Die Romantik. Ricarda Huch
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Wie die Liebe soll auch die Religion ein freies Geschöpf des Bewußtseins werden, und in Goethe's Bekenntnissen einer schönen Seele findet Schlegel diesen Grundsatz künstlerisch dargestellt. »Daß auch die Religion hier als angeborene Liebhaberei dargestellt wird, die sich durch sich selbst freien Spielraum schafft und stufenweise jede Kunst vollendet, stimmt vollkommen zu dem künstlerischen Genusse des Ganzen und es wird dadurch, wie an dem auffallendsten Beispiele gezeigt, daß er Alles so behandeln oder behandelt wissen möchte.« Daß der ganze Meister eigentlich nicht sowohl die Kunst behandelt als »die Kunst aller Künste, die Kunst zu leben«, hatte Friedrich Schlegel bewiesen und gerühmt. Sittlichkeit definirt Novalis als die Kunst, unter den Motiven zu Handlungen einer sittlichen Idee, einer Kunstidee a priori gemäß zu wählen und die Masse innerer und äußerer Handlungen zu einem idealischen Ganzen zu ordnen. »Nicht nur Mensch werden, ist eine Kunst«, hat er gesagt, sondern dieser unerschrockenste und zugleich feinste der romantischen Denker spricht sogar von einer Kunstlehre der Unsterblichkeit.
Die ersten Romantiker haben denn auch unermüdlich gelernt und das Erlernte denkend zum Besitz ihres Bewußtseins zu machen gesucht, ja sie alle waren zugleich Kritiker der Kunst, die sie ausübten. Niemals glaubten sie, wie die modernen Künstler zu thun pflegen, sie würden die glückliche Kraft der Gesundheit des dunklen Instinktes dadurch wiederfinden, daß sie sich in's Dunkel der Unwissenheit versteckten. Hierin wie überhaupt war Herder ein Vorläufer der Romantik, der die Poesie Kultur zum Schönen nennt, die Bekanntschaft der neuen Poesie mit der Wissenschaft freudig begrüßt, weil sie dadurch an dem Fortschritt und Wachsthum des menschlichen Geistes theilnehmen werde, der zur besonnenen Nachahmung andrer Völker auffordert und als die Muse des bewunderten Briten die Reflexion bezeichnet Es ist bekannt, wie Goethe beinahe pedantisch seine Kenntnisse zu erweitern und Ordnung in dem, was er wußte, zu halten suchte, wie er sogar nach Mustern oder Ideen, ja zuweilen um Exempel zu statuiren, dichtete.
Das aber haben Schiller und viele Andre auch gethan, und zwar gerade solche, deren ärgste Feinde die Romantiker waren. Wenn das Wissen und Bewußtwerden allein den Romantiker machte, wie wäre es möglich, daß sie mit gutem Gewissen den großen Krieg gegen die Aufklärung hätten führen können, daß jeder beim Worte Romantik an den geheimnißvollen lauschigen Wald des Märchens und der Sage denkt, in den sie die Menschen wieder eingeführt haben; daß in ihrem Gefolge der Zauber, die Magie, das Räthsel, die Sehnsucht – alle die verschleierten Gestalten des Unbewußten erscheinen? Das ist eben, was man niemals vergessen darf, daß das Bewußtsein des Romantikers mit dem Gehalte des Unbewußten erfüllt ist; das Thor, das die beiden Reiche trennte, ist nicht mehr geschlossen, sondern nur angelehnt, und langsam strömt das Licht von der einen Seite in die wallende Finsterniß, lösen sich von der andern Seite die dunklen Bildungen im Lichte auf. Baader führt einmal folgende Stelle aus einem alten Schriftsteller an: »Dieweil Studiren und Lernen eine Erweckung ist des, das in mir ist, nämlich, daß ich erkenne und gewahr werde des, das in mir ist und in allen Menschen verborgen liegt, denn das Himmlische und Irdische liegt in mir verborgen. Dannenhero auch die Platonici gesagt: discere esse reminisci.« Mit solchem Sicherinnern und Sichbesinnen war alles Lernen der Romantiker verbunden. Der unbewußte Mensch wird sich seines instinktiven Lebens nur dadurch bewußt, daß es wirkt; in ungestörter Stille reifen seine Gefühle heran, bis sie auf einmal als Handlungen an's Licht treten; sein Denken ist weißes Licht, erst durch das Prisma des Bewußtseins wird es in die Regenbogenfarben zerlegt. Dem bewußten Menschen, der seine Gefühle im Lichte zersetzt, fehlt leider oft die Formel, sie wieder ganz und lebendig zu machen, so daß man sagen kann: Der unbewußte Mensch hat die Gefühle, aber kennt sie nicht, der bewußte kennt sie zwar, aber hat sie nicht, der harmonische Zukunftsmensch hat und kennt sie.
Man kann sich den Verkehr zwischen den beiden Welten etwa so vorstellen, als gäbe es eine Klappe, die die obere von der unteren trennte. Bei dem gemeinen Durchschnittsmenschen öffnet sich diese Klappe niemals von selbst, außer vielleicht im Traume. Es kann auch bei diesen Vieles und Großes sich unterirdisch entwickeln, aber es tritt nicht in's Bewußtsein, sondern setzt sich in Arbeit um. Es sind die einfachen, handelnden Menschen, die Arbeitsthiere, aber auch solche, die im Stande sind, heroische Thaten zu thun. Man könnte diesen den Bauern- oder den Römer-Typus nennen, oder einfach den männlichen. Als Nacht-Menschen könnte man sie bezeichnen, insofern sie unbewußt handeln, als Tag-Menschen, insofern ihr Bewußtsein der äußeren Welt nie durch Nebel aus dem Innern gestört wird; wenn man nicht unter Tag-Menschen diejenigen verstehen will, denen das Unterirdische überhaupt fehlt und die in Folge dessen in diese Betrachtung nicht gehören.
Nun kommen die Menschen, bei denen die Klappe immer offen steht, oder eine Spalte ist darin. Es ist gerade, wie wenn ein Riß in einer Dampfmaschine wäre, die nicht arbeiten kann, weil der Dampf entweicht und keinen Druck mehr ausübt. Denn weil die Triebe, ehe sie sich ansammeln und bilden, in's Bewußtsein eintreten, können sie sich nicht in Handlung umsetzen und nach außen wirken. Dies ist der weibliche oder artistische Typus. Diese Menschen sind nicht groß durch ihre Handlungen, kaum giebt es überhaupt eine Außenwelt für sie, die ganz durch die unentdeckte Innenwelt in Anspruch genommen sind. Vorzüglich Musiker gehören hierher, Dichter, Schauspieler, alle Arten von Künstlernaturen und Talenten, nur nicht die ganz Großen, die das Bleibende schaffen. Auch Schwärmer, Idealisten und Kritiker, die Alles besser wissen, aber Nichts besser machen können, sind unter diesen. Man kann sie auch Uebergangs- oder Dämmerungsmenschen nennen.
Der dritte Haupttypus ist der die beiden früheren vereinigende, der mannweibliche. Diesen Typus trägt das Genie. Hier ist die Verbindung zwischen den beiden Welten durch eine Feder geregelt. Ungestört geht die Entwickelung der Kräfte im Unterirdischen vor sich. Sind sie aber reif, so heben sie die Klappe und betreten das Lichtreich. Sie können sowohl nach außen wie nach innen wirken. Diese Menschen müssen sich nicht selbst zerstören, um sich selbst zu kennen. Sie brauchen nicht deshalb, weil sie wissen, auf das Handeln und Schaffen zu verzichten. Sie können zuweilen mit den Menschen der ersten Klasse verwechselt werden, wie denn das Genie auch oft aus primitiven Kreisen hervorgeht. Sie können einfach, ja unbedeutend erscheinen, und es kann das Ansehen haben, als brächten sie das Große, was sie leisten, nur zufällig hervor.
Für jeden Menschen ist das Sichöffnen der Klappe wenn ich bei dem elementaren Bilde bleiben darf – etwas Erwünschtes, das er herbeizuführen strebt: Rausch im weitesten Sinne, die höchsten Momente des Lebens. Es ist das Auflösen des Festen und Schweren im Menschen, weswegen auch die Berauschten, Begeisterten sich so leicht fühlen, als flögen sie. Man könnte es auch Bewußtwerden oder Romantisiren nennen. Eine alte chemische Regel heißt: corpora non agunt nisi soluta; die Alchymisten gingen deshalb darauf aus, eine Substanz zu finden, die jeden Körper löste: Alkahest nannten sie dies hypothetische Mittel. Auch der Mensch wirkt nur, wenn das Unbewußte in ihm sich löst, so daß er handelt nach außen oder nach innen. Seine Lösungsmittel sind vor allem Jugend, Liebe und Wein – die Griechen nannten Dionysos den Lösenden – kurz Wärme. Die südlichen Völker gebrauchen weniger Wein als die nördlichen, weil die Klappe sich mit Leichtigkeit, fast allzuleicht, von selbst öffnet. Diese