Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola

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das Gerücht, daß sie verrückt sei wie ihr Vater. Seit sechs Monaten kaum stand sie allein im Leben als Besitzerin eines Vermögens, das eine sehr begehrenswerte Erbin aus ihr machte, als man erfuhr, daß sie sich mit einem Gärtnergehilfen namens Rougon verheiratet habe, einem ziemlich plumpen Bauer, der aus dem Lande der Niederalpen eingewandert war. Nach dem Tode des letzten Fouque, der ihn auf einen Sommer gedungen hatte, war dieser Rougon im Dienst der Tochter des Verstorbenen geblieben. Aus einem Lohndiener ward er plötzlich der beneidete Gatte. Diese Heirat war die erste Tatsache, die die öffentliche Meinung in Staunen versetzte; niemand konnte begreifen, weshalb Adelaide diesen armen Teufel, diesen ungeleckten, schwerfälligen Bauer, der kaum der Landessprache kundig war, sovielen jungen Burschen vorzog, Söhnen von wohlhabenden Landwirten, die sich lange Zeit um sie beworben hatten. Und da in der Provinz nichts unaufgeklärt bleiben darf, wollte man hinter dieser Geschichte durchaus irgendein Geheimnis wittern; man behauptete sogar, diese Heirat sei zwischen den beiden jungen Leuten eine unabweisliche Notwendigkeit geworden. Allein die Tatsachen widerlegten all diesen Klatsch. Adelaide gebar erst nach einem Jahre einen Sohn. Darüber war nun die Vorstadt empört; sie konnte nicht zugeben, daß sie sich geirrt habe; sie verlegte sich darauf, das angebliche Geheimnis zu ergründen. Darum machten sich alle Klatschbasen auf, um die Rougons auszuspähen. Sie sollten denn auch bald reichlichen Stoff zu schwatzen finden. Eines Tages nach fünfzehnmonatiger Ehe starb Rougon plötzlich. Ein Sonnenstich, den er sich bei der Arbeit auf einem Möhrenfelde holte, hatte seinem Leben ein jähes Ende gemacht. Seither war kaum ein Jahr verflossen, als die junge Witwe ein unerhörtes Ärgernis hervorrief. An gewissen Anzeichen merkte man, daß sie einen Geliebten habe. Sie schien daraus kein Hehl zu machen; mehrere Leute behaupteten gehört zu haben, wie sie den Nachfolger des armen Rougon öffentlich duzte. Kaum ein Jahr Witwe und schon einen Geliebten! Eine solche Mißachtung aller Rücksichten der Schicklichkeit schien ungeheuer, wider alle gesunde Vernunft.

       Was den Skandal noch ärger machte, war die seltsame Wahl, die Adelaide getroffen. In der Saint-Mittre-Sackgasse, in einer Hütte, deren Rückseite sich an das Grundstück der Fouque lehnte, hauste damals ein übel beleumundeter Mensch, den man gemeinhin den » Lumpen Macquart« nannte. Dieser Mensch blieb manchmal wochenlang verschwunden; dann sah man ihn wieder eines Abends plötzlich auftauchen und mit den Händen in den Hosentaschen müßig herumschlendern. Er pfiff sich ein Liedchen und tat, als komme er gerade von einem kleinen Spaziergang heim. Die Weiber, die vor ihren Haustüren saßen, sagten dann wohl: »Da geht der Lump Macquart vorüber! Er wird seine Schmugglerwaren und seine Flinte irgendwo in einer Schlucht des Viornetales versteckt haben.« Soviel war sicher, daß Macquart, ohne Renten zu besitzen, während seines Aufenthaltes in der Stadt aß und trank und nichts arbeitete. Hauptsächlich aber trank er mit wilder Ausdauer. Er saß Abend für Abend allein an einem Tische, im Hintergrunde der Schenkstube, die Augen starr auf sein Glas gerichtet, sah nichts und hörte nichts und vergaß die ganze Welt. Wenn die Kneipe endlich geschlossen ward, ging er seines Weges, festen Schrittes, hoch erhobenen Hauptes, als ob die Trunkenheit ihn aufrichte. »Macquart geht gerade, er ist betrunken« – sagten die Leute, wenn sie ihn so heimkehren sahen. Gewöhnlich, wenn er nicht getrunken hatte, ging er leicht gebeugt, den Blicken der Neugierigen ausweichend, mit einer Art wilder Scheu. Seitdem sein Vater tot war, ein Gerbergehilfe, von dem er eine elende Hütte in der Saint-Mittre-Sackgasse geerbt hatte, kannte man weder Bekannte noch Freunde von ihm. Die Nähe der Grenze und die Nachbarschaft der Wälder des Seillegebirges hatten aus diesem trägen und sonderlich gearteten Menschen einen Schmuggler und Wilddieb gemacht, eines jener Wesen mit verdächtigem Gesichte, von denen man zu sagen pflegt: »Dem möchte ich nicht zur Nachtzeit in einem Walde begegnen.« Macquart war groß, mit magerem Gesichte, furchtbar behaart, ein Schrecken aller Weiber der Vorstadt; sie beschuldigten ihn, kleine Kinder bei lebendigem Leibe zu fressen. Obgleich er kaum dreißig Jahre alt war, schien er fünfzig zu zählen. Unter dem Gestrüpp seines Bartes und den Strähnen seines Haupthaares, die ihm auf das Gesicht herabfielen, sah man nichts als das Leuchten seiner braunen Augen, den verstohlenen, trüben Blick eines Menschen mit unsteten Trieben, den Wein, Elend und Müßiggang schlecht gemacht haben. Obgleich man ihn keines bestimmten Verbrechens zeihen konnte, geschah doch kein Diebstahl und kein Mord in der Gegend, ohne daß man sogleich Macquart verdächtigt hätte. Und dieses Ungeheuer, diesen Landstreicher, diesen Missetäter hatte Adelaide gewählt! Binnen zwanzig Monaten gebar sie ihm zwei Kinder, einen Knaben und dann ein Mädchen. Von einer Heirat war zwischen ihnen niemals die Rede gewesen. Noch niemals hatte man in der Vorstadt eine solche Frechheit in der Sittenlosigkeit gesehen. Die Verwunderung war so groß; der Gedanke, daß Macquart eine junge und reiche Geliebte finden konnte, hatte dermaßen allen Glauben der Frauen erschüttert, daß sie für Adelaide fast mild gestimmt wurden. »Die Ärmste ist ganz toll geworden!« sagten sie; »wenn eine Familie da wäre, hätte man sie längst ins Narrenhaus gebracht.« Und da die Geschichte dieser seltsamen Liebschaft stets unbekannt blieb, beschuldigte man »diesen Halunken Macquart«, daß er den Schwachsinn der armen Adelaide mißbraucht habe, um ihr Vermögen an sich zu bringen.

      Der gesetzliche Sohn, der kleine Peter Rougon, wuchs mit den außerehelichen Kindern seiner Mutter zusammen auf. Diese hießen Anton und Ursula. Die Mutter behielt sie – die »Wolfsjungen« wie man sie im Stadtviertel nannte – bei sich, ohne sie besser oder schlechter zu behandeln als ihr eheliches Kind. Sie schien keine klare Vorstellung von der Lage zu haben, die diesen beiden armen Geschöpfen im Leben bereitet war. Sie galten ihr einfach als ihre Kinder geradeso wie ihr Erstgeborener. Oft führte sie Peter an der einen, Anton an der anderen Hand, ohne die sehr verschiedene Art zu bemerken, wie man die beiden Kinder betrachtete.

      Es war überhaupt ein sonderbares Haus. Schier zwanzig Jahre lebten daselbst Mutter und Kinder nach ihrem Belieben dahin. Alles gedieh da in voller Ungebundenheit. Als sie Frau geworden, blieb sie das große, seltsame Kind, das mit fünfzehn Jahren noch für eine Wilde gegolten hatte. Nicht als ob sie verrückt gewesen wäre, wie die Leute der Vorstadt behaupteten; aber es gab bei ihr einen Mangel an Gleichgewicht zwischen Blut und Nerven, eine Art Zerrüttung des Gehirns und des Herzens, infolge deren sie ein anderes Leben führte als alle Welt. Sich selbst gegenüber war sie sehr natürlich, sehr folgerichtig; aber diese Folgerichtigkeit war in den Augen der Nachbarn die reine Verrücktheit. Wenn sie mit unbegreiflicher Einfalt sich dem bloßen Ansturm ihres Gefühlslebens überließ, hatte es den Anschein, als wolle sie von sich reden machen und als strebe sie dahin, daß bei ihr alles schlimm und schlimmer werde.

      Seit ihrer ersten Entbindung war sie Nervenanfällen ausgesetzt, die sie in fürchterliche Zuckungen und Krämpfe versetzten. Diese Anfälle kehrten alle zwei bis drei Monate wieder. Die Ärzte, die zu Rate gezogen wurden, sagten, es lasse sich nichts dawider tun; das Alter werde diese Anfälle mildern. Sie solle halbgares Fleisch essen und Fieberrindenwein trinken. Die häufigen Anfälle zerrütteten ihren Körperbau vollends. Sie lebte Tag für Tag dahin wie ein Kind oder wie ein zahmes Tier, das seinen Trieben folgt. Wenn Macquart auf Schmuggel auszog, brachte sie ihre Tage in müßigem Brüten zu und beschäftigte sich mit ihren Kindern nur insoweit, daß sie sie herzte und mit ihnen spielte. Wenn ihr Liebhaber wiederkam, verschwand sie aus dem Hause.

      Hinter der Keusche des Macquart lag ein kleiner Hof, den eine Mauer von dem Grundstück der Fouque trennte. Eines Morgens sahen die Bewohner der Vorstadt zu ihrer nicht geringen Überraschung, daß in diese Mauer eine Türe gebrochen war, die am vorhergehenden Abend noch niemand gesehen hatte. Binnen einer Stunde war die ganze Vorstadt in Aufruhr. Das Liebespaar, hieß es, muß die ganze Nacht daran gearbeitet haben, die Bresche in die Mauer zu legen und eine Tür daselbst anzubringen. Jetzt konnten sie einander ganz frei und ungehindert besuchen. Und das Ärgernis begann von neuem. Man war jetzt gegen Adelaide minder nachsichtig; sie war zur Schmach der Vorstadt geworden; diese Türe, dieses ruhige, freche Eingeständnis ihres Zusammenlebens ward ihr heftiger vorgeworfen als ihre zwei Kinder. »Man muß doch wenigstens den Schein zu wahren suchen« – sagten die nachsichtigsten Frauen. Allein Adelaide wußte nicht, was das heißt: »den Schein wahren.« Sie war sehr glücklich und sehr stolz auf ihre Türe. Sie hatte Macquart geholfen, die Steine aus der Mauer reißen; sie hatte sogar Mörtel bereitet, damit die Arbeit schneller getan sei. Sie erschien denn auch am andern Morgen mit einer kindlichen Freude, um ihr Werk am hellen Tage zu besichtigen. Das war schon der Gipfel der Schamlosigkeit, fanden

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