Die Romantik. Ricarda Huch

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Die Romantik - Ricarda Huch

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Böhmer, der auf Seiten Frankreichs war und eine zweideutige Rolle gespielt hatte, wurde für ihren Mann gehalten. Sie konnte nichts thun, als stolz und entrüstet ihre Unschuld betheuern, aber sie that es mit dem Gefühl, daß der Schein gegen sie war. Denn, wie falsch auch die Anklagen waren, die gegen sie vorgebracht wurden, etwas Verhängnißvolles war geschehen: sie erwartete Mutter eines Kindes zu werden, ohne mit dem Vater desselben rechtlich verbunden zu sein, ja, was erst das eigentliche Unglück ausmachte, ohne sich ihm innerlich verbunden zu fühlen.

      Man hätte nichts gewonnen, wenn man mit Sicherheit ermitteln könnte, wer der Mann war, dem sich die Einsame so unbesonnen und freudlos hingegeben hatte. Daß sie, die Anschmiegsame, von einem Manne, der sie zu fesseln wußte, hingerissen werden konnte und um seinetwillen Vernunft und Vorsicht hintangesetzt, ist weniger überraschend, als daß Leidenschaftlichkeit ihre hellen Augen so umflorte, daß sie die Unwürdigkeit des Liebhabers nicht erkannte oder übersah; und vielleicht hätte es doch nicht geschehen können, wenn nicht vorher die Pein, einen Mann zu lieben, der sie niemals ganz an sich zog und doch auch niemals entschieden von sich stieß, sie überreizt und im Herzen krank gemacht hätte.

      Da sie nun aber allein in die entsetzlichsten Verhältnisse hinausgestoßen war, fand sie ihre ganze Ueberlegenheit, Seelengröße und Hoheit wieder. Das war es gerade, was ihrer Schwachheit das Verächtliche nahm, daß sie bei aller Weichheit die edle männliche Eigenschaft besaß, nach einem Sturze unverletzt aufstehen und ebenso stark und sicher wie vorher ihres Weges weitergehen zu können. Daß sie Liebe gegeben hatte, für etwas, das sie für Liebe genommen hatte und das es auch wohl gewesen war, wenn auch von Seiten eines Schwächlings, war ihr vor sich selbst nichts, dessen sie sich geschämt hätte. Was in ihr vorging, war ihrem klaren Bewußtsein immer ganz übersichtlich und durchsichtig, das verlieh ihr das Unschuldsgefühl derer, die durch keine Lüge in sich befleckt sind, und Festigkeit in schwankender Lebenslage, während Andre oft selbst dann schwanken, wenn der Boden unter ihnen fest ist. Wie sie immer zu thun pflegte, erkannte sie Alles, was geschehen war und was sie gethan hatte, in seiner Folgerichtigkeit und ertrug das Nothwendige, ohne ein außer ihr befindliches Schicksal anzuklagen. Ihr Muth und ihre Kraft wuchsen mit der Gefahr. Man weiß nicht, wie sie es aufnahm, daß der Mann, der so lange der Stern gewesen war, auf den sie gehofft hatte und dem seine Stellung es am ersten ermöglicht hätte, ihr zu nützen, sich zurückzog, wie es den Anschein hat aus feiger Vorsicht, um sich nicht durch Beziehungen zu der verfolgten, politisch anrüchigen Frau bloßzustellen; möglich ist es, daß sie schon vorher mit diesem Traume abgeschlossen hatte. Etwas Bitteres muß es für sie gehabt haben, daß derjenige, der sich am unermüdlichsten ihrer annahm, Wilhelm Schlegel war, den sie in glücklichen Tagen so übermüthig verworfen hatte. Korrekt, wie er im Empfinden und Handeln zu sein pflegte, ritterlich und verliebt, sprang er ohne Bedenken für sie in die Schranken. Nachdem durch das Zusammenwirken mehrerer Freunde und namentlich ihres jüngeren Bruders ihre Befreiung erzielt war, übernahm er es, was fast noch schwieriger war, für ihre fernere Sicherheit zu sorgen. In völliger Abgeschiedenheit, in der Nähe von Leipzig, erwartete sie die Entbindung von ihrem vaterlosen Kinde. Hier lernte Friedrich Schlegel sie kennen, der sie gewissermaßen als Bevollmächtigter und an Stelle seines Bruders besuchte, der einzige Gast, der ihre Einsamkeit unterbrach. Friedrich kannte Karoline schon aus ihren Briefen an Wilhelm, und seine reflektirende Phantasie hatte sich so gut mit ihr beschäftigt, daß er schon ihr Bewunderer war, als er zum ersten Mal vor sie hintrat Nun aber überwältigte ihn ihre Persönlichkeit vollständig; er vermochte nichts Einzelnes mehr zu tadeln, er empfand sie selbst als Ganzes und wurde ganz von ihr ergriffen.

      Welchen Eindruck mußte sie aber auch gerade damals machen: in einer so peinlichen Lage doch voll natürlicher Würde, ohne ängstliche Gedrücktheit, bei beständigen körperlichen Leiden doch stets munter, zu Scherz und geistigen Genuß geneigt, auch den Ernst und lebhaftesten Schmerz durch Humor oder kluge Betrachtung mäßigend. Ebenso lieblich wie im Glück, so groß und rührend war sie im Unglück.

      Wie ein Wunder erscheint es an dem selbstbewußtem Jüngling, daß er ihren Verstand als dem seinigen überlegen achtete, dazu aber, sagte er, habe sie das, was ihm fehle, nämlich die Seele der Seele: Liebe. Immer und immer wieder, Jahre später, als Bitterkeit, Eifersucht und Mißverständnisse das ursprünglich so reine und schöne Verhältniß getrübt hatten, rühmte er an ihr das Talent zur Liebe, mit dem sie jede Entfremdung überbrücken könne – wenn sie wolle. In der Lucinde hat er die Frau, »die einzig war und die seinen Geist zum ersten Male ganz und in der Mitte traf«, folgendermaßen geschildert:

      »Ueberhaupt lag in ihrem Wesen jede Hoheit und jede Zierlichkeit, die der weiblichen Natur eigen sein kann, jede Gottähnlichkeit und jede Unart, aber Alles war fein, gebildet und weiblich. Frei und kräftig entwickelte und äußerte sich jede einzelne Eigenheit, als sei sie nur für sich allein da, und dennoch war die reiche, kühne Mischung so ungleicher Dinge im Ganzen nicht verworren, denn ein Geist beseelte es, ein lebendiger Hauch von Harmonie und Liebe. Sie konnte in derselben Stunde irgend eine komische Albernheit mit dem Muthwillen und der Feinheit einer gebildeten Schauspielerin nachahmen und ein erhabenes Gedicht vorlesen mit der hinreißenden Würde eines kunstlosen Gesanges. Bald wollte sie in Gesellschaft glänzen und tändeln, bald war sie ganz Begeisterung und bald half sie mit Rath und That, ernst, bescheiden und freundlich wie eine zärtliche Mutter. Eine geringe Begebenheit war durch ihre Art, sie zu erzählen, so reizend, wie ein schönes Märchen. Alles umgab sie mit Gefühl und Witz, sie hatte Sinn für Alles, und Alles kam veredelt aus ihrer bildenden Hand und von ihren süß redenden Lippen. Nichts Gutes und Großes war zu heilig oder zu allgemein für ihre leidenschaftlichste Theilnahme. Sie vernahm jede Andeutung und sie erwiderte auch die Frage, die nicht gesagt war. Es war nicht möglich, Reden mit ihr zu halten; es wurden von selbst Gespräche, und während dem steigenden Interesse spielte auf ihrem feinen Gesichte eine immer neue Musik von geistvollen Blicken und lieblichen Mienen.« Zum Schlusse aber hebt er hervor, daß diese Frau voll zarter Poesie, bei jeder großen Gelegenheit Kraft und Muth zum Erstaunen gezeigt habe.

      Es ist beklagenswerth, daß auf die höchste Entfaltung der menschlichen Geisteskräfte mit Nothwendigkeit eine Erschlaffung folgen muß, wie denn auch Karoline, nachdem sie eben als Ueberwinderin ihrer Schwäche und der Noth der Welt triumphirt hatte, gerade diejenige Handlung beging, um deretwillen man ihr am ehesten ernstlich zürnen möchte: daß sie nämlich die Ehe mit Wilhelm Schlegel einging. Denn abgesehen davon, daß sie in späterer Zeit selbst erklärte, ihn weniger aus Liebe geheirathet zu haben, als auf den Wunsch ihrer Mutter hin und um sich und ihrem Kinde eine gesicherte Lebensstellung zu geben, wie könnte man glauben, daß sie den Mann wirklich liebe, von dem sie sechs Jahre vorher gesagt hatte; »Schlegel und ich! ich lache, indem ich es schreibe! Nein, das ist sicher – aus uns wird nichts!« Ja, selbst wenn man betonen wollte, welche Veränderungen sechs Jahre im Menschen hervorbringen können, wieviel die Zeit hier wirklich verändert hatte; daß die Ehe so bald sich wieder auflöste, beweist doch, daß eine innere Zusammengehörigkeit sich nicht ausgebildet hatte. Sich aber halb aus spielender Verliebtheit, halb aus Bequemlichkeit in Liebe hineinzulügen, ist doppelt sündhaft für eine Frau, die sich das Recht nimmt, dem Instinkte ihres Herzens, wie wenn es eine heilige, unbestechliche Stimme wäre, sich anzuvertrauen, was auch das Urtheil der Welt dagegen sagen möge. Im Geheimsten war sie sich dieses Unrechts auch wohl bewußt, denn alle ihre Aeußerungen über ihre Verlobung den Freunden gegenüber scheint ein Gefühl von Verlegenheit zu lähmen.

      Was Alles andrerseits ihren Schritt entschuldigen und erklären kann, ist so selbstverständlich, daß ich es nur flüchtig anzudeuten brauche. Sie hatte Ursache, Wilhelm dankbar zu sein, der sich so umsichtig, so thatkräftig, so selbstlos ihrer angenommen hatte, und Dankbarkeit macht das Herz für Liebe empfänglich Die Lage war so, daß sie die Bedrängte und Hülflose, er der Beschützer war, was ihm ein Ansehen von größerer Männlichkeit und Ueberlegenheit verlieh, als er in Wirklichkeit besaß. Dazu kam noch Eifersucht auf die holländische Sophie, deren Liebe Wilhelm über Karoline's Härte getröstet hatte, welches Gefühl er nicht ohne kokette Sprödigkeit, vielleicht auch seinerseits aus Eifersucht auf den Vater des neugeborenen Kindes reizte. Man braucht nicht zu bezweifeln, daß sie in den »anmuthigen Freund«, der so jung, hübsch und unternehmend war, sich verliebt habe;

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