Die Romantik. Ricarda Huch

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Die Romantik - Ricarda Huch

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Schlegel nach Aufgang der Sonne gehe, gehe er den gewöhnlichen Weg nach Westen; was einen seltsam berührt, wenn man die Lebenswege der beiden Freunde vergleicht: wie der Schlegel's in den Niederungen hausbackener Sinnlichkeit sich verflachte, während Novalis immer mehr dem morgenrothen Himmel sich zu nähern schien. Schlegel ersehnte immer die äußersten Höhen, aber ein irdischer Hang ließ ihn in bequemer Häuslichkeit sich selbst und seine Schwungkraft verlieren; einfache Thätigkeit im traulichen Familienkreise war immer Novalis Ideal, doch ließ sein Genius es ihn nie erreichen und entrückte ihn den Augen der Menschen, ehe seine leichten Füße jemals fest auf der Erde gehaftet hatten.

      Der erste Gegenstand seines Hanges und seiner Kraft zu verehren war Schiller, dessen Vorlesungen er als Student in Jena besuchte. Was Novalis so mächtig zu Schiller hinzog, war seine sittliche Größe, die Kraft, mit der dieser heroische Mensch den Widerstand des Irdischen überwinden konnte, nicht seine Poesie, für welche Novalis damals noch weniger Interesse und Verständniß hatte. Daß er in Schiller, ohne es zu wissen, sein eigenes Ideal verkörpert sah und liebte, sieht man deutlich aus dem, was er vorzüglich an ihm rühmte: »dieses Weltbürgerherz, das für mehr als Menschheiten schlägt und doch diese idealische Liebe auf reine Seelen um sich überträgt und nicht den einzelnen entgelten läßt, was die Natur minder für sie als fürs ganze Geschlecht that, eben das nicht auf Erden Heimische und doch Zufriedene, nicht Klagende, Heilige, Resignirende;« denn gerade das, auf der Erde nicht heimisch und doch auf ihr glücklich zu sein, bezeichnet, was so ganz sein eigenes Wesen werden sollte.

      Gewiß verdiente Schiller diese Hingebung; aber ebenso wie für ihn nimmt es für den Jüngling selbst ein, wenn er schreibt: »Ihm zu gefallen, ihm zu dienen, nur ein kleines Interesse für mich bei ihm zu erregen, war mein Dichten und Sinnen bei Tag und der letzte Gedanke, mit welchem mein Bewußtsein Abends erlosch. Eine Geliebte hätte ich für ihn weinend aus dem Herzen gerissen, wenn die Vorsehung ein so hartes Opfer verlangt hätte, meinem liebsten Jahre lang gehegten Wunsche am Rande seiner Erfüllung entsagt; denn das Leben ist nicht das stärkste Opfer, was Enthusiasmus und Liebe ihrem angebeteten Gegenstande bringen können, denn wir fühlen nicht seinen Verlust.« Merkwürdig ist das rednerische Pathos in Novalis' Briefen, an und über Schiller, das sonst, seinem Styl durchaus entgegengesetzt, sich nirgends bei ihm findet.

      Mit diesem Bedürfniß, zu verehren, ja sich aufzuopfern hätte er ein ewig sich um andere schwingender Trabant, mit dieser Empfänglichkeit ein Nachahmer und Anempfinder, mit dieser Lust alles, was er so innig fühlen und verstehen konnte, zu genießen ein zerstreuter, vielgeschäftiger, liebenswürdiger aber oberflächlicher Schwärmer werden können. Aber er hatte weit mehr Kraft und Festigkeit als seine Zartheit vermuthen ließ. Wenn er auch aus den Versuchungen des Studentenlebens nicht unberührt hervorging, denn er verstrickte sich leichtsinnig in Schulden, so blieb doch das schöne Gleichgewicht seines Innern ungestört oder stellte sich rasch wieder her. Eine gewisse Keuschheit der Empfindung, von der Friedrich Schlegel sagte, daß sie ihren Grund in seiner Seele nicht in Unerfahrenheit habe, bewahrte ihn vor solchen Ausschreitungen, die zu Zwiespalt, Ekel an der eigenen Natur und kränklichem Ueberdruß führen. Kurz, wie auch der Leichtsinn seiner Jünglingsjahre beschaffen gewesen sein mag, sein elastischer Geist war nicht zu zerdrücken, sondern strebte immer und immer wieder empor, seine Vernunft, wie er selbst sich ausdrückte, erhielt das entschiedene Uebergewicht über Sinnlichkeit und Phantasie. Das entwickelte sich nicht nur so von ungefähr, ohne sein Zuthun, sondern unter der Aufsicht seines Bewußtseins. Er hatte die Tugend der Besonnenheit, jene Klarheit und leichte Gegenwärtigkeit des Geistes, die alle Handlungen wie eine sanfte Musik begleitet und auch die wildesten, mit der ganzen Blindheit des Instinkts einstürmenden durch ihren Rhythmus zähmt und erheitert. Allen andern Romantikern, Schleiermacher etwa ausgenommen, war er durch diese Kraft, sich selbst zu fassen und zu lenken, überlegen; aber Schleiermacher, wenn man ihn überhaupt unter die Romantiker rechnen will, hatte weit weniger Sinnlichkeit und Phantasie zu bändigen. Auch Novalis hatte, wie Tieck und Wackenroder und die Schlegel und unzählige Dichter älterer und neuerer Zeit, die natürliche Abneigung gegen die Trockenheit eines Berufes; aber nicht nur aus Willfährigkeit gegen die Wünsche seines Vaters und Schiller's Ermahnungen, sondern ebenso sehr aus gesundem Sinn, angeborenem Triebe zur Thätigkeit und der Einsicht, welchen Nutzen sein Charakter daraus schöpfen werde, widmete er sich der praktischen Laufbahn eines Bergbaubeamten. Gerade in der Art und Weise, wie er den Stoff, der ihm in den äußeren Lebensumständen, zunächst im Beruf, geboten wurde, benutzte, bewies er, daß der Mensch wirklich jener Magier ist, der sich seine Welt erschafft und Staub durch seine Berührung in Gold verwandeln kann. Es ist keine Kunst, sich, wenn man nur Sinn dafür hat, in schönen Dichtungen zu berauschen; aber in monotoner, direkt nur den Verstand oder praktische Fähigkeiten angehender Beschäftigung das allgemein Interessante und Fördernde herauszufinden, das zeigt inneren Reichthum und unendliche Entwickelungsfähigkeit an. Alles erniedrigt den Menschen, was er gezwungen thut, oder mit Worten von Novalis selbst: »Ein Mensch kann Alles dadurch adeln, seiner würdig machen, daß er es will.« Mit dem Instinkt des Freigeborenen machte er sich alles, was er für nothwendig erkannte, lieb, so daß er aus freier Wahl zu thun schien, ja schließlich that, was anfangs seiner Neigung so fern gelegen hatte. Aus jedem Steine wußte er Feuer zu schlagen. Alles Einzelne wußte er an Allgemeines, alles Irdische an Himmlisches anzuknüpfen.

      In der Regel pflegen phantasiebegabte, künstlerisch veranlagte Menschen eine besondere Abneigung gegen die Mathematik zu haben, so daß sie gern völlige Untauglichkeit für dies Gebiet vorschützen und sogar stolz auf diese angebliche Lücke sind. Von dieser Einseitigkeit war Novalis weit entfernt, der in jeder Einzelwissenschaft den Grundriß zu einer allumfassenden Wissenschaft suchte, in jedem gesetzmäßigen Verlauf ein Gleichniß der Harmonie des Alls sah. Nicht nur, daß er mit Eifer Mathematik studirte, er poetisirte sie wie alles, womit er sich beschäftigte, durchdrang sie mit seiner lebendig warmen Seele; man lese nur seinen Hymnus an die Mathematik, wie man die Folge seiner Betrachtungen darüber nennen kann. Dieser Hymnus beginnt mit den Worten:

      Die Mathematik ist echte Wissenschaft, weil sie gemachte Kenntnisse enthält, Produkte geistiger Selbstthätigkeit, weil sie methodisch genialisirt. Sie ist auch Kunst, weil sie genialisches Verfahren in Regeln gebracht hat, weil sie lehrt Genie zu sein, weil sie die Natur durch Vernunft ersetzt.

      Er steigert sich im Verlaufe so:

      Das Leben der Götter ist Mathematik.

      Alle göttlichen Gesandten müssen Mathematiker sein.

      Reine Mathematik ist Religion.

      Zur Mathematik gelangt man nur durch eine Theophanie.

      Die Mathematiker sind die einzig Glücklichen. Der Mathematiker weiß alles. Er könnte es, wenn er es nicht wüßte.

      Daß er sich den Naturwissenschaften mit einer gewissen Leidenschaft ergab, setzt weniger in Erstaunen, da sie das Lieblingsstudium der Zeit waren, das auch die übrigen Romantiker mit mehr oder weniger Dilettantismus betrieben. Heute wird man den Schwung, womit er hier von Hypothese zu Hypothese stürmte, vielleicht unwissenschaftlich nennen; jedenfalls genügten seine Kenntnisse den Gelehrten seiner Zeit, die seine Lehrer waren, erregten sogar nicht selten ihre Bewunderung. Am meisten ist aber das zu rühmen, daß er sich auch in der Verwaltung, in der praktischen Seite seines Berufes, hervorthat. Wie erstaunte der Kreisamtmann Just, der ihn in die Geschäfte einführen sollte, daß diese Geschäfte unter der ungeübten Hand des jungen Denkers so interessant, so lebendig wurden; daß der Gesichtskreis, innerhalb dessen er lebte, sich so unendlich erweitern ließ. Er gestand sich, daß sein Schüler ihn viel mehr und viel Wichtigeres lehren konnte, als er ihm zu geben im Stande war.

      Er selbst definirte Philosophie als Heimweh, Trieb überall zu Hause zu sein. Als ein solcher Philosoph war Novalis geboren. Sein Hang, die Dinge in der Art zu betrachten, daß er sich von Ursache zu Ursache tastete und sich daran wie an einer Strickleiter in ihre Tiefen herabließ, macht den echten Philosophen. An der Außenseite eines Dinges haften zu bleiben, war ihm durchaus unmöglich; ein ätherischer Körper drängte sein Geist sich überall in das

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