Die Rückkehr des Sherlock Holmes. Arthur Conan Doyle

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Die Rückkehr des Sherlock Holmes - Arthur Conan Doyle

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Sie das denn nicht auch?«

      »Es ist nicht unmöglich; mir ist der ganze Fall aber noch nicht klar.«

      »Nicht klar? Na, aber wenn das nicht klar ist, was ist dann überhaupt klar? Hier ist ein junger Mensch, der plötzlich erfährt, daß ihm ein großes Vermögen zufällt, wenn ein bejahrter Mann mit dem Tod abgeht. Was tut er? Er sagt keinem Menschen was, sondern begibt sich eines schönen Abends unter irgend einem Vorwand zu seinem Gönner. Er wartet, bis die einzige Person, die noch im Hause wohnt, zu Bett gegangen ist, ermordet den alten Mann in seinem einsamen Schlafzimmer, verbrennt die Leiche in einem Holzhaufen und geht dann in ein nahegelegenes Hotel. Die Blutspuren im Zimmer und auch am Stock sind nur unbedeutend. Er hat also vielleicht gar nicht gemerkt, daß Blut geflossen ist, und gehofft, daß nach der Einäscherung des Leichnams jede Spur von der Art des Todes verwischt wäre – Spuren, die aus sprechenden Gründen auf ihn führen mußten. Ist das nicht alles sonnenklar?«

      »Ihre Beweisführung, mein lieber Lestrade, kommt mir etwas zu klar vor,« erwiderte Holmes. »Bei Ihren sonstigen vorzüglichen Eigenschaften vermisse ich die nötige Einbildungskraft. Wenn Sie sich nur einen Augenblick in die Lage dieses jungen Mannes versetzen wollten! Würden Sie gerade die Nacht nach der Aufstellung des Testamentes wählen, um das Verbrechen zu begehen? Würde es Ihnen nicht gefährlich erscheinen, eine so enge Verbindung zwischen diesen beiden Ereignissen herzustellen? Ferner, würden Sie das Verbrechen in der Nacht ausführen, wo Ihre Anwesenheit im Hause bekannt ist, wo Ihnen eine Bedienstete die Türe aufgemacht hat? Und endlich, würden Sie, nachdem Sie sich der schweren Mühe unterzogen hätten, den Leichnam durch Feuer zu zerstören, dann so unvorsichtig sein und Ihren eigenen Stock zum Zeichen, daß Sie der Täter sind, im Hause zurücklassen? Geben Sie nicht zu, Lestrade, daß dies alles recht unwahrscheinlich ist?«

      »Was den Stock betrifft, Herr Holmes, so wissen Sie so gut wie ich, daß Verbrecher oft bestürzt sind und Handlungen begehen, die ein besonnener Mensch nicht unternehmen würde. Er fürchtete sich wahrscheinlich, wieder umzukehren, um ihn zu holen. – Geben Sie mir eine andere plausible Erklärung.«

      »Ich könnte Ihnen leicht ein halbes Dutzend geben,« sagte Holmes. »Wie denken Sie z.B. über folgende, die wohl möglich, ja gar nicht unwahrscheinlich ist? – ich stelle Ihnen gern anheim; davon Gebrauch zu machen –. Der alte Baumeister zeigte seinem Besucher wertvolle Papiere. Ein Landstreicher geht draußen vorbei und sieht es; die Jalousie war ja nur halb heruntergelassen. Der Anwalt geht dann fort. Der Landstreicher steigt ein! Er ergreift einen Stock, den er gerade stehen sieht, schlägt Oldacre tot und verschwindet, nachdem er die Leiche auf den Holzhaufen geschleppt und ihn angezündet hat.«

      »Warum sollte der Landstreicher die Leiche verbrennen?«

      »Aus demselben Grunde, aus dem es Farlane getan haben soll.«

      »Und warum hat der Kerl nichts mitgenommen?«

      »Weil es Papiere waren, die er nicht verwerten konnte.«

      Lestrade schüttelte den Kopf. Es schien mir aber doch, als ob er von der Richtigkeit seiner eigenen Theorie schon nicht mehr so fest überzeugt wäre wie vorher. »Nun, Herr Holmes, suchen Sie Ihren Landstreicher, aber solange Sie ihn nicht gefunden haben, will ich mich an meinen Gefangenen halten. Die Zukunft wird ja zeigen, wer recht behält. Bedenken Sie besonders den Umstand, daß nach unserer bisherigen Kenntnis keinerlei Papiere entwendet sind und Farlane der einzige Mensch auf Gottes Erde ist, der an ihrer Entfernung kein Interesse hatte, weil er gesetzlicher Erbe war, und sie ihm also unter allen Umständen später zufallen mußten.«

      Gegen diese Bemerkung konnte mein Freund nichts einwenden.

      »Ich will nicht leugnen, daß Ihre Beweisführung in verschiedener Hinsicht glaubwürdig klingt,« antwortete er. »Ich behaupte nur, daß es auch andere Erklärungen gibt. Wie Sie selbst sagen, wird die Zukunft entscheiden. Guten Morgen! Ich werde übrigens im Laufe des Tages nach Norwood hinunter kommen und sehen, wie weit Sie sind.«

      Als der Detektiv hinaus war, stand mein Freund auf und traf seine Vorbereitungen für die nächsten Unternehmungen; er zeigte die frohe Miene eines Mannes, der sich einer seinen Fähigkeiten entsprechenden Aufgabe gegenüber gestellt sieht.

      »Mein erster Gang, Watson,« sagte er, indem er in seinen Rock schlüpfte, »ist, wie erwähnt, nach Blackheath.«

      »Und warum nicht nach Norwood?«

      »Weil in diesem Falle zwei eigentümliche Ereignisse kurz aufeinander gefolgt sind. Die Polizei begeht den Irrtum, ihre ganze Aufmerksamkeit auf das zweite zu lenken, weil dieses zufällig das Verbrechen vorstellt. Mir ist es jedoch klar, daß der richtige Weg zum Verständnis der zweiten Begebenheit, des Verbrechens, von der ersten, dem auffallenden Testament, seinen Ausgang nehmen muß. Ich will also versuchen, zunächst etwas Licht in den ersten Teil zu bringen, in das so urplötzlich und zu gunsten eines so eigentümlichen Erben gemachte Testament. Darnach werden wir den zweiten Teil leichter verstehen.«

      »Soll ich mitkommen?«

      »Nein, mein Lieber, ich glaube deine Begleitung heute nicht nötig zu haben. Diese Untersuchung ist gewiß nicht gefährlich, sonst würde ich mich wohl hüten, allein zu gehen. Ich hoffe, dir bei meiner Rückkehr heute abend die frohe Botschaft bringen zu können, daß ich für den unglücklichen jungen Herrn, der sich meinem Schutze anvertraut hat, etwas ausgerichtet habe.«

      Es war spät, als mein Freund wiederkam, und ein einziger Blick auf sein bekümmertes Gesicht zeigte mir, daß die Hoffnungen, mit denen er weggegangen war, sich nicht erfüllt hatten. Ziemlich eine Stunde lang beschäftigte er sich mit seiner Geige, um sein unruhiges Gemüt zu besänftigen. Endlich warf er das Instrument beiseite und gab mir einen ausführlichen Bericht über seine Mißerfolge.

      »Es geht alles schief, Watson – so schief, wie’s nur gehen kann. Ich habe mir zwar Lestrade gegenüber keine Schwache anmerken lassen, aber, meiner Seele, ich glaube, diesmal hat er recht, und wir sind auf dem Holzweg. Die Tatsachen widersprechen meinem Gedankengang und meinen Ahnungen vollständig, und ich fürchte stark, daß sich die englischen Gerichte noch nicht zu der idealen Auffassung emporgeschwungen haben, daß sie meinen Theorien den Vorzug vor Lestrades Tatsachenmaterial geben.«

      »Warst du in Blackheath?«

      »Jawohl, ich war dort und überzeugte mich bald, daß der selige Oldacre ein ziemlich gemeiner Charakter war. Farlanes Vater war auf der Suche nach seinem Sohne. Die Mutter traf ich zu Hause. Sie ist eine kleine, leicht erregbare Frau mit blauen Augen; sie zitterte vor Schrecken und Entrüstung. Selbstverständlich gab sie nicht einmal die Möglichkeit der Schuld ihres Sohnes zu. Aber über das Schicksal des alten Oldacre drückte sie weder Ueberraschung noch Bedauern aus. Im Gegenteil, sie sprach mit einer solchen Bitterkeit von ihm, daß sie, ohne es zu wissen, die Annahme der Polizei förderte. Denn natürlich mußte der Sohn, wenn er solche Sprache über den Mann gehört hatte, von Haß und Widerwillen gegen ihn erfüllt sein. »Er glich einem bösartigen, hinterlistigen Affen mehr als einem Menschen,« sagte sie, »und das war von jeher so, schon als junger Mensch war er so.«

      »›Haben Sie ihn denn damals schon gekannt?‹ fragte ich sie.

      »›Jawohl, sehr gut; er war ja ‘n alter Freier von mir. Gott sei Dank, daß ich so vernünftig war, mich von ihm loszusagen und einen besseren, wenn auch ärmeren Mann zu heiraten. Ich war mit ihm verlobt, Herr Holmes, als ich erfuhr, wie er eine Katze in ein Vogelbauer gesperrt hatte, und ich war so empört über diese Grausamkeit, daß ich nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte.‹ Sie suchte in einer Schublade herum und brachte die Photographie einer jungen Dame zum Vorschein. Das Bild war furchtbar verunstaltet und mit einem Messer zerschnitten. ›Das ist meine

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