Die Romantik. Ricarda Huch
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Die meisten Romantiker waren weiblicher Art, Dämmerungsmenschen, aber sie strebten nach Harmonie. Selbst oft einseitig, ließen sie doch nie die Einheit und Ganzheit aus den Augen; in ihr Gebet an die Sonne klingt die berühmte Heraufbeschwörung der mondbeglänzten Zaubernacht wie eine harmonische Begleitung einstimmiger Melodie hinein.
Insofern als das wachsende Selbstbewußtsein beständig mit Fragmenten, mit in der Entwicklung unterbrochenen Organismen zu thun hat, bringt es krankhafte, verzerrte Erscheinungen hervor. Die romantische Literatur ist reich daran. Friedrich Schlegel sagt sogar geradezu, Jean Paul stehe so hoch über Sterne, als er krankhafter sei als dieser. Aber ihr Interesse am Krankhaften war nicht etwa blasirter Ueberdruß am Einfachen und Schönen oder überreizte Sucht nach dem noch nie Dagewesenen, sondern die Einsicht in das Wesen des Krankhaften als Symptom der beginnenden Entwicklung, als ein nothwendiges Uebergangsstadium, das mit Freuden begrüßt werden muß, weil es beweist, daß der Kampf, ohne den der Sieg nicht sein kann, nun doch im Gange ist. Ich will einige darauf bezügliche Bemerkungen von Novalis anführen:
»Krankheit gehört zur Individualisirung. Es gilt hier, wie auch bei den menschlichen Gemüthern, gerade das, was in der bildenden Kunst von dem DoryphorDoryphorusm Canon gilt.«
»Krankheiten zeichnen den Menschen vor den Pflanzen und Thieren aus. Zum Leiden ist der Mensch geboren. Alle Krankheiten gleichen der Sünde darin, daß sie Transcendenzen sind. Unsre Krankheiten sind alle Phänomene einer erhöhten Sensation, die in höhere Kraft übergehen will.«
»Je mehr der Mensch seinen Sinn für's Leben künstlerisch ausbildet, desto mehr interessirt ihn auch die Disharmonie – wegen der Auflösung.«
Daß es immer nur »wegen der Auflösung« ist, darf nie vergessen werden. Und wie verschieden die Entwicklung vor sich gehen kann, zeigt das Beispiel der Nationen. Bei den romanischen Völkern bildet sich der Stoff des Geschehens allmälig im Unbewußten und bricht plötzlich in furchtbaren Revolutionen hervor. Bei den germanischen Völkern geht die Entwicklung in kleineren Wellenbewegungen, langsamer, zuweilen verzweifelt langsam, aber sie ist interessanter, reicher und viel umfassender, besonnener. In den Engländern vereinigt sich die Harmonie und Kraft des Unbewußten mit der Fülle, Tiefe und Vielseitigkeit des Bewußten.
Die schönste Verherrlichung der »dunklen Gefühle« muß man bei Wackenroder, dem lieblichsten, dem verträumtesten Romantiker suchen. Seine Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders sind eine schwärmerische Verkündigung des Glaubens, daß Kunst nichts Erlernbares, sondern göttliche Eingebung, Offenbarung sei. Das Buch ist wie eins, das lange, lange Jahre in einer Kirche gelegen hat, ein Psalterium mit goldnen und flammenden Ornamenten zwischen den mystischen Gesängen und durch und durch süß von dem Weihrauch, der es beständig umwölkt hat. Ihn ängstigte das Licht, weil er nie völlig aus dem Schlafe erwacht war: sein ganzes Leben war wie das Aufschrecken eines müden Schläfers, der blinzelnd in's Morgenlicht sieht, aus den umschlingenden Blumenranken seines Traumes sich nicht losreißen kann und sich willig von ihnen in den Schlummer zurücklocken läßt. »Die Weltweisen«, sagt er, »sind aus einem an sich löblichen Eifer für die Wahrheit irre gegangen; sie haben die Geheimnisse des Himmels aufdecken und unter die irdischen Dinge, in irdische Beleuchtung stellen wollen und die dunklen Gefühle von denselben, mit kühner Verfechtung ihres Rechtes, aus ihrer Brust verstoßen. Vermag der schwache Mensch die Geheimnisse des Himmels aufzuhellen? Glaubt er verwegen an's Licht ziehen zu können, was Gott mit seiner Hand bedeckte? Darf er wohl die dunkeln Gefühle, welche wie verhüllte Engel zu uns herniedersteigen, hochmüthig von sich weisen? Ich ehre sie in tiefer Demuth; denn es ist große Gnade von Gott, daß er uns diese echten Zeugen der Wahrheit herabgesendet. Ich falte die Hände und bete an.« Weil er mit Worten, der Sprache des Bewußtseins, die dunklen Gefühle nicht offenbaren kann, die so überwältigend aus dem Grunde seines Innern ihn überströmen, flüchtet er zur Musik. Sie könnte ihn aus seiner Bedrängniß erlösen. Der ganze Strom von Schmerz und Wonne, der sich aus den Tönen über das widerstandslose, behende Herz ergießt, rauscht unterirdisch unter seiner Sprache.
»Und so erkühne ich mich denn, aus meinem Innersten den wahren Sinn der Tonkunst auszusprechen und sage: Wenn alle die inneren Schwingungen unsrer Herzensfibern – die zitternden der Freude, die stürmischen des Entzückens, die hochklopfenden Pulse verzehrender Anbetung –, wenn alle die Sprache der Worte, als das Grab der inneren Herzenswuth, mit einem Ausruf zersprengen: dann gehen sie unter fremdem Himmel, in den Schwingungen holdseliger Harfensaiten. wie in einem jenseitigen Leben in verklärter Schönheit hervor und feiern als Engelgestalten ihre Auferstehung.«
Unermüdlich tönt seine wohllautende Klage über die kalten Vernünftler, die das »stumme Singen, den vermummten Tanz der unsichtbaren Geister in ihrem Innern« an das Licht zerren wollen; die sich nicht begnügen, den verdeckten Strom in der Tiefe ihres Gemüths von ferne rauschen zu hören. Unermüdlich lobt seine melodische Zunge die göttliche Kraft der Musik, die uns das unendliche Lied, das wir da unten gehört haben, aus bezauberten Saiten schöner wieder vorsingt, bis zuletzt seine Worte in Thränen sich auflösen. »Aber was streb' ich Thörichter, die Worte zu Tönen zu zerschmelzen? Es ist immer nicht, wie ich's fühle. Kommt, ihr Töne, ziehet daher und errettet mich aus diesem schmerzlichen irdischen Streben nach Worten, wickelt mich ein mit euren tausendfachen Strahlen in eure glänzenden Wolken und hebt mich hinaus in die alte Umarmung des allliebenden Himmels!«
Wie ein keimendes Pflänzchen, das unter der winterlichen Blätterhülle allzulange der Sonne entzogen war und niemals frisch und kräftig werden kann, sehnt er sich immer in den dunkeln Schoß der Erde. Aber dennoch, und ohne diesen Zug wäre er kein echter Romantiker, graut es ihm zuweilen vor der »frevelhaften Unschuld, der furchtbaren, orakelmäßig-zweideutigen Dunkelheit« der Musik. Nachdem er eine Symphonie in Worten an sich vorübergezaubert hat, schließt er so: »Dann, wenn ich in finsterer Stille noch lange horchend dasitze, dann ist mir, als hätt' ich ein Traumgesicht gehabt von allen mannigfaltigen menschlichen Affekten, wie sie, gestaltlos, zu eigener Lust, einen seltsamen, ja fast wahnsinnigen pantomimischen Tanz zusammen feiern, wie sie mit einer furchtbaren Willkür, gleich den unbekannten, räthselhaften Zaubergöttinnen des Schicksals, frech und frevelhaft durch einander tanzen.«
Es ist die leise Gewissensangst des Träumers, der die heilige Erlöserkraft des Lichtes ahnt und es doch flieht. Vorwitzig hat er das Thor zum Hades seines Innern aufgerissen, und nun schweben die bleichen Schatten ihm nach, umdrängen ihn und verlangen Leben. Hätte er sie in das Lichtreich seines Bewußtseins geführt, so wären sie entweder, wie man aus vielen Märchen weiß, augenblicklich zerflattert oder in Asche zerfallen, oder aber der mächtige Strahl hätte ihre Leiber verklärt in Kunst. Nun aber, da sie zurück nicht können, werden sie in ihrer Todesnoth zu Vampyren und saugen ihm bis auf den letzten, zitternden Tropfen das junge Blut aus.
Es ist der Irrthum der meisten modernen Künstler, daß sie, weil sie ihr Bewußtsein mit den Gestalten der Unterwelt zu bevölkern begonnen haben, nun aus der Oberwelt ein Reich der Finsterniß zu machen suchen, während sie grade des Lichtes am meisten bedürfen. Ihre Unterwelt entvölkert sich, ein Schaffen im Unbewußten ist für sie unmöglich geworden, aber sie könnten dasselbe im Bewußtsein erreichen; denn, sagt Novalis, der vollkommen Besonnene heißt der Seher. Es ist wahr, daß sie zunächst durch die Aushöhlung des unterirdischen Reiches schwankend und unkräftig werden, aber durch Verbreitung künstlicher Dunkelheit können sie es nicht wieder ausfüllen. Tieck war von dieser Schwäche, auch dem Bewußten