Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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haben würden. Vornehmlich beschäftigte sie das Schicksal ihres Vaters. Sie erinnerte sich aller schlimmen Worte Justins und nahm schließlich die Mordbeschuldigung als wahr hin, indem sie sich sagte, ihr Vater habe recht gehandelt, den Gendarm zu töten, der ihn töten wollte. Sie kannte die wahre Begebenheit aus dem Munde eines Erdarbeiters, der im Jas-Meiffren gearbeitet hatte. Seit jenem Augenblicke wandte sie nicht einmal den Kopf mehr um, wenn bei einem ihrer seltenen Ausgänge ein Gassenjunge in der Vorstadt ihr nachschrie:

      Seht da, die Chantegreil!

      Mit zusammengekniffenen Lippen und wütenden Blicken beschleunigte sie dann ihre Schritte. Wenn sie heimgekehrt das Torgitter hinter sich geschlossen hatte, warf sie einen einzigen und langen Blick auf die Bande der Gassenjungen. Sie wäre schlecht geworden, sie wäre zur grausamen Wildheit der Parias herabgesunken, wenn nicht zuweilen ihre ganze Kindheit in ihr Herz wieder eingekehrt wäre. Ihre elf Jahre warfen sie in kindliche Schwächen zurück, die sie trösteten. Dann weinte sie; sie schämte sich ihrer selbst und ihres Vaters. Sie verbarg sich in einem Stalle, wo sie nach Herzenslust weinen konnte, weil sie begriff, daß sie noch mehr gequält würde, wenn man sie weinen sähe. Und wenn sie genug geweint hatte, wusch sie sich in der Küche die Augen aus und nahm wieder ihre ruhige, stille Miene an. Nicht bloß ihr Interesse war es, was sie antrieb, sich zu verbergen; sie trieb den Stolz ihrer frühreifen Kräfte so weit, daß sie nicht mehr ein Kind scheinen wollte. Wenn dies so fortging, drohte mit der Zeit ihr ganzes Wesen zu verbittern. Glücklicherweise ward sie gerettet, weil sie die Zärtlichkeit ihrer liebevollen Natur wiederfand.

       Im Hofe des Hauses, das Tante Dide und Silvère bewohnten, stand ein Brunnen, der auch von den Bewohnern des Jas-Meiffren benutzt wurde. Die Mauer teilte ihn. Ehe der Krautgarten der Fouque mit der großen Nachbarbesitzung vereinigt wurde, benützten die Gärtner täglich diesen Brunnen. Seitdem der Grund aber verkauft war, kamen die Leute nur selten mehr hierher, weil sie im Jas-Meiffren große Wasserbassins hatten und weil der Brunnen von den gemeinsamen Wohnungen auch zu weit entfernt lag. Jenseits der Mauer jedoch hörte man jeden Morgen den Brunnenschwengel kreischen; Silvère schöpfte für Tante Dide das im Hauhalte notwendige Wasser.

      Eines Tages brach der Brunnenschwengel. Der junge Stellmacher zimmerte aus Eichenholz einen neuen und hängte ihn am Abend ein, als er von seinem Tagewerk heimgekehrt war. Zu diesem Behufe mußte er auf die Mauer steigen. Als er die Arbeit getan hatte, blieb er rittlings auf der Mauer sitzen, um auszuruhen, und betrachtete neugierig die weite Ausdehnung des Jas-Meiffren. Endlich blieben seine Blicke auf einer Bäuerin haften, die wenige Schritte von ihm entfernt Unkraut jätete. Man war im Juli und die Luft war schwül, obgleich die Sonne schon zur Rüste ging. Die Bäuerin hatte ihre Jacke abgelegt. Im weißen Mieder, mit einem buntfarbigen Tuche um die Schultern, die Hemdärmel bis zu den Ellenbogen aufgestreift, hockte sie in den Falten ihres Rockes von blauem Wollstoff, der von zwei rückwärts gekreuzten Schulterbändern festgehalten ward. Sie bewegte sich auf den Knien fort und jätete fleißig das Unkraut aus, das sie in einem Korb warf. Der junge Mensch sah nur ihre entblößten, von der Sonne gebräunten Arme, die bald rechts, bald links sich ausstreckten, um einen vergessenen Grashalm zu pflücken. Mit Wohlgefallen folgte er diesen hastigen Handbewegungen der Bäuerin, und es bereitete ihm ein Vergnügen, diese Arme so fest und so flink zu sehen. Sie hatte sich leicht aufgerichtet, als sie ihn nicht mehr arbeiten hörte, und hatte gleich wieder das Haupt gesenkt, noch ehe er ihre Züge hatte unterscheiden können. Diese scheue Bewegung fesselte seine Aufmerksamkeit. Er fragte sich, wer dieses Frauenzimmer sein könne und pfiff ein Liedchen vor sich hin, wobei er mit seinem Schnitzmesser den Takt schlug. Da entfiel ihm plötzlich das Schnitzmesser. Das Werkzeug fiel auf der Seite des Jas-Meiffren nieder, auf den Brunnenkranz und von da zu Boden. Silvère neigte sich hinab, um mit den Augen das Messer zu suchen, zögerte aber hinabzusteigen. Doch es schien, als beobachte die junge Bäuerin ihn von der Seite, denn sie erhob sich wortlos, nahm das Schnitzmesser und reichte es Silvère. Dieser konnte jetzt sehen, daß die Bäuerin noch ein Kind war. Er war überrascht und ein wenig eingeschüchtert. Im roten Lichte der Abendsonne erhob sich das Mädchen zu ihm. Die Mauer war an dieser Stelle niedrig, aber noch immer zu hoch für sie. Silvère beugte sich nieder, das Kind stellte sich auf die Fußspitzen. Sie sprachen nichts, sahen einander nur mit verlegenem Lächeln an. Der junge Mensch wünschte im stillen, das Kind möchte länger in dieser Stellung verbleiben. Sie erhob ein schönes Haupt zu ihm mit großen Augen und einem frischen Munde und alles dies setzte ihn in Erstaunen und bewegte ihn ganz seltsam. Noch niemals hatte er ein Mädchen in solcher Nähe gesehen; er wußte nicht, daß ein Mund und zwei Augen so lieblich zum Anschauen sein könnten. Alles schien ihm einen unbekannten Reiz zu haben, das bunte Tuch, das weiße Mieder, der Rock von blauem Wollstoff, von Achselbändern festgehalten, die bei der Bewegung der Schultern sich spannten. Sein Blick glitt den Arm entlang, der ihm das Schnitzmesser reichte. Bis zum Ellenbogen war der Arm wie mit goldbrauner Farbe belegt; aber weiter hinauf, im Schatten des aufgestreiften Hemdärmels, bemerkte Silvère eine nackte Rundung, so weiß wie Milch. Er ward verwirrt, neigte sich noch weiter hinab und griff endlich nach dem Schnitzmesser. Jetzt ward auch das Bauernmädchen verlegen. So verblieben sie, immer lächelnd, das Kind unten, das Antlitz aufwärts gekehrt, der junge Mensch halb sitzend, halb auf dem Mauerkamm hegend. Sie wußten nicht, wie sie sich trennen sollten. Sie hatten noch kein Wort gewechselt. Silvère hatte sogar vergessen zu danken.

      Wie heißt du? fragte er endlich.

      Marie, erwiderte das Bauernmädchen; aber alle Welt nennt mich Miette.

      Sie erhob sich ein wenig und fragte mit heller Stimme:

      Und du?

      Ich heiße Silvère, erwiderte der junge Arbeiter.

      Es entstand ein kurzes Stillschweigen, als wollten sie an dem Wohlklang ihrer Namen sich ergötzen.

      Ich bin fünfzehn Jahre alt, begann Silvère endlich wieder. Und du?

      Ich werde zu Allerheiligen elf Jahre alt, erwiderte Miette.

      Der junge Arbeiter machte eine Bewegung der Überraschung.

      Ach, das ist nicht übel! sagte er dann lachend. Ich hatte dich für ein Weib gehalten! Du hast ja dicke Arme!...

      Nun lachte auch sie, indem sie ihre Arme betrachtete. Dann sprachen sie gar nichts mehr. Sie schauten einander noch eine Weile lächelnd an und da Silvère ihr nichts mehr zu sagen zu haben schien, ging Miette einfach weiter und machte sich wieder an das Unkraut jäten, ohne aufzuschauen. Silvère blieb noch einen Augenblick auf der Mauer. Die Sonne ging zur Neige, ein breites Feld von schrägen Strahlen ergoß sich über die gelben Beete des Jas-Meiffren; das Gartenland lag in einem feurigen Lichte da; man war versucht zu glauben, daß ein Brand sich am Boden hinwälze. Silvère betrachtete die inmitten dieses lodernden Feldes hockende kleine Bäuerin, deren nackte Arme ihr hurtiges Werk wieder aufgenommen hatten; ihr Rock von blauem Wollstoffe nahm eine weiße Färbung an und Streiflichter glitten über ihre gebräunten Arme hin. Schließlich fühlte Silvère eine Art Scham darüber, daß er noch immer da sitze, und stieg von der Mauer herunter.

      Silvère, der sein Abenteuer nicht vergessen konnte, befragte am Abend die Tante Dide. Vielleicht würde sie Bescheid wissen über diese Miette, die so schwarze Augen und frische Lippen hatte. Allein, Tante Dide hatte, seitdem sie das Häuschen in der Sackgasse bewohnte, keinen Blick mehr jenseits der Mauer des kleinen Hofes geworfen. Diese Mauer war gleichsam ein unübersteiglicher Wall, die ihre Vergangenheit abschloß. Sie wußte nicht, sie wollte nicht wissen, was jetzt jenseits dieser Mauer war, in dem alten Krautgarten der Familie Foucque, wo sie ihre Liebe, ihr Herz und ihren Leib eingegraben hatte. Bei den ersten Fragen Silvères betrachtete sie diesen mit einem fast kindlichen Schrecken. Wollte etwa auch er die Asche ihrer erloschenen Tage aufrühren und ihr Tränen erpressen, wie ihr Sohn Antoine?

      Ich weiß nicht, erwiderte sie hastig, ich gehe nicht mehr aus und sehe niemanden ...

      Silvère erwartete den folgenden Tag mit

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