gesehen, dass Sie gut walzen; wenn Sie nun mein sein wollen fürs Deutsche, so gehen Sie, und bitten sich’s von meinem Herrn aus, und ich will zu Ihrer Dame gehen. — Ich gab ihr die Hand darauf, und wir machten aus, dass ihr Tänzer inzwischen meine Tänzerin unterhalten sollte.

      Nun ging’s an, und wir ergötzten uns eine Weile an mannigfaltigen Schlingungen der Arme. Mit welchem Reize, mit welcher Flüchtigkeit bewegte sie sich! und da wir nun gar ans Walzen kamen, und wie die Sphären umeinander herum rollten, ging’s freilich anfangs, weil’s die wenigsten können, ein bisschen bunt durcheinander. Wir waren klug, und liessen sie austoben; und als die Ungeschicktesten den Platz geräumt hatten, fielen wir ein und hielten mit noch einem Paare, mit Audran und seiner Tänzerin, wacker aus. Nie ist mir’s so leicht vom Flecke gegangen. Ich war kein Mensch mehr. Das liebenswürdigste Geschöpf in den Armen zu haben, und mit ihr herumzufliegen wie Wetter, dass alles rings umher verging, und — Wilhelm, um ehrlich zu sein, tat ich aber doch den Schwur, dass ein Mädchen, das ich liebte, auf das ich Ansprüche hätte, mir nie mit einem andern walzen sollte, als mit mir, und wenn ich darüber zugrunde gehen müsste. Du verstehst mich!

      Wir machten einige Touren gehend im Saale, um zu verschnaufen. Dann setzte sie sich, und die Orangen, die ich beiseite gebracht hatte, die nun die einzigen noch übrigen waren, taten vortreffliche Wirkung, nur dass mir mit jedem Schnittchen, das sie einer unbescheidenen Nachbarin ehrenhalber zuteilte, ein Stich durchs Herz ging.

      Beim dritten englischen Tanz waren wir das zweite Paar. Wie wir die Reihe durchtanzen, und ich, weiss Gott mit wie viel Wonne, an ihrem Arm und Auge hing, das voll vom wahrsten Ausdruck des offensten, reinsten Vergnügens war, kommen wir an

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